12. März 13. März 14. März 15. März 16. März 17. März 18. März 19. März sxsw2010 12. März 13. März 14. März 15. März 16. März 17. März 18. März 19. März sxsw2010

Timo Gross

9. Juni 2012, Messplatz, Edingen-Neckarhausen

Wake Up Call!

Der „Mannheimer Morgen“ hat gerufen und viele sind gekommen. Kost‘ ja nix, selber Schuld, wer sich da nicht vom Sofa (oder vom Autowaschen) losreißen kann. Der Zeitungs-Slogan „Aufgeweckt in den Tag“ bringt‘s auf den Punkt! Jetzt im Ernst: Klar ist das ein Vorteil, wenn so ein Gig ohne Eintritt möglich ist, Grund für unsere Anwesenheit ist aber nicht dekadente Schnäppchenjägerei, sondern zwei Platten in der inzwischen umfangreichen Bluessammlung, da wäre „Travellin´“ (2007) und „Down To The Delta“ (2005), beides Alben, die es wert sind, gehört zu werden. Versäumt habe ich Timo Gross schon einige Male aus diversen Gründen, im Mannheimer Hauptbahnhof z. B., da ist die Akustik mies, in „Gehrigs Kommode“ oder auch beim „Blues & Roots“ auf einem Pfälzer Weingut – welch eine Kombination! Jetzt oder nie!

Wir sind ein paar Minuten später dran, los geht‘s Punkt 11:00 Uhr, und hören schon vom zweihundert Meter entfernten Parkplatz die ersten geschmeidig-scharfen Blues-Gitarren-Licks des Hauptprotagonisten Timo Gross aus der Südpfalz. Der Messplatz ist für ein kleines Open-Air die optimale Location, eingerahmt von mehr oder minder historischen Gebäuden, entsteht zwischen Bierbänken ein bemerkenswert guter (Gitarren-) Sound, schön ausgesteuert und nie nervig. Das bunt gemischte Publikum, wir sichten sogar ein Timo-Gross-Shirt, ist durchaus sachkundig, wenn auch vorrangig der Jazz-Klientel zuzurechnen. (…am Samstag hat der Herr Dr. frei…) Ein paar Nasen sind auch vor Ort, um einen Frühschoppen zu zelebrieren, immer noch besser hier als im ZDF-Fernsehgarten.

Wir erleben eine Blues-Show der besseren Sorte, einen völlig relaxten Gross (könnte am strahlenden Sonnenschein gelegen haben) eine ziemlich junge (insbesondere der Bassist) aber perfekte Backingband. Gross ist nach meinem Ermessen definitiv in die erste Liga der deutschen Blueser aufgestiegen und in einem Atemzug mit Freischlader zu nennen. Auch international voll konkurrenzfähig. T.G. ist eher ein filigraner Techniker an der Fender (über die kannste mit‘m Auto fahren) als das er sich in selbstverliebten Dampframmen-Soli verlieren würde. Also nicht vom Schlage eines Walter Trout, eher Original-Timo-Gross! Der Sound bewegt sich im Vieleck Blues ‘n‘ Boogie, Chicago-Blues, Shuffle, Country-Blues, Folk-Blues auch ein wenig Rhythm and Blues, alles dabei und alles perfekt serviert, wie ein opulentes mehrgängiges Menue ohne Völlerei. Auffallend ist, dass er mit einer einzigen Coverversion auskommt – die ihn vor vielen Jahren auf seine Bluesreise geschickt hat: „All Your Love“. Da freut sich der Schreiber, auch für mich begann mit „All Your Love“ eine neue musikalische (aber erfolglose) Zeitrechnung. Leider ist der Otis-Rush-Klassiker zu Beginn etwas lau, steigert sich aber zu einem bemerkenswerten Finale mit einem beachtlichen Hammond-Solo, keineswegs nach dem Motto: „hier, da hast du dein Solo, du Sau“ sondern im Dienst und in der Historie des Songs. Pause!

Beim Pinkeln erklärt mir ein „Kurpfalz-Bluesurgestein“, wenn das schon nichts kostet, musst du ein paar CD‘s mitnehmen, klar, schon vorher erledigt und Genehmigung eingeholt, den Online-Bericht mit Fotos auszustatten. Signiert wird auch, sympathischer Musiker, der sein Ding macht und immer authentisch rüberkommt.

Der zweite Set beginnt mit „Fallen From Grace“ von der aktuellen gleichnamigen CD, hier kommt auch seine rauchige Stimme optimal zur Geltung, ohne das inzwischen (so manches Mal) abgenutzte Underground-Pathos eines Tom Waits zu kopierenn. Im mittleren Teil des Auftritts wird vorrangig das Material der neuen CD vorgestellt – diese hat den nicht unwichtigen „Preis Der Deutschen Schallplattenkritik“ erhalten und enthält neben ausgezeichnetem Bluesmaterial sogar einen Kracher der das Zeug zum Genrehit hat: „Small Town Blues“. Den hat er in Edingen bestimmt nicht.

Zu Beginn des dritten und letzten Sets können die anwesenden Blues-Aficionados an der ruhigen Country-Blues-Seite von Gross teilhaben. Er spielt quasi perfekt eine sehr schöne Dobro, Mathias Scherer wechselt an den Upright-Bass, Markus Lauer hält sich an der Orgel ebenso dezent zurück wie Franz Eichberger am Schlagwerk – für diesen Teil der Show. Bei einer Ray-Charles-Gedächtnis-Nummer zeigen alle Musiker, was sie drauf haben, Lauer an der Orgel (mit Ray-Gedächtnis-Brille) flippt völlig aus und brennt ein siebenminütiges Solofeuerwerk ab, immer dezent umgarnt von der Timo-Gross-Band, selbst der Meister ordnet sich unter. Fantastisches Finale – Gross ist groß.

An dieser Stelle ein Vergleich: Timo Gross erinnert an David Grissom, weniger Rock- und mehr Bluesanteil, ohne böse Blicke, vielleicht nicht hundertprozentig die Klasse, es fehlen allerdings nur ein paar kleine Nuancen.

Gerne wieder, sicher!

Das Delta liegt in der Kurpfalz, wen kümmert‘s da, ob Misissippi oder Rhein-Neckar?

Hier die drei mir bekannten Alben, die ich allesamt empfehlen kann:
Down To The Delta“ (2005)
Travellin´“ (2007)
Fallen From Grace“ (2011)

Gunther Böhm

 

 

 

 

 

gross

gross2