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50 Jahre American Folk Blues Festival

7. September 2012, Alte Mälzerei Eisenach

Weißer Riese – Schwarze Seele
Fritz Rau und Biber Herrmann

Vor inzwischen einem halben Jahrhundert machte sich ein badischer Rechtsanwalt auf den Weg, um sich und uns die Musikwelt zu erobern. Fritz Rau, der Impresario, Visionär, Pate, Onkel und manchmal wohl auch Choleriker, betrat gemeinsam mit seinem kongenialen Partner und Freund, dem Eisenacher Horst Lippmann, absolutes Neuland. Im wahrsten Sinne des Wortes bis dato unerhört und ungesehen. Man muss sich das einmal vorstellen um es begreifen zu können: Der Krieg war gerade einmal siebzehn Jahre vorüber, „buchhalterisch“ war die Entnazifizierung schon lange abgeschlossen, nicht alle Köpfe wurden erreicht. („Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger!“)
In Deutschland ist Adenauerzeit, es riecht ein wenig nach Mottenkugeln, da kommt ein junger schnöseliger Anwalt daher und krempelt mit seiner Konzertagentur „Lippmann & Rau“ den Musikmarkt um, der in den USA ein paar Jahre vorher schon von einem gewissen Elvis Presley gefährlich erschüttert wurde. Die Rede ist von den legendären American Folk Blues Festivals, die 1962 in Deutschland das Licht der Welt erblickten. Die Idee war so simpel wie genial: Die bisher weitestgehend unbekannten Ahnen des Rock ‘n‘ Roll wurden in den USA zum Teil auf abenteuerlichen Exkursionen ausfindig gemacht, nach Europa eingeladen und gleich einem „Wanderzirkus“ auf kontinentalen Bühnen einem interessierten Publikum vorgestellt. Zeitglich keimte in England ein Bluesrevival auf, angetrieben von den Stones, die damals noch „Blues“ waren. Diese Verquickung glücklicher Umstände, die riesige Schar exzellenter amerikanischer Musiker, gepaart mit thüringisch-badischer Geschäftstätigkeit (unter Missachtung der Verlustrisiken) garantierten zumindest den künstlerischen Erfolg. Musiker wie Muddy Waters, Willie Dixon, Otis Rush, Big Bill Broonzy, Mississippi Fred Mc Dowell, Skip James, Roosevelt Sykes…um nur einige zu nennen, wären den meisten Hörern wohl immer verborgen geblieben. Mancher konnte sogar vom späten Ruhm noch ein auskömmliches Leben führen, so z. B. ein John Lee Hooker.
Was liegt da näher als mit Fritz Rau, den letzten Großen seiner Zunft, in den Eisenacher Jazzclub zu einer Lesung aus seinem Buch „50 Jahre Backstage“ einzuladen, die perfekt von dem „Rheingaupicker“ Biber Herrmann („in einer Rieslingsteillage bekommst du gerne mal den Blues…) unterstützt wird. „Biber Herrmanns Musik ist Seelennahrung. He‘s a real Soulbrother und einer der besten Songster, die unser Land hervorgebracht hat. Und glauben Sie mir – ich weiß, von was ich rede.“ (Fritz Rau über Biber Herrmann)
Nebenbei bemerkt ist Fritz Rau auch Kopf der „Lippmann und Rau Stiftung“ die in der Eisenacher „Alten Mälzerei“ ihr Domizil aufgeschlagen hat. Und das die Stones ebenfalls 50 werden, dürfte kein Zufall sein. Der Hauptprotagonist des Abends ist in die Jahre gekommen, es sind 83 (!) und die körperlichen Mühen sind ihm anzusehen. Rau groovt sich in seinem Rolli ein, schon auf dem Weg zur Bühne bringt er die leider nicht allzu zahlreich Erschienen hinter sich: „So viele heute hier, und das obwohl Deutschland gegen die Fußballgroßmacht Färöer-Inseln spielt.“ So macht man emotionale „Kasse“. Dem Konzertkartenverkäufer (Rau über Rau) gefällt es, aus seinem Leben zu erzählen, da wird schon mal der Zeigefinger angespitzt und die Victory – Pose ist auch öfters zu sehen – selbstgefällig wirkt er indes nicht. In den Lesepausen erhält Biber Herrmann sein Podium und unterstützt auf phantastische Weise (zuerst mit seiner Dobro) den wortgewaltigen Vortrag mit musikalischen Zitaten und Verweisen. Ein Jammer, dass ein solch brillanter Könner auf den sechs Saiten und der Harp (auch die Stimme gefällt) ein Nischendasein fristet. Ein Glück, dass es überhaupt noch Bühnen bei dem täglichen medialen Supergau für solche Musiker gibt. Kunst geht auch nach Brot, spürbar ist das bei Biber H. nicht. Fritz Rau spricht wohl nicht ohne Grund von „meinem Freund Biber Herrmann.“

