Montag, 3. März
Das Ergebnis des Online-Wetterberichtes verheißt nichts Gutes: minus vier Grad! Es ist 07:00 Uhr morgens, wir sind immer noch in Texas. Nicht zu ändern, zeigen wir Achim also das Curras. Die Servicelady meint, die Heizung sei kaputt, welche Heizung eigentlich? Florian bestellt mit größtmöglicher Selbstverständlichkeit zwei Shiner (Breakfast-Time), gut gekühlt, Achim reagiert gelassen, unser verabredeter Schocker zu Beginn der 14 Tage ging ins Leere. Oder er hat nichts anderes von uns erwartet. Breakfast in America …
Im HEB werden die notwendigen Einkäufe erledigt, fresh fruits für das Ernährungs-Gewissen – nur das Gewissen ermöglich uns (fast) alles zu tun und trotzdem „anständig“ zu bleiben – Coke und Wasser um das morgendliche Aufstehen zu flankieren. Ingwer ist durchaus nützlich für eine Tagesvorbereitung, nur auf Aspirin verzichten wir, die US-Ausgabe wirkt nicht, man müsste eine ganze Packung einwerfen und dann ist es auch nicht mehr günstiger.
Tagesziel ist Georgetown, nördlich von Austin, mit Donutstop (die anscheinend legendär sind) in Round Rock. Georgetown hat ein kleines, historisches Stadtzentrum, Ken’z Gitarrenladen und ein Bistro. Abends steht dann Eric Tessmer im Friends auf der Liste.
Wir statten allen drei Fixpunkten einen Besuch ab, mit unterschiedlicher Aufenthaltsdauer. Im Bistro entdecken wir den Hinweis: ROOTS! Very Cool!
Immer mehr Läden, Clubs und Restaurants müssen den steigenden Mieten und den noch schneller steigenden Bodenpreisen in Austin weichen. Lucy’s Surfer Bar zu, Steamy Pot geschlossen, der Yuppie-Schuppen „Lambert’s“ ist schon um 18:00 Uhr rammelvoll, laufen wir also über die Brücke vom Lady-Bird-Lake um festzustellen: The Upper Decks auch zu, da wir ins Threadgills ausweichen, stört das für den Moment nicht. Das Threadgills fällt nicht unbedingt für die Speisekarte auf, unverwechselbar macht den Laden der Biergarten (nur heute nutzt der uns nichts) und das riesige Arsenal an historischen Bandfotos, Poster, Alben. Mit viel Liebe zur Historie und zum Detail eingerichtet, mir ist niemand aufgefallen, der fehlen würde: Gram Parsons, Janis Joplin, Johnny Winter, Frank Zappa, Freddie King, Roy Buchanan um nur ein paar aufzuzählen, die sich in meinem Blickwinkel befinden.
Inzwischen regnet es auch noch auf leicht gefrorenen Boden, oh happy day!
Das riesige Friends in der Sixth ist fast leer. Der Türsteher drückt uns förmlich rein, wir müssen wohl nach Umsatz aussehen, warum auch immer das so sein mag. Die Show von Dave Scher & Band läuft bereits. Ambitionierte Blues-Gitarren-Arbeit, im klassischen Triogewand, manchmal funky, die mich an Johnny Guitar Watson oder auch an Roy Buchanan erinnert, inkl. seltener Jazzelemente. Überhaupt nicht Pop orientiert und eben auch nicht neu, aber bei der Mugge ist das ja ein Gütemerkmal. In höheren Tonlagen wirkt Scher’s Stimme auf eigenartige Weise wie vom Bluessound abgekoppelt. Das wäre neben dem lahmen Bassisten das einzige Manko. Ein komplett umarrangiertes „Learning to fly“ wird zum Höhepunkt des Auftritts, während Eric Tessmer schon sein Equipment reinschleppt. War gut, klar gibt’s Bucks von uns in den Tipkübel, für eine CD hat’s (zumindest heute) nicht gereicht. Der Auftakt in Austin war aber auch schon lauer.
