12. März 13. März 14. März 15. März 16. März 17. März 18. März 19. März sxsw2010 12. März 13. März 14. März 15. März 16. März 17. März 18. März 19. März sxsw2010

Udo Lindenberg

31. März 2012, Lanxess-Arena, Köln

„Eigentlich bin ich ein ganz Anderer – ich komm
nur viel zu selten dazu“!

Perfekt inszenierte Auferstehung eines Deutschrockpioniers

Hoffentlich ist er manchmal ein Anderer, der Narziß, dessen Show an Pathos bis hin zur musikalischen Selbstüberschätzung kaum zu überbieten ist. Das Erlebte hat so wenig mit einem Rockkonzert zu tun wie Udo‘s Genuschel mit einer akzentuierten Aussprache. Wenn schon kein Konzert im klassischen Sinn, was war das dann? Ach was, eine Rock-Revue und perfektes, kurzweiliges Entertainment, das ich in der Form noch nie zuvor erlebt habe. Kein Gimmick und kein Showfirlefanz wird ausgelassen, wie einst, zu seinen besten Zeiten.

In den frühen 70ern als Eloy ihren elektronischen Sphärenklamauk kiffenden Hippies andrehten, Novalis und Ihre Kinder medial keine relevante Rolle spielten, war der selbsternannte Panikrocker der Erste, der die deutsche Sprache in der Rockmusik für salonfähig erklärte. Diese Schrittmacherdienste können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dafür gab‘s auch einen veritablen Orden überreicht aus präsidialen Händen. All die Westernhagens und Grönemeyers haben ein paar Jahre später das fortgeführt, was der Panikpräsident konsequent begonnen hatte. Inzwischen vergessen ist das ständige Kopieren einer einmal erprobten erfolgreichen Vorlage in den 80ern und das Verweilen im kreativen Niemandsland eine weitere Dekade später. Wer es schafft, die Lanxess-Arena an drei (!) aufeinanderfolgenden Abenden restlos auszuverkaufen, an dem muss was dran sein. Das Publikum ist ein schöner Querschnitt (fast) der musikalisch Interessierten, Fans von früher, die ihm jede Plattitüde verzeihen, (z. B. wird das Mikro mehrfach zum Phallus aufgewertet) jenseits der 50, mindestens genauso oft werden aber auch deren Abkömmlinge gesichtet. Selbst ein Musical steht zwischenzeitlich in seiner Vita, „Hinterm Horizont“, die Hauptdarstellerin Josephin Busch (quasi das „Mädchen aus Ostberlin“) sekundiert ihm später brav.

Pünktlich 20:00 Uhr schwebt er in einem Zeppelin in die nur für ihn angerichtete Arena und hat sofort alles und alle im Griff. Den Hut zieht er nicht, aber dafür die Brille, das ist dann auch schon genug. Mit „Odyssee“ („…weil der Wahnsinn am Steuer steht“, ähem auf der Bühne…) wird ein vollfetter Breitwandsound definiert, der leider zu häufig indifferenziert wirkt und sehr viel „Schwanzrock“ liefert. Klar, das wird kein Singer-/Songwriterabend, aber etwas mehr Fingerspitzengefühl an den Reglern hatte ich mir schon gewünscht. So wie im tatsächlichen Leben das Gegenteil von „Gut“ nicht „Schlecht“ ist, so ist auch der Sound maximal nur „Gutgemeint“. Dafür wird ein Showfeuerwerk abgebrannt, das an Überraschungen nicht spart und einen extrem kurzweiligen Abend garantiert. Mit der geschickt am Anfang platzierten Singleauskopplung „Mein Ding“ ist er dann vollends auf Kurs. Die Dramaturgie verkraftet auch das den jüngeren Ohren weniger bekannte „Boogie Woogie Mädchen“. Die erste große Überraschung soll der im „Großkarierten“ antretende, verzichtbare, Jan Delay sein („Ganz Anders“). Fader Gesang Delays und obendrein eine ziemlich schräge Erscheinung die sich „großkariert“ im Zeitgeist suhlt. Anders Clueso, der es schafft „Cello Mädchen“ zu entstauben und wieder zu Airplay zu verhelfen. Es mag ja sein, dass Musiker wie Delay und auch Clueso Anteil an der Wiederauferstehung Lindenbergs haben, authentisch wirkt das nicht. Überhaupt läßt der Hauptprotagonist des Abends bei allen Duetten keinen Zweifel aufkommen, wer der eigentliche Chef im Ring ist.

Schlimmer wird‘s, wenn Lindenberg an der politischen Deutungshoheit festhält und von einer Plattheit zur nächsten taumelt: „Der Verbrecher Assad…, Putin der Oberganove,…Honi der Oberarsch…, Köln nazifreie Stadt“ usw. usf. Auf die bahnbrechende Feststellung „dass ohne Waffen die Revolutionen in Nordafrika nicht möglich gewesen wären…“ folgt „Wozu sind Kriege da?“ Vorher, auf der kleinen Bühne im hinteren Bereich der Arena, macht Udo bei intensiveren Songs („Mein Leben“, „Leider nur Vakuum“, „Meine erste Liebe“ und „0-Rhesus negativ“) seine Sache und seine Songs erheblich besser. Den Weg zur zweiten Bühne bahnt er sich durch die Meute, panisch seinen Hut festhaltend. Er wird uns doch nichts verbergen wollen, der Panikpräsi?

Emotionaler Höhepunkt des Abends, ist der Nachruf für seinen 2006 verstorbenen Bruder Erich „Stark wie zwei“. Es folgt das unvermeidliche „Horizont“ um augenblicklich darauf die kalkulierten Zugaben abzuspulen. Nicht ohne die Feststellung, „dass Köln die Panikhauptstadt ist“. Im Zugabenteil sitzt Stefan Raab an der Schießbude („Reeperbahn“), nochmals wird Delay bemüht, artig werden alle Revuemitarbeiter vorgestellt, der Meister entschwebt im Zeppelin, Böller explodieren, der Saal tobt. Ziel erreicht! Schwer einzuschätzen, ob der angeblich anwesende Wolfgang Niedecken zu diesem Zeitpunkt noch in der Arena war. Eines läßt sich aber mit Bestimmtheit feststellen:
Du kannst noch so weit „Unten“ sein, es gibt ihn, diesen „Weg zurück“.
Ein weiterer Beweis ist nicht erforderlich.

Setlist:
• Odyssee
• Mein Ding
• Boogie Woogie Mädchen
• Ganz Anders (mit Jan Delay)
• Cello (mit Clueso)
• Sie brauchen keinen Führer
• Was hat die Zeit mit uns gemacht
• Ich lieb dich überhaupt nicht mehr
• Höllenfahrt
• Das Leben
• Leider nur ein Vakuum
• Meine erste Liebe
• 0-Rhesus negativ
• Straßenfieber
• Wozu sind Kriege da
• Mädchen aus Ostberlin
• Gegen die Strömung (mit Josephin Busch)
• Honky Tonky Show
• Der Greis ist heiß
• Stark wie zwei
• Horizont
Zugabe I
• Bis ans Ende der Welt
• Sonderzug nach Pankow
• Alles klar auf der Andrea Doria
• Candy Jane
Zugabe II
• Reeperbahn (mit Jan Delay)
• Goodbye Sailor

Gunther Böhm

 

 

lindenberg ticket