Montag, 17. April
Unsere Chancen die Immigration in Houston zu passieren, stehen gar nicht mal so schlecht: Bier und Whiskey verwechseln wir nicht – auch wenn wir darauf nicht vereidigt wurden – als Grapscher kommen wir dto. nicht in Betracht,
a) wegen Kinderstube
b) mangels Reichtum
also ganz gute Voraussetzungen, könnte man meinen!
Da fahr ich nicht mehr hin, höre ich immer wieder … Warum? Geändert hat sich für uns ja nicht wirklich was. Der „Eintritt“ wird jetzt im „do-it-yourself-Modus“ abgewickelt, was, oh Wunder, natürlich nicht funktioniert. Mein Schalter schließt unmittelbar bevor ich devot um Einlass bitten darf – nach einer Stunde Wartezeit. Mist! Also wieder alles auf Start! Florian steht da schon eine Stunde am Baggage-Claim und wehrt die Arttacken des Drogenhundes auf meinen Koffer ab.
Es regnet, der meteorologische Knockout für unsere geplante Shiner-Show am Pool. Alternativprogramm aus der Trickkiste: ab in Steakhouse, gut wie (fast immer).
Später an der Hotelbar (die Indoor-Shiner-Show) zitiert Lisa, die schwarze Perle hinter der Theke, das Great American Songbook und wackelt gefährlich mit allem, was der liebe Gott ihr so mitgegeben hat. Dafür legen wir auch 6,50 $ für ein Shiner auf den Tisch, die Prognosen waren auch schon mal günstiger.
Unseren Tourplan quittiert Lisa mit
Mississippi? Are You kidding?
Nein machen wir nicht, gute Nacht!
Dienstag, 18. April
Das wird wohl nicht unser Tag, und meiner schon gar nicht.
Ein Thunderstorm prasselt auf Galveston nieder, also zu Cavender‘s (Country- und Westernoutfitter) die lange geplanten Stiefel einsacken,
mittags dann in der Press-Box (Galveston Sports-Bar Nr. 1) den finalen Abgang des FCB hinnehmen müssen, immerhin fallen auch die Shiner-Preise. Was soll‘s? nächstes Jahr …
Da ist der rohe Thunfisch abends schon fast Nebensache!
Mittwoch, 19. April
Florian meint, wo Cops frühstücken, muss es gut sein, stimmt, „Moby Dick – a whale of a breakfast!“ Oh ja … der Teller erreicht die Kapazitätsgrenze.
Wir entscheiden uns für die kurze Fahrt mit der Fähre über den Golf von Mexico, kostet nix und bringt andere Perspektiven. Das Wetter scheint uns gewogen. Links und rechts der Landstraße rollen merkwürdige Pfahlbauten vorbei - die sollen dem Hochwasserschutz die Ehre erweisen, werden aber ziemlich sicher beim nächsten Hurrican wie Streichholzschachteln umhergewirbelt.
Kurz vor Natchez überqueren wir den Mississippi und lassen Louisiana hinter uns.
„All Your Love“ war so ziemlich meine erste Bluesnummer, an die ich mich erinnere, jetzt habe ich einen Ohrwurm. Otis Rush geht ganz tief rein, für andere mag das der Kölner Dom oder sonst was sein. Den Mississippi zu spüren, zu riechen, endlich am Ursprung aller Musik angekommen zu sein, ein besonderer Moment – fast so wie unsere Südstaatenvilla, in der wir übernachten werden. Morgen geht es dann richtig zur Sache, „Key To The Highway“…
Donnerstag, 20. April
Unsere Route führt uns immer wieder mal über Highway 61, der aufmerksame Leser weiß um die Bedeutung, entlang am Blues-Trail. Port Gibson, Belzoni, Indianola, Clarksdale.