Der Türsteher (gehen wir mal barmherzig davon aus, dass er seinen Job mindestens so ambitioniert ausführen möchte wie Dave Scher) übertreibt ein wenig. Ständig reist er den Eingang ins Friends auf, um trinkfreudigen (und somit zahlungsfreudigen) Kunden die überaus schwierige Prozedur des Türöffnens abzunehmen. Was mehrere Effekte zur Folge hat: eine Heizung ist auch im Friends nicht „erlebbar“, im Laden wird’s immer kälter, mehr Bluesfreaks sind nicht in Sicht, da eher die 12-Takt-Kunden (oder 12-Grad-Kunden?) vor den Temperaturen flüchten.
Der deutlich größere Name Eric Tessmer frickelt auch nicht vor mehr Anhängern … Jammerschade, Ziel am Einlass deutlich verfehlt, nee vermasselt. Vor Jahresfrist hat Eric das Saxon zerlegt wie kein anderer vorher (lassen wir Malford Milligan mal außen vor), Eindrucksvoll nachzulesen in Florians Text von 2013.
Wir sind immer noch vom Jetlag gezeichnet, übermüdet, durchgefroren und genervt vom Türsteher. Keine Ahnung, ob das ausreicht um vorher zu verschwinden. Achim kapituliert zuerst, wir eine halbe Stunde später. Eric Tessmer spielt routiniert einen vorhersehbaren Blues-Rock-Set, technisch absolute Spitzenklasse, das Überraschungsmoment fehlt trotzdem.
Das mag daran liegen, dass das Gitarren-Kabel die Bewegungsfreiheit deutlich reduziert, kein Gang durch die ungläubigen Gitarrenjünger, keine Pause vor dem Laden (während der Drummer sensationell weiter groovt) und auch kein zehnminütiges Solo vor heruntergeklappten Kinnladen. Blues-Rock at it’s best, schon oft erlebt. Dennoch: die CD-Sammlung wird erweitert und am letzten Sonntag im Saxon spielt der anders auf. 20 Grad plus, der legendäre Laden und in Tessmer we trust!
Dienstag, 4. März
Immerhin null Grad und gute Aussichten – unsere Stimmung im Magnolia Cafe ist bestens. Während wir den Tag planen, schaue ich aus dem Fenster und lasse meine Gedanken fließen, am Blechdach taut ein Eiszapfen auf, Albert Collins & The Icebreakers kommen mir in den Sinn, Gary Moore „Cold Day In Hell“ oder das pathetische „Hell Freezes Over“… Was steht heute auf dem Zettel? Antone’s Record Store, Waterloo Records, End of an Ear, Friend of Sound, alles coole Läden, noch cooler heute Abend der Generalriffmeister, David Grissom, inzwischen in Schwaben gelandet, da gehört er auch hin, oder?
Der Antone Record Store hat eine fantastische Bluesabteilung, unglaublich welche Schätze hier gehoben werden können und die Preise sind auch ok. Florian sackt Steve Earle’s „The Low Highway“ für sagenhafte 0,99 Dollar ein, used versteht sich, das spielt dann wohl kein Rolle mehr. Sogar der schwäbische Schwermetallist bereichert seine Sammlung mit „Car Wheels …“
Save Vinyl, kann ich da nur sagen, wollen wir hoffen, das Laden und Angestellte raue Zeiten überleben, gehandelt und gefeilscht wird hier nicht, Rock ’n’ Roll Ehrenkodex. Beide Gram Parsons-LP’s sind nicht vorrätig, im Original so teuer, dass sich ein Ankauf nicht lohnt. Das ist wenigstens mal ’ne Erklärung. Die Aufbauphase einer Sammlung habe ich schon länger beendet, nun geht’s ans Lückenschließen, dafür ist man im Antone’s bestens aufgehoben. Beim Stöbern wird mir klar: es bleibt noch viel zu tun … Auch erwähnenswert die kleine aber feine Tourpostersammlung.
