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Holger Görrißen performing Tom Waits

31. August 2015, Schwetzingen, Laugeweck

Bad as me

Die Kneipe
Nachdem SAP-Dietmar und die Honoratioren der Stadt Schwetzingen in trauter Einigkeit die Kultur- und Kleinkunstbühne „Café Montreux“ sportlich weggebissen haben, musste einem angst und bange werden. Der „Kultursumpf“ wurde erst abgerissen, dann trockengelegt, der Protagonist Pitsches stand ohnmächtig vor seinem Vermächtnis. Was nun? Und: wohin? Zum jährlichen Dire-Straits-Nachgegniedel in’s Lutherhaus einer immerhin respektablen Coverband? Oder Funk und Soul mit den Prosecco-Nippern in der Schicki-Micky-Fabrik? Seichter Pop der im Schlosspark generationenübergreifend für Seligkeit sorgt? Neverever! Aber, wie so oft, jeder Niedergang bringt Chancen – und Teile der Bühne inkl. Deko waren, eins-zwei-drei, im zentraleren Laugeweck wieder aufgebaut. Sky-Kneipe und Kultur-Schuppen, was für eine Symbiose. Dass da nun früher finitio ist, juckt fast nicht. Besser als nix, möchte man meinen …

Reservierung hat funktioniert, der Wein ist kalt, der Biergarten voll, das Augustende präsentiert sich von seiner allerbesten Seite, bis dahin zumindest.

Das Publikum
Puuh, was soll man sagen? Da habe ich länger drüber nachgedacht: bringt es etwas, das Publikum zu attackieren? Ja, schon, nach der Story setzt die Heilung ein. Also, dass das Top-Spiel des Tages, Bayern – Leverkusen, elektrisiert, ist hinnehmbar, zumindest bis zu Beginn der Show. An die Konzert-Prolls (jene unrelevante Mixtur aus Offenherzigkeit, Müller-Markt-Parfüm, Dialekt und BMW-Schlüssel) hat sich der Aficionado ja gewöhnt.
Die können es nicht besser, nein, die wissen es noch nicht einmal besser. Zwischen den Songs tragen die durchaus zu Belustigung und Amüsement bei, stellen sich in ihrer Beliebigkeit selber bloß und erkennen Joe Cocker. Immerhin. Die Diskussion, ob nun um viertel vor zehn oder um zehn die Konzertplatte geputzt wird brandet auf, ebbt ab, brandet auf. Interesse an der außergewöhnlichen Darbietung (ich meine jetzt die veritable auf der Bühne) ist nur rudimentär erkennbar. Wie gesagt: Joe Cocker eben.
Schlimmer sind die selbsternannten Tom-Waits-Experten, jene Kapazitäten, die der Lebensabschnittsgefährtin lauthals Tom erklären, hat schließlich zwei CD’s im Regal, unser Held. Lasst mich raten: „Used Songs“ (stand bestimmt im Müllermarkt-Ramschfach neben Socken für 4,99 €) und, sagen wir, „Heartattack and Vine“ (wegen „Jersey Girl“, das hat eine frühere Flamme so gerne gehört, bevor sie für immer verschwand, nicht im Tropicana Motel, was wiederum eine reine Mutmaßung des Autorenteams ist), alles nicht so schlimm, allein, wer will das wissen?
So wenig wie das einsetzende, nicht überhörbare, Lamento über den Preis des Weines. Heartattack and Vine eben. Für den Ignoranten, leider auch für uns. Für’s nächste Mal: höre dir deine beiden CD’s an, evtl. fällt dir dann auch ein anderer Song ein. Downtown Train, haha, … so nun bin ich fertig mit Gift und Galle! Bad as me!

Die Show
Wir haben Holger Görrißen nun zum zweiten Mal erlebt, in einer veränderten Show mit veränderten Rahmenbedingungen. Die Setlist ist schlüssig, die wenigen Leonard-Cohen-Stücke fügen sich formidabel ins Gesamtkonzept. Ein gutes „Halleluja“, wobei mir die Version von Jeff Buckley (auf „Grace“) schon immer besser gefallen hat als Cohen’s Original, brillant Chelsea Hotel, fast mit einer Görrißen-Note ausgestattet, wobei das der Protagonist besser erklären könnte. Die noch wenigeren Cocker-Songs (Görrißen) beschränken sich glücklicherweise nur auf einen: „You are so beautiful“, die Interpretation war logisch, dennoch für mich die verzichtbare Nummer des Abends. Da hätte es Besseres gegeben, aus der „Mad-Dogs-Phase“ z.B. (auch wenn da kein einziges eigenes Stück drauf war).

Aber egal, dafür wird Waits aus allen Perioden bedient, ein Auszug aus Polka, Vaudeville, Barjazz, Avantgarde, mal folky, mal bluesig, authentisch, balladesk (Ol’ 55) mit Akkordeon, ohne Mikro, mit zwei Mikros, am Distortion-Piano und vor allen Dingen eines: mit einer gehörigen Portion Idealismus und der notwendigen Portion Demut vor dem Schaffen des Geehrten. Da erstaunt es kaum, dass die Eigenkompositionen standhalten können und sich nahtlos in die Setlist reinschmuggeln lassen. Der Hinweis erspart mir das Durchwühlen all der Tom-Waits-Alben nach „unbekannten“ Aufnahmen. Eine exzellente Performance, die das Original erreicht, seine Stimme ist verblüffend „original“, so wie sie ebenso verblüffend „Holger Görrißen“ ist. Mehr davon! Auf CD! Später, nach dem Konzert, meine ich, so etwas wie Rührung zu entdecken. Bei uns beiden. Die Ignoranten schauen da schon ZDF-Sportstudio…

Die Songs

Setlist (ohne Gewähr:
Down there by the train (Waits) Akkordeon
Singapore (Waits) Akkordeon + Percussion
Hang down your head (Waits) Akkordeon
Walk away (Waits)
The piano has been drinkin` (Waits)
The sinner and the saint (Görrißen)
Hoist that rag (Waits)
Ol’ 55 (Waits)
A little rain (Waits)
You scream (Görrißen)
Jockey full of bourbon (Waits)
Big black Mariah (Waits)
The traitor (Cohen)
Dirt in the ground (Waits)

Pause

Chocolate Jesus (Waits) Akkordeon + Percussion
I don’t wanna grow up (Waits) Akkordeon + Percussion
Anywhere I lay my head (Waits) Akkordeon
Such a scream (Waits)
You are so beautiful (Cocker)
Hallelujah (Cohen) auf Wunsch aus dem Publikum
Make it rain (Waits)
Eyeball kid (Waits), nur Rhythmus und Stimme ohne Mikro
Downtown train (Waits) auf Wunsch aus dem Publikum
You go to war (Görrißen)
Frozen in blood (Görrißen)
Waltzing Matilda (Waits)

Zugaben
Chelsea Hotel (Cohen)
Goodnight Irene (Lead Belly) Akkordeon


Gunther Böhm