Die Orte sind oft in einem beklagenswerten Zustand, wirklich gefährlich sind sie aber nicht. Die organsierte Retrospektive besteht aus einigen Markern (aufgestellte Schilder) die die Historie durchaus erahnen lassen, für die Haptiker unter uns gibt es aber nicht unbedingt viel zu erleben. Man muss sich da schon drauf einlassen können. Ganz anders kommt das B.B.King-Museum in Indianola daher:
Eine top-gepflegte und liebevoll zusammengestellte Ausstellung des großen Blues-Shouters, die keine Fragen offen lässt. B.B. ist meine Sache nicht unbedingt, zu oft wird eine nervtötende Horn-Section bemüht, vor der virtuosen Gitarrentechnik verneigt sich der Autor dennoch ehrfurchtsvoll. Und: eines bewirkt das Museum allemal – ich werde mir nochmals die Werkschau vornehmen.
In Clarksdale angekommen, bleibt nicht viel Zeit, einchecken, Gepäck raus, Taxi, ab nach Downtown, Riesen-Pizza im Stone Pony, dann Blues-Berry-Café, finaler 12-Takt-Karaoke-Absacker im legendären Ground Zero Blues Club!
Long Tall Deb & Colin John (Lang Tall erweist ihrem Namen alle Ehre) spielen eine Art elektrischen Delta Blues, vorrangig Variante Robert Johnson, wobei insbesondere der Filigrantechniker Colin John auf den sechs Saiten jeglicher Art Glanzpunkte zu setzen vermag. Vocal unterstützt von Mick Kolassa, der einige bemerkenswerte scheiben eingespielt hat, Ghost of Riverside Hotel oder auch Taylormade Blues, um nur einige zu zitieren.
Cooler Laden, fast wie in Austin – dies bezieht sich auch auf den Restroom!
Weiter Richtung Ground Zero Blues Club …
… da stehen Phillip Carter & Blues Underground auf den Brettern und ziehen so eine Art Blues-Karaoke ab, die folgendermaßen funktioniert: mehr oder minder ambitionierte Musiker melden sich mit Ihrem Gastvortrag bei der Hausband an und geben ihr innerstes Preis, mal belanglos und dröge, mal erstaunlich, geradezu unerwartet – so der Blues-Harper Dieter aus Deutschland, der ganz ordentlich Applaus abräumt. Da sich die Setlist zwangsläufig auf Klassiker fokussieren muss, man stelle sich nur mal die Realisierung einer komplexen Charley-Patton-Nummer vor, passiert auf den Blues-Brettern nichts Spektakuläres, es kann aber auch nichts in die Hose gehen – bei Hoochie Coochie Man – also halb voll oder halb leer, so wie man möchte.
„Unser“ Jolly-Taxi kutscht uns sicher an den Gangs im verbotenen Quartier vorbei, er macht uns ein wenig Angst und sichert sich vermeintlich den coolsten Job für die nächsten Tage – Fahrer von Blues-Beer-Burgers. Da wir zwar manchmal faul sind aber keine Hosenscheißer, warten wir mal ab, wie das mit der Kurzzeitanstellung so läuft …
Freitag, 21. April
Das Wetter meint es nicht gut mit den Bluesern, auch nicht mit den Schwermetallern, Kutte aus, Kutte an, Kutte aus – aber niemals uncoolen Regenzwirn.
Vorher Frühstück im Hotel – zu dem Zeitpunkt ist uns noch nicht klar, was bzw. wer mehr nervt, der unglaubliche Müllberg der bei einem stinknormalen Frühstück in den USA produziert werden kann oder der anwesende Klüngel Blues-Nazis in Fleece-Jacken, einer Bande von Sektierern, die eigentlich keinen Deut Ahnung hat, aber materiell in der Lage ist, sich biblische Gitarristen im Delta von oben anzusehen (aber kaum anzuhören), mit einer kruden Mischung aus Mitleid und Unkenntnis ausgestattet – die Ricola-Fraktion ist an dieser Stelle ausdrücklich von der Generalabrechnung ausgenommen. Fast wie in Austin, egal ob die nun aus Dresden oder Stuttgart kommen, die gehen einem, nein, halt, uns gehörig auf den Sack!
