Spin Doctors
21. Januar 2012, Colos-Saal, Aschaffenburg
Kolossal – Strippenzieher in Aschaffenburg!
Wohl der Band, die eine musikalische Sternstunde hatte und es versteht, 20 Jahre später ein Meisterwerk wie das 1991er „Pocket Full Of Kryptonite“ in die Neuzeit hinüberzuretten.
Die fast schon in Vergessenheit geratenen „Spin Doctors“ füllen das nicht übermäßig große Colos-Saal, mit einer Mischung aus Zeitzeugen und deren Nachfahren. Kaum einer der Anwesenden ist jünger als 20 Lenze, kaum einer älter als 40, den Schreiber der Zeilen mal barmherzig ausgenommen. Nach der Vorband, die mich ein wenig an die ostdeutsche Indieinstitution „Die Art“ erinnert und deren Namen ich leider wieder einmal vergessen habe, gibt’s erst mal ziemlich dröge Umbaupausenmusik auf die Ohren. Zeit für ein weiteres Bier…
Schon nach drei Takten ist klar, wo es heute langgeht: Eine wilde Mixtur aus Funk, Grunge, Rock, Hippie- und Kiffersound, Jamrock eben, die keine Sekunde Zeit zum Luftholen lässt. Der Sound bläst den Schaum vom Bier und die Hosen flattern vom Bassgroove bedenklich. Die Ohrenstöpsel liegen in Heidelberg…Chefcharismatiker Chris Barron hat seine Jünger sofort fest im Griff. Die großen Gesten sind nicht sein Ding, glänzen kann er dennoch mit ein paar Eberhard-Gienger-Verrenkungen, das rechte Bein überreißt den wahrlich nicht niedrigen Mikrofonständer. Das textsichere Publikum ist vom ersten Take, „Jimi Olsen‘s Blues“, voll auf Linie. Die Setliste ist schnell erzählt. Die Doktoren halten sich nahezu konsequent an die Reihenfolge der der LP, die es immerhin in USA, UK und auch in Deutschland zu Top-Ten-Notierungen gebracht hat. Irgendwie sind die Songs Boten aus einer längst vergangen, besseren Zeit, was Radioairplay betrifft allemal! Bei „Little Miss Can‘t Be Wrong“ wird ein erstes Teilzeil erreicht, der Saal ist auf Betriebstemperatur gebracht Spätestens ab „Two Princes“ gibt es kein Halten mehr.
Das Line-up besteht neben Chris Barron (l-voc) aus Eric Schenkman (l-g, voc), Mark White (l-bass, so Barron´s Ansage) und dem Grooveminister Aaron Comess an bass und snare und Becken und ist mit der Originalbesetzung identisch. Schenkman an den Gitarren ist das, was man wohl „einen Hund“ nennt, wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann…na ja, bleibt Illusion. Die Rhythmusfraktion erinnert ziemlich an den Groove der Red Hot Chili Peppers.
Die Berufung auf eine einzige Scheibe hat zur Folge, dass die Show nach 70 Minuten zu Ende sein kann, nicht bei den Spin Doctors. Der letzte Song des offiziellen Sets artet aus in eine wilde und brachiale Jam-Rockorgie, mit zwei bisweilen zweifelhaften Soli, deren Dauer und Form schon etwas schräg anmuten. Aaron Comess am Schlagwerk pendelt gefühlte 7 Minuten zwischen Dada und Genialität um dann von Mark White abgelöst, aber nicht übertroffen zu werden. Wenn man so will, das einzige Manko an diesem Abend.
Die Band spielt erlöst und beseelt vier Zugaben, zu denen sie sich nicht groß bitten lassen muss – eine ziemlich frühe Doktorarbeit, Florian erkennt zwei weitere Songs von späteren Alben. Ich habe mich nach „Pocket Full…“ und der noch nicht ganz lauen „Turn It Upside Down“ seinerzeit ausgeblendet und wieder den zwölf Takten zugewendet. Manche Dinge werden mit dem Alter tatsächlich besser. So macht eine Feier zum zwanzigjährigen Bestehen Spaß! Für heute ist das Feuerwerk abgebrannt, der Funke ist gesprungen, alles hat gezündet.
Last But Not Least: Nicht nur für einen solchen Gig, sondern auch für einen solchen Club nimmt man die insgesamt 260 km gerne in Kauf, tolle Location, super-PA, differenzierter Sound, meistens!
Hier noch LP-Empfehlungen:
• Pocket Full Of Kryptonite (1991)
(Achtung, dieses Niveau haben sie nie wieder erreicht)
• Turn It Upside Down (1994)
• Nice Talking To Me (2005)
(wird in einschlägigen Foren mit „Pocket Full… verglichen, entzieht sich jedoch meiner Kenntnis)“
Gunther Böhm