Die Begrüßung im Waterloo Record Store ist freundlich, obwohl wir noch keine Goodies in den Händen halten. Martin inspiziert später meine Auswahl, die Remasterversion von Fleetwood Mac’s Boston-Sessions erhält volle Zustimmung. Beim Fachsimpeln über Ten Years After, Humble Pie oder Chris und Rich Robinson (die neue CR Vierer-LP-Box kann auch der riesige Waterloo Record Store nicht liefern) hoffe ich, dass aus der „Vinyl-Fata-Morgana“ dann doch noch ein „Deja-Vu-Erlebnis“ wird. Bin mir wirklich nicht mehr sicher ob „Betty’s Blends S.F.“ tatsächlich erschienen ist. Geduld ist gefragt. Martin empfiehlt mir David Grissom, war ein guter Versuch … wir sehen uns später!
Es ist eine Binsenweisheit, dass in jedem Niedergang auch die Chance auf eine Veränderung steckt. Achtzig Prozent aller Probleme sind nicht existent, die anderen zwanzig lösen wir. Opal Divine und Momo’s zu, Lucy zu, Woodrow’s öffnet später, ebenso das Dogwood’s, ziehen wir also weiter ins Wahoo’s, gleiches Kiez, eigentlich eine Fish-Taco-Kneipe, wir haben andere Präferenzen. Sehr junges Publikum, das Personal dürfte nach Beendigung der Schicht keine Bar ohne Aufsicht betreten. Und was kommt aus den Boxen? Kein fucking Justin Bieber, keine unerhebliche Lady Gaga. Hendrix, Stones, Doors, Beatles, Fleetwod Mac stehen auf der Playlist. Schöner Ort um Kraft zu tanken. Wir reden über Musik, wieder mal.
Auf dem Weg ins Saxon Pub schieben wir lebensnotwendige Kalorien im festen Aggregatzustand nach. Der sonst experimentierfreudige Schulzie hat uns immer an Schlotzky’s vorbeikutschiert, die Magie der fetten Rippchen bei Artz war stärker. Dicker Tipp!
David Grissom spielt als primus inter pares in und mit seiner Band. Mal mit Keyboard, mal ohne, immer auf höchstem Niveau, kein Notenjäger, die Songs stehen trotz längerer Soli immer im Mittelpunkt. Ein Blick zu seiner Band, die Einsätze sitzen messerscharf. Fehler werden mit einem knappen Kopfschütteln quittiert. Alles was er macht, hat Hand und Fuß, Jessica, eigene Songs, Jampassagen, Rock ’n’ Roll im Keef-Style. Lediglich der Gesang auf den ersten Scheiben bietet noch Potenzial zur Steigerung. Aber alles kann man nicht haben, wie Florian in einer früheren Zusammenfassung treffend bemerkt hat. Unzählige Musiker der ersten Reihe haben durch seine Studiodienste oder als Tourmusiker ihre Scheiben und Shows veredelt. Bob Dylan oder Budy Guy, um nur zwei der ganz Großen zu nennen. Auf dem Sticker zur neuen Buddy Guy „Rhythm ’n’ Blues“, wird Kid Rock erwähnt, den kein Mensch braucht, den Gitarrensound hat neben Guy ausschließlich Grissom verantwortet. Für einen Hinweis auf dem Cover hat’s nicht gereicht. Nehmen wir mal an, dass es ihm egal sein wird.
Gesehen haben wir ihn oft, schön dass er inzwischen bei Blue Rose gelandet ist, im Frühjahr steht eine kleine Deutschlandtour an. Must have. Umso besser, denn heute werden wir ihn nicht sehen, die für Austin arktischen Temperaturen haben ihn niedergestreckt.
Im Saxon findet derzeit eine Privatparty statt, für das 50jährige bestehen einer Music-Company.