However, Kutte aus, Jacke an, denn – es regnet stärker … unser Jolly-Taxi wird trotzdem ausgebremst, wir gehen die dreißig Minuten zu Fuß und auf Irr- und Abwegen Richtung Downtown. Einen Fußweg gibt es nicht, was unseren Auftritt zu einem Pfandfinderjob qualifiziert, die gute Tat dabei ist, beim Überqueren von Parkplätzen und Straßen nicht sein Lebenslicht von einem demolierten 59er Caddy ausgelöscht zu bekommen. Nein, ein weiteres Klischee bediene ich nicht …
Am historischen Riverside-Hotel müssen wir feststellen, dass sich die Substanz der Blues-und Bumsburg (hier hat immerhin Ike Turner campiert…) in vergangen sechs Jahren nicht wirklich verbessert hat.
Wir holen die Wristbänder ab, was prima funktioniert – Gruß nach Austin – ich reserviere in einer Galerie ein Bild von Pinetop auf Leinen (für 45 $), in Deak‘s Harmonica Shop finden wir eine niemals realisierbare Präsidentenempfehlung.
Dann, einer schönen Tradition folgend, ein paar Daybeer im Ground Zero – über Mugge kann man schließlich immer diskutieren …
Das Delta-Blues-Museum wurde um einen Muddy-Waters-Schrein erweitert, die Ausstellung ist so gut wie sie wichtig ist, aufklärend, aber nie missionarisch. Und da das Delta-Blues-Museum breiter aufgestellt ist als Indianola, ist sie eigentlich auch die interessantere, wobei dass jeder geneigte Betrachter für sich entscheiden muss.
Zurück in Downtown bollert vor Deak‘s Harmonica Shop eine Blues ‘n‘ Boogie Mixtur der extrordinären Klasse, mit einer diatonischen Hohner, wie sie nur der Teufel spielen kann. Doch Deak hat keinen Dreizack und keinen Pferdefuß, das Gegenteil ist der Fall, ziemlich geerdet, mit 100%iger Hingabe an die Musik, den Tippkübel erhält der farbige, ebenfalls formidable, Bassist.
Hört sich alles unverschämt nach den guten Canned Heat an. Musselwhite findet er smart, ich hätte wohl besser nicht gefragt, mit Sugar Blue ist Deak befreundet, bei Little Walter sind wir uns einig. Selbstverständlich.
Pizza im Stone Pony, dann sofort in Red‘s Blues Lounge, Leo Bud Welch, eine weitere biblische Gitarrenikone, mit immerhin schon 85 Jahren!
Das Red‘s ist ein (ehemaliger) Juke Joint, etwas abgerissen, wie alle Läden hier, aber durchaus mit einer authentischen Blues-Aura ausgestattet. Leider wird der Laden so mit Leuten vollgestopft, das „gefährlich“ fast wie ein Diminutiv daherkommt.
Vor einigen Jahren war ich Augen- und Ohrenzeuge eines mehr als verunglückten Pinetop-Auftrittes (einer der letzten) im legendären Antone‘s in Austin. Ein neben mehr stehender Kanadier räsonierte seinerzeit: more a tribute than a show! Das trifft für das Erlebte im Red‘s leider nicht zu. Ein Tribute wäre noch in Ordnung gewesen, relativ schnell steht fest, dass hier eine Semi-Legende für die Interessen von Veranstalter und Promotor benutzt wird und, dies ist eigentlich noch übler, dass Publikum durch eine Art Schlüssellochperspektive voyeuristisch zuschaut. Dabei war das Gitarrenspiel so gut wie es für einen 85-jährigen eben gut sein kann. Respektloser Umgang mit einem Elder Statesman des Blues, das tut weh.
Im Ground Zero läuft Großstadtblues, Jolly macht seine 15 $ und bringt uns sicher an „not a good neighbourhood“ vorbei zurück ins Hotel.
Samstag, 22. April
Leidensfähig frühstücken wir abermals im Hotel, checken den Tagesplan, entscheiden uns für die „Variante Kutte“ und stolpern über Parkplätze und zum Gehsteig umgewidmete Trampelpfade Richtung Downtown – da zerplatzt schon die erste Illusion wie eine Seifenblase: der Himmel öffnet erneut seine Schleusen und demonstriert uns mal so richtig, was er alles drauf hat. Vorm Riverside Hotel verkriechen wir uns erstmal.