Nach dem Folk-Blues-Festival-Part ist erst mal Pause, Zeit für Bier und Fachsimpeleien, Erinnerungen und…CD‘s, signiert, klar. Aber: nicht für mich, nein, sondern für uns, Biber Hermann richtet seinen Gruß auch an unsere Homepage, die ja nun wahrhaftig keine reine Bluesseite ist. Schöne Sache und ein sehr sympathischer Mensch.

22.00 Uhr geht‘s weiter mit dem zweiten Schwerpunkt des Abends, den Rolling Stones, die lange Jahre von Fritz Rau präsentiert wurden und auch auf ein halbes Jahrhundert zurückblicken können. Das erste deutsche Riesen-Open-Air (1976 in Stuttgart) resultiert aus einer Erpressung Mick Jaggers, den er als den besseren Geschäftsmann bezeichnet, der aber trotz der Trennung ein Freund geblieben ist. („Godfather Fritz Rau“) Das Maffay-Desaster in Köln erhält ebenso Raum wie der legendäre Dylanauftritt auf dem Nürnberger Reichsparteitaggelände. Aber über allem thront der Blues und dies betont er fast gebetsmühlenartig, so als ob wir es nicht wüssten, ein Kreuzfahrer der 12-Takt-Musik, ein Besessener der Sache! Bei den Biber-Herrmann-Stücken, wippt er mit, stampft dann und wann mit dem Fuß und ballt auch schon mal die Faust, so als wolle er sagen: Hört her, ich habe doch Recht gehabt, der Blues ist nicht nur Trauer, er ist auch Kraft und Leidenschaft, der sichere Hafen an dem du am Ende eines mühsamen Tages anlegen kannst. Und immer wieder ist ein Victory-Zeichen zu sehen. Wahrhaftig, heute Abend gab es zwei Gewinner, die Musik und das Publikum, das dabei sein durfte. Schade, das nicht mehr vom Sofa hochgekommen sind, vielleicht hatten sie auch keine Chance, weil sie nicht von der musikalischen Zeitreise wussten, vielleicht ist es aber auch nicht mehr interessant genug, da sich inzwischen das Podium für die frühere extravagante Klientel selbst pulverisiert hat. Heutzutage kommen auch in Eisenach die Leute wegen der Mugge. Eine Fraktion wurde jedoch auf keinen Fall vermisst: die mit italienischen Stöckelschuhen klappernde Chefarztgattin. Und die Kuttenträger? Ebenfalls Fehlanzeige, aber die nerven wenigstens nicht.

Dass der Abend mit Standing Ovations endet liegt auf der Hand, dass Fritz Rau eine Zugabe für Biber Herrmann inszeniert, zeugt von dem Menschen. Als Überleitung für den nächsten Tag, jaja auch der Jazzklub feiert 50 Jahre Rolling Stones, wird ein komplett umarrangiertes, verbluestes „Satisfaction Eisenach“ abgefackelt. Hemd raus, der Blues kommt!

Was bleibt?
Der Blues bleibt!

Und Fritz Rau?
Bitte bleib, Du wirst noch gebraucht!

Biber Herrmann Setlist:
Come on in my kitchchen (Robert Johnson)
Kindhearted woman blues (Robert Johnson)
Got my mojo working (Muddy Waters)
Rain of love (Biber Herrmann)
Going up the country (Henry Thomas)
Can‘t be satisfied (Muddy Waters)
Little red rooster (Willie Dixon)
tomorrow is a long time (Bob Dylan)
Satisfaction (Jagger/Richards)
I just wanna make love to you (Willie Dixon)

Zugabe:
Leaving town blues (Biber Herrmann)
Fritz Rau – die Bücher:
Buchhalter der Träume (vergriffen)
50 Jahre Backstage
Biber Herrmann – die Platten:
Temporarly Blue
Love And Good Reasons
Rainbow Walker
(siehe auch International Cajun Trio, 2012 / I)

Gunther Böhm

 

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