Zwei Shiner, zwei Bourbon wir verschwinden Richtung Blue Moon. Aah Blue Moon, da war doch was! Blue Moon, genau, der frühere Blues-Club aus der Sechsten. Noch was? Unglaublich, welche Wunderwerke die plastische Chirurgie inzwischen zustande bringt. Unsere zweijährige Club-Abstinenz wurde genutzt um nochmals nach zu polstern. Aber im ernst, wir sind der Mugge wegen hier. Cool, dass es doch noch Blues in Austin gibt, der sich nicht wie einst auf der versifften Toilette fortsetzt. Wir kommen wieder, nicht unbedingt zu den langweiligen Altar Boyz, mal sehen.
Florian, hat das Mohwak am Red River auf die Tagesordnung gesetzt. Wenigstens ist es warm hier, wir hängen am Kamin ab und steigen für den Rest des Abends nachhaltig auf Margaritas um.
Der Club besteht aus einem Outdoorbereich, einer Bar und einem Showroom – und einem Lokus der wieder einmal feinen Sorte. Trotzdem ein brauchbarer SXSW-Venue, war (glaube ich) mal bei Sarah Jaffe hier.
Eröffnet wird von dem uns bis dahin unbekannten Ian Macdougall, Songwriter und Gitarrist von den bis dahin ebenfalls noch unbekannten „Broken Gold“.
Eine überragende Stimme hat er sicher nicht, aber bestimmt das Verständnis für gute Songs und gute Stories, was bei einer Soloshow der wesentlichste Aspekt sein muss. Immer die kleinen Irrungen des Lebens im Blick, zumeist kurzweiliger Vortrag, der mich gespannt macht, wie das wohl mit Band klingen könnte. Da die Songs in Full-Version vermutlich mehr zünden als beim erlebten Gitarre/Vocals-Vortrag, lege ich mir für kleines Geld zwei Scheiben zu. Erinnert mich ein wenig an Todd Thibaud, dessen Solopulver nach ca. sechzig Minuten auch ein wenig feucht wird, im Bandkonzept aber immer funktioniert. Merkwürdig schräg die Freundin des Hauptprotagonisten, die während Ian’s Show unentwegt ihr iPhone malträtiert. Keine Ahnung ob sie eine Pizza oder einen Plattenvertrag bestellen wollte. In einer seltsamen Mixtur aus Respektlosigkeit, Desinteresse und Angenervtheit folgt sie eher nicht ihrem Favoriten. Das macht hart, das liefert Songs. War ganz ok.
Den Namen des Gitarren-Jazz- Fricklers habe ich vergessen, Scott oder so ähnlich, war überambitioniert, war nix. Später, bei der Recherche entdecke ich den richtigen Namen, der hier, um der Vollständigkeit Rechnung zu tragen genannt sein soll: Scott Reynolds.
Kevin Seconds (mir ebenfalls unbekannt) war dann eine ganz andere Liga, Florian wird dass zu gegebener Stunde an dieser Stelle zusammenfassen. Vorab soviel: war cool, erinnert an Chuck Ragan, „Off Stockton“ steht jetzt im Regal. Acoustic-Gitarre/Songwriting voller Hingabe. Vom Feinsten.
Auf dem Zimmer knipsen wir uns mit ein paar Shiner für heute die Lichter aus. Es war kalt, es war warm, Austin, was für eine Stadt.
Mittwoch, 5. März
Wirklich faszinierend ist die Unberechenbarkeit der Stadt und die Möglichkeit, sich musikalisch immer wieder fallen zu lassen, tonnenweise Inspiration aufzusaugen, fündig zu werden, sich plan- und ziellos durch das unglaubliche Gewirr der Bands treiben zu lassen. Wenn nichts ansteht, kein Problem, sei bereit für das Unvorhersehbare. Das liefert die wahren Glücksmomente.
Tja, heute steht nicht viel an, was den Vorteil hat, auch mal nichts zu schreiben. Vom Factory-Outlet in San Marcos müssen wir nun wirklich nicht mehr erzählen, ist, wenn auch notwendig, wohl eher kein Rock ’n’ Roll.