Der Plan war Mick Kolassa auf der Crossroads Cultural Stage in der Delta Ave, ob nun der Mississippi-Rain Schuld ist oder wir noch etwas verpeilt sind, bleibt gnädig ungeklärt, jedenfalls landen wir vor Miss Del‘s Stage, einem Lebensmittelladen mit Kühlschrank (!) und ohne Toilette (!!) aber dafür ist ersterer gut mit Shiner Bock bestückt (!!!) für sagenhafte 2,75 Dolleres (!!!!) inkl. brauner Tüte
Die Stormy Monday Blues Band aus Starkville, MS, eröffnet unseren Festivaltag, vorher haben schon Carlos Elliot Jr. & The Cornlickers die Verstärker eingestöpselt. Eigentlich wäre ja Stormy Saturday Blues Band deutlich passender, immerhin feiert der Vierer (John Gholston, l-voc + rg, Brian D. Malone, l-g, Mitch Shurden, sixstring-b & Zac Ashmore, dr, harp, b-voc) elektrisch gut aufgeladenen Down Home/Chicago Blues ab. Feine Gitarrenarbeit + satter Groove der Rhythmusfraktion = Riesenstart in den Blues-Morgen. Eigenes Songwriting wird geschickt mit Klassikern verwoben, auf meiner FB-Seite steht ein Video zur Verfügung! Enjoy the ride! Ein sicherer Qualitätsindikator ist grundsätzlich das Zücken des Geldbeutels. CD ab in die Tasche – am Zigarrenstand gegenüber bringt inzwischen die Promo-Tante ihre Goodies vor den Fluten in Sicherheit. Was kümmert´s uns? Daumen hoch, Shiner auf!
Eine ganz andere Geschichte ist der bewegende Auftritt des nahezu 90-jährigen CeDell Davis. (09.06.1927 in Helena, Arkansas, wurde als 91-jähriger angekündigt) CeDell musste durch eine frühe Kinderlähmung (u.a. der rechten Hand) als „Rechtsausleger“ die Gitarre fürderhin „auf links“ spielen, was eine dreijährige Umgewöhnungszeit zur Folge hatte. An Bluesklampfe oder Harp ist heute nicht mehr zu denken und sicherlich darf der Purist auch bei der Vokalleistung geteilter Ansicht sein – an Blues-Punch hat er nichts eingebüßt. Keine zwei Meinungen kann es über den respektvollen Umgang der Begleitband Brethren geben. Der Bluessenior wurde entsprechend seiner Lebensleistung in Szene gesetzt, die Band selbst agierte seriös und zurückhaltend, das hätte man sich gestern Abend bei Leo Bud auch gewünscht. Es erstaunt, wie sicher CeDell‘s Einsätze immer noch sind, das Timing stimmt, die Texte sitzen. Delta-Blues von einer Ikone aus dem Delta. Samstagmittag! Blueser-Herz, was willst Du mehr? Auch hier gilt selbstverständlich: Geldbeutel auf, Tasche auf, CD rein!
Hier die Alben:
The Introduction To Living Country Blues USA (1981 - 1 track of the 12) Living Country Blues USA Vol. 5 (1982 - 4 tracks of the 12 tracks)
Living Country Blues USA Vol. 10 (1982 - 1 track of the 13 tracks)
Feel Like Doin' Something Wrong (1994)
The Best of CeDell Davis (1995)
The Horror Of It All (1998)
When Lightning Struck the Pine (2002)
Highway 61 (2003)
Keep It to Yourself: Arkansas Blues, Vol. 1 (2004 – 4 tracks of the 23 tracks)
Last Man Standing (2015)
Even The Devil Gets The Blues (2016)
Nach der famosen Stunde Delta-Blues lässt der Regen nach, was auch sonst? Leichteres Spiel für Cadillac John & The Cornlickers? Ja, möchte man meinen! „Cadillac“ John Nolden, geb. 12.07.1926 in Renova, Ms, hat die 90er Marke zum Festivalzeitpunkt bereits hinter sich gelassen und agiert, ebenfalls sitzend, mit einem Bluestemperament, dass wohl nur im Delta vererbt wird. Die musikalische Sozialisation rührt eher vom Gospel her, später dann Harper und Songschreiber, mit Kontakten zu B.B King, u.a. in einer Radiosendung. Die Cornlickers stellen ein grundsolides, ebenso respektvolles, Gerüst zu Verfügung, dass tief im Blues, Delta Blues & Gospel verwurzelt ist, einziger Wermutstropfen: der manchmal zu funky gespielte Bass sendet Störsignale in den Blues-Äther. Dennoch: Daumen nach oben, hier greift ein Rabatt für die Lebensleistung!