Florian hat einen riesigen B-B-Q, wie können wir das beschreiben, Laden wäre falsch, Restaurant trifft es überhaupt nicht, Outback-Grillplatz entdeckt. Klare Sache, wird getestet. Auf der Fahrt von San Marcos nach Salt Lick befinde ich mich in einem angenehmen Dämmerzustand zwischen Wachsein und Schlaf. Wenn ich aufwache wirkt diese wunderschöne Hügellandschaft erstaunlich surreal . Dieses Konglomerat aus Weidefläche, vertrockneten Büschen und Bächen, die im Moment noch etwas Wasser führen, ist der optimale Hintergrund, um die Gedanken schweifen zu lassen. Komisch, je länger ich hier bin, umso sorgenfreier werde ich. Der Rückbank ist im Augenblick der schönste Platz der Welt. Die Heilung beginnt. Einzig die Tussy aus dem Navi nervt: „Sie haben ihr Ziel erreicht!“. Wo, bitte schön, soll hier ein Ziel sein? Doch plötzlich links, wie aus dem Nichts, eingebettet zwischen Weinstöcken und einem riesigen Parkplatz (Achim meint, dass hier schon was geht, sonst würde der Parkplatz kleiner ausfallen) steht im Original-Texas-Holzhütten-Style (in Groß) das Salt-Lick-B-B-Q. Schon das Schild am Eingang „No soft drinks beyond this point“ garantiert uns, dass wir richtig
sind. Allerdings haben wir das falsch interpretiert, Bier darf man mitbringen, Coke etc. nicht, die wird hier verkauft. Im Weingut nebenan ersteht Florian erstmal einen Eimer Shiner.
Dann dürfen wir ein einzigartiges Grillspektakel erleben, Brisket, Wurst, Ribs, Turkey, dazu Salat, Brot, Kartoffelpü, Bohnen, Jalapenos, fantastische Saucen. Kein Wunder, dass uns unterwegs keine Longhorns begegnet sind ... Das Unglaublichste ist der eigentliche Grillplatz. Wer hat sowas vorher schon mal gesehen, ehrlich?
Wir lassen es uns gutgehen und philosophieren über den Inhalt von „Herrenhandtaschen“. Mein Kumpel Didi hat mir sowas zum Eintritt in das sechste Lebensjahrzehnt etwas augenzwinkernd geschenkt, wer weiß, vielleicht soll ich nun endlich vernünftig werden. Die Prognosen hierfür stehen eher ungünstig. Froh bin ich, dass Florian auch die Dienste einer „Herrenhandtasche“ nutzt (eine ganz normale Umhängetasche) sonst wäre ich wohl DvD (Depp vom Dienst). Der Inhalt ist auch eher unspektakulär, BBB-Visitenkarten, Notizbuch, ein Reserve-Shiner (um sich selbst und mögliche Coyoten im Augenblick höherer Gefahr zu beruhigen), Foto, nicht erforderlich ist Gottseidank eine Erkennungsmarke, unüblich wären Kondome … den Rest überlasse ich Achims Fantasie. Was für ein Tag, fehlt nur noch Mugge!
Im Cactus-Cafe steht Fred J. Eaglesmith auf dem Zettel. Wollte ich unbedingt sehen, die Metallisten schließen sich auch mangels Alternativen an. Das Cafe wird von der Uni beherbergt, schon der Weg dorthin gleicht einer veritablen Slapstick-Komödie. Endlich angekommen, wird uns bedeutet: Zugang nur von der anderen Seite. Machen wir doch gerne, wollen ja schließlich zu Eaglesmith. Dumm nur, dass auf der anderen Seite alle Türen für uns verschlossen bleiben. Wir drücken unsere Nasen an Fensterscheiben platt und werden wieder an unseren Ausgangspunkt gewinkt. Aha, klappt doch! Das Cactus-Cafe ist ein relativ kleiner, bestuhlter Raum mit Theke (heute ist unser Tag), schweren Vorhängen und noch ca. fünf freien Plätzen links vor der Bühne. Bestens ausgerüstet von unserem „Sponsor Shiner Bock“ plumpsen wir auf die unbequemen Stühle.
Die Fred Eaglesmith Traveling Steamshow muss man als dreiteilige Rock ’n’ Roll Revue verstehen, die an Ironie und stellenweise auch an Zynismus nicht zu überbieten ist. Ein hochexplosiver Absud aus Dylan’s Rolling Thunder Revue (nicht den Sound betreffend) und dem historischen Festival-Express, nur das bei Eaglesmith der Zug durch einen Tourbus ersetzt wurde. Musikalischer Vortrag und Spoken Words halten sich die Waage.
Zu Beginn steht der launische Kommentar von Bill Poss auf der Agenda, so eine Art Spiritus Rector, Tourmanager. Ideenlieferant und Stimmungskanone im Tourbus – kann man wohl sagen, mit der Eaglesmith-Gitarristen und Sängerin Tif Ginn hat er zwei gemeinsame Kinder, die Daddy live voll unterstützen. Bill Poss’ Revier ist Bluegrass, nicht unsere Sache, heute gibt es Überzeugungsarbeit sich zumindest mit der Poss’schen Variante einer vormals eher den konservativen Kreisen zuzuordnende Musik auseinanderzusetzen.
Der Vortrag lebt von Geschichten voller Ironie. Als sich Poss entschloss, Organic Farmer zu werden, hat sein Adlatus geraten „Papa lass es – aber habe zumindest eine Story wenn du zur Bank gehst“, wie Amerika kaum treffender beschrieben werden könnte, aus dem alternativen Blinkwinkel, versteht sich. Dieser Rat, das können wir bestätigen, hat sogar transatlantische Geltung. Oder die Bitte, doch am Merchstand den Geldbeutel zu öffnen, um den Tourkids eine ordentliche Bildung zu gewährleisten, für „hometeaching …“ Smart lächelnd, wissend um den bestellten Boden räumt Daddy die Bretter für Mommy, Tif Ginn. Das war mal saucool!
Tif Ginn ist die Band von Eaglesmith ohne Fred und ohne Lebensgefährte Bill. Musikalisch im Alternative Country verortet, aber eine treffende Schublade kann man fast nicht aufziehen für die auch optisch sehr ungewöhnliche Band. Überhaupt kein klassisches Country-Ding, ein Mosaikstein der gesamten Steam-Show, mit erstklassigen Musikern, insbesondere der Slide-Gitarrist (seltener auch an den Tasten), daherkommend wie eine Neuzeitausgabe Fred Astaire’s oder die am Bass groovende Schwester Tif’s. Lucinda zu erwähnen wäre langweilig, trifft es auch nur rudimentär.
Fakt ist, wenn man das Country nennen würde, ist es genau die Art American-Country die ich hören möchte. Das hat alles große Klasse. Die Scheiben gibt es nur im Eigenvertrieb und im Online-Store. Muss nicht so bleiben …
Im Mittelpunkt der Show, vor einem fachkundigen Publikum steht, wie könnte es anders sein, Fred J. Eaglesmith, der es u. a. mit dem brillanten Album „50 Odd Dollars“ ins Plattenregal geschafft hat.
Die Tellin’ Stories und der fulminante, bisweilen bitterböse, musikalische Vortrag, wechseln sich in einer aberwitzigen Geschwindigkeit ab, dass es schwer fällt, den roten Faden zu behalten. Americana-Songs voller Sarkasmus, der auch dem Publikum entgegenbrettert, „don’t scream“ ( zu Recht). Alle bekommen ihr Fett weg, Eric Burdon, am treffsichersten die Eagles-Schmalzer, die immerhin 200 $ für ein Ticket ziehen. Die Eagles haben wesentlich weniger Buchstaben im Bandnamen (als Eaglesmith), Fred bekommt freilich nur 20 Bucks. Hey Folks, is it Rock ’n’ Roll? Ja, leider, doch zumindest ich bitte am Merchstand um Absolution und zolle den notwendigen Respekt. Zwei Alben und ein paar Drinks später endet ein unvorhersehbarer Tag. Das ist der wahre Grund für unsere Tour.