Der Plan sah vor, dass wir zur Paramount Marquee Stage zu Southern Halo weiterziehen. Wir schaffen es auch zur Paramount Stage, lästig wird das wieder „drehende“ Wetter, jetzt noch mit kräftiger Windunterstützung, begünstigt durch die Lage des Venues. Da aktuell Josh „Razorblade“ Stewart einen ziemlichen Blues-Brei anrührt, tauchen wir im Bluesberry Café ab.
Auch wieder mal schön, eine Band/einen Künstler zu sehen, der nicht auf unserem Billing steht. Jeb Sparks spielt im völlig leeren Bluesberry Cafe einen sehr authentischen Solo-Folk-Blues, zwei wechselnde Klampfen + „Songwriter-Machine“ (a.k.a. Harp) + stimmige Vocals (zwischen Resignation, Sehnsucht und Hoffnung) immer ausgerüstet mit einem Schuss Ironie, der deutlich mehr Zuhörer verdient gehabt hätte. Beirren von der Publikumsmisere lässt sich Jeb nicht und auch hier gilt: Geldbeutel auf, Tasche auf, CD rein. Diese Scheiben wird man in Deutschland nie bekommen, schon dafür hat sich die Reise gelohnt.
Anders sieht es schon bei dem uns ebenfalls bis dato völlig unbekanntem Blues-Delta-Blues-Houserockin‘-Duo Matthew Jay & Jimbo Mack aus. Möglicherweise lag das an Eigenbauklampfe Uncle Scud,
als gesichert gilt die Erkenntnis, das Matthew und Jimbo den jetzt immerhin halb gefüllten Laden zum Rocken bringen. Wer frühe Black Keys auf Blues, Rhythm ’n’ Blues mit Vibe und Groove hören möchte, dazu authentisch angerichtet, mit „individueller Show“, bitteschön, hier ist die Lösung:
Ganz klar, alle Daumen Richtung Blues-Himmel, 2 (!) Cd’s rein in die Tasche, weiter zum Delta Blues-Museum!
Ganz dick auf dem Zettel habe ich mir Christone „Kingfish“ Ingram angestrichen.
Vor ein paar Jahren in einer John-Lee-Hooker-Doku über den Namen gestolpert – wow – (mit heruntergeklappter Kinnlade) was für ein Gitarrenpyrotechniker, mit unglaublichem Speed, ein Flitzefinger, ein echtes Wunderkind eben, mit aktuell noch nicht einmal 18 Jahren. Obwohl: Wunderknaben hat die Musikszene schon viele gesehen und fast so viele sind auch wieder verschwunden, erinnert sei hier z.B. an Jonny Lang (Lie to me) über den Jimmy Thackerey einmal sagte „ man sollte ihm die Finger brechen …“ Schon aus großer Entfernung hören wir das emotionsbefreite Brachialspiel auf der Blues-Klampfe, klar das Publikum (männlich, 40+, mit Kette an der Schlaufe, den Gürtel ein Loch zu eng gezurrt) will das genauso auf die Ohren und wird entsprechend bedient. Die Songs stehen nicht im Zentrum des Kingfish-Schaffens sondern dienen lediglich als Vehikel und das ist genau der Punkt den z.B. „Armani-Blueser“ Bonamassa (Florian) macht und Ingram liegenlässt. Die Band wird bis zur musikalischen Unkenntlichkeit degradiert, was sich nicht nur nicht gehört sondern auch hochgradig unkollegial daherkommt. Die technische Klasse ist zweifellos vorhanden. Diese Erkenntnis stiftet Hoffnung, jung an Jahren hat er noch alles vor sich und evtl. kommt die Erleuchtung oder auch ein Fingerzeig von Mentor Buddy Guy. Uns ist das „too much…“ der Königsfisch schlägt uns in die Flucht.