Donnerstag, 6. März
No Shirtsky, No Shoesky, No Schlotzky prangt am Eingang des Sandwichbäckers. Ein T-Shirt haben wir an, Schuhe sowieso, da steht dem Angus Pastrami nichts im Weg. Muss man mal probiert haben. Schon seit Jahren berichten Mitglieder der Deutschen-Austin-Liga vom imaginären Oasis-Restaurant am Lake Travis. Was soll ich sagen, See und Biergarten sind so real, dass es schon wieder unwirklich erscheint. Texaner haben durchaus einen Blick für Schönheit, der sich nicht ausschließlich auf weibliche Cowgirl-Boots beschränkt. An der Straße zum Lake Travis stehen repräsentative Südstaatenvillen auf großzügigen Grundstücken, für Eigentümer mit ausreichend Spielraum zwischen Daumen und Zeigefinger. Auch hier gilt: Lage, Lage, Lage!
Die Umgebung verdient den Begriff „Recreation Area“, das Restaurant auch. Die clevere Servicemaus hat uns relativ schnell den teureren Margarita untergejubelt, dass wir Chips wollten war uns auch nicht bewusst. Die Sonne scheint auf den Bauch, wer nicht genießt ist ungenießbar – wollen wir nicht sein …
Wir erhalten beim Saucenkauf noch einen kleinen Exkurs über texanische Gepflogenheiten und die Vervollständigung der Geschichte.
Japanische Küche haben Florian und ich noch nie getestet, Achim schwärmt uns davon vor, der Trip-Advisor liefert die nötigen Vorschläge. Die relativ kleine Garbude ist gut voll, es brummt, viele asiatische Gäste und ein buntes alternatives Völkchen. Der Indikator für gute und preiswerte Küche. Naja, war. i.O., der große Anhänger werde ich wohl nicht mehr.
Von zehn Jess-Klein-Alben sind neun an mir vorübergegangen, erst die Kollaboration mit Blue Rose hat meinen Blick für die New Yorkerin geschärft. Die Ähnlichkeit mit der jungen …
ist schon frappierend. Die Stimme könnte man unter Quersumme aus Stevie Nicks und Lucinda Williams einsortieren, nicht so lasziv, mindestens so präsent. Kongenial begleitet am Bass von Mark Addison, dessen ganze Show aus zwei, drei Sidesteps besteht. Immer schön ruhig, kontrollierter Groove, der Gitarrist Billy Masters setzt die glänzenden Kontrapunkte an der Slide. In den manchmal beklemmend ruhigen Momenten erinnert mich das Spiel an Vic Chesnutts „North Star Deserter“, balladeskes Südstaatenfeeling, ein Americana-Ausrufezeichen! Zu erzählen hat die vom Leben schwer geprüfte Jess ohne Zweifel. Obwohl sie blendend aussieht und ein positives Karma versprüht, ist die gelegentliche Schwermut in ihren Songs greifbar. Die Show besteht aus zwei einstündigen Sets,
selbst die eigenartige Location in einem Supermarkt mit nur wenig Interessierten (die meisten Anwesenden sind schmatzen und glucksend mit ihren french fries und der Dosencola beschäftigt), langweilig wird das nie. Am Ende reden wir ein wenig, wir erhalten sogar Grüße von der Bühne. Da der Titel „Best Newcomer“ schon an Tif Ginn vergeben zu sein scheint, wird an dieser Stelle „Beauty 2014“ reserviert.
Im Woodrow’s bereiten wir uns auf Owen Temple vor, egal wessen Idee das nun war. Eine Fahrradrikscha kommt für uns wohl kaum infrage, so ein Elektrodingens auch nicht, bis wir am Saxon sind, ist der Akku leer. Also ist Taxifahren angesagt, diesmal ein Inder, der weder das Saxon noch den Weg dorthin kennt. Macht ja nichts, wir helfen gerne!