Gleich neben dem Delta Blues Museum treffen wir den Traditionsblueser Reverend Peyton mit Washboarderin Breezy, die uns grinsend zustimmen.
Eigentlich steht für heute Abend die Release-Party von Otis Taylor an, der Reverend bequatscht uns zu seiner Band ins New Roxy zu kommen – groß ins Zeug legen muss er sich nicht dafür …
Day-Beer-Zwischenstopp im Ground Zero (ist für uns so eine Art Headquarter geworden) und kurz bei David Dunavent and The Evol Love Band reingehört, sind quasi die Local-Heroes aus Clarksdale, Mississippi, Blues-Rock klassischer Prägung, ganz passabel, nicht neu…
Nicht gerade einfallsreich sind wir beim anstehenden Kaloriennachschub: wir entscheiden uns wieder einmal für das Stone Pony da das Risiko eines Totalausfalls gegen Null geht und außerdem auf der Outdoor-Stage Eddie-Taylor Jr. loslegt. Großer Name auf kleiner Bühne, die Erwartungen nicht ganz erfüllt, Chicago-Blues im Duo-Suit.
Zwischenstopp im Rock- und Bluesmuseum, da ist nix los, einzige Ausnahme: wir lernen Marc Taylor kennen, dazu am Sonntag mehr …
Also wieder retour ins Bluesberry Café, Mick Kolassa & Band könnten auch auf der South Michigan Avenue, sagen wir mal 2120, auftreten, auch wenn sie eindeutig Deltadreck unter den Fingernägeln haben. Kolassa ist immer cool …!
Wir lösen unser Versprechen ein und machen uns auf den Weg durch „not a good neighborhood“ ins New Roxy zu Reverend Peyton’s Big Damn Band. Unsere Ahnung erfüllt sich: 1 Stunde vor Showbeginn steht schon eine lange Schlange am Einlass, wir sind underdressed, es ist hundekalt für Mississippi, 12 Grad, windig, kurzärmelig war keine so smarte Entscheidung. In unmittelbarer Nachbarschaft probt ein farbiger Gospelchor und verkürzt die Wartezeit mit einem exklusiven Auftritt für die Peyton-Fans. Cool, unheimlich cool!
Auf den Blues-Prediger bin ich durch die Hommage „Peyton on Patton“ gestoßen, sehr traditionsbewusst (was auch sonst) im Stil der early Field-Recordings, Delta-Blues am Ausgangspunkt. Dass die Big Damn Band einen Laden mit Delta Blues aufmischen und in Brand setzen kann, wissen wir seit den legendären Shows in Austin. Hier am Quellort kann die Wiederholung kein großes Problem sein.
Das Roxy sieht von außen ziemlich abgebrannt aus, innen ist es von einer fast unheimlichen Aura, nur – es gibt kein Dach auf dem historischen Musikgemäuer.
Die Band spielt sich in einen wahrhaften Blues-Format-Rausch, modern, aber nie modernistisch, traditionsbewusst aber nicht dem immer gleichen Blues-Schema auf dem Leim gehend. Dieser Umstand ist wohl dem relativ jungen Publikum geschuldet, Reverend Peyton + Breezy + Drummer gelingt der Brückenschlag zwischen den Polen mühelos. Und über die handwerkliche Extraklasse des ungewöhnlichen Dreiers wird es ohnehin keine zwei Meinungen geben. Das Waschbrett brennt! Wieder einmal! Unsere kurzärmeligen T-Shirts haben wir da schon lange vergessen.
Jede Band danach kann nur verlieren, … wir lassen Jolly Taxi seine 15 Bucks machen und freuen uns auf morgen.
Sonntag, 23. April