Es ist Mitternacht, Owen Temple stöpselt die Gitarre ein. Sofort ist klar, dass Owens Tag auch schon ein paar Stunden alt ist und nicht nur aus Mineralwasser bestand. Der Antipode des Songwritings, der
rückwärtsgewandt gegen alle modernistischen Strömungen sein bitteres Tun verrichtet, Gift und Galle spuckt und dann wieder freundlich grinsend sein Lone-Star abzieht, das es sich auf einem eigens dafür reservierten Barhocker bequem macht. Florians Befürchtung einer Countryshow geht voll ins Leere, die Empfehlung nach Colin Brooks Abgang bei den Heathens evtl. über Owen Temple nachzudenken, ist so naheliegend wie logisch. Da wäre uns die beliebige Frühstücksplatte erspart geblieben. Großes Americana Songbook, eine wenig Hayes, ein wenig Shooter und jede Menge Owen Temple. Alben werden gekauft (don’t tell it Edgar), das Vinyl vorab bezahlt und tatsächlich, am nächsten Nachmittag wird es wie von Geisterhand unter meiner Zimmertür durchgeschoben.
Vielen Dank für alles.
Zimmerbier bis vier, gute Nacht!
Freitag, 7. März
Das Counter-Cafe war doch kein Selbstbedienungsladen, dafür war das Publikum so alternativ angehaucht wie die Wachtel auf unserem Teller. Mir war bisher nicht bewusst, dass ich Wachteln esse, Achim’s Einfluss wirkt nachhaltig.
Florian holt eine vergessene CD im End of an Ear ab, wir stoppen im Friends of Sound, ich suche noch alte Phil-Spector-Aufnahmen von Ike & Tina Turner, wird heute wohl nichts mehr. Tagesziel eins ist der Lone Star Record Shop in San Marcos, Tagesziel zwei ist Malford Milligan im Saxon Pub.
Sosehr ich Nischenläden und deren Betreiber schätze, was wir heute im Lone Star in San Marcos erleben müssen, strapaziert unsere musikalische Geduld auf’s Äußerste. Nichts gegen Vielfalt und schon gar nichts gegen eine andere Meinung (wir möchten schließlich auch Respekt für unsere Geschichten), der voluminöse farbige Salesman hat scheinbar Attacken auf unser Nervenkostüm vor. Uns donnert ein unkontrollierbares Rapgeboller entgegen, als wenn das nicht schon genug wäre, erschüttern schrillste Bläsersätze Mark und Bein. Bushido auf Acid Rap, obwohl, jetzt tue ich dem Sound doch unrecht, so dämlich kann das ja gar nicht sein. Nur zur Erinnerung: wir sind in einem Americana-Laden. Die Phil-Spector-Aufnahmen habe ich gefunden, ich betrachte das jetzt mal großzügig als Wiedergutmachung, Schwamm drüber!
Achim googelt Buffalo-Burger, es verwundert kaum dass wir fündig werden, genauso wie den Schneider heute Morgen, um eine Hose zu kürzen. Hier musst du immer mit allem rechnen. Sei vorbereitet …
Inzwischen sind Edgar und Beate da, müssen doch nicht campen, Wolfgang hatte nicht so viel Glück, trotz einer Reservierungsbestätigung, dass ist nicht wirklich lustig. Bin gespannt, ob Duisburg-Thomas morgen sein reserviertes Zimmer beziehen kann. Awesome-Austin (Double A) an der Rezeption ist außer Kontrolle geraten.
Die wie ein sagenhaftes Geheimnis gehütete Heathensshow heute Abend im Speakeasy findet nicht statt. Interessiert hätte das schon, wie eine mehrfach durcheinandergewirbelte (früher erfolgreiche) Band ein laues Album live performt. Ich schwöre, Voyeurismus hat bei uns keinen guten Platz.
Ich höre schon die Stimmen, „die machen jedes Jahr das Gleiche“, ich möchte hier an Kevin Seconds oder auch an Tif Ginn erinnern, aber Malford Milligan ist ein must see, der das Saxon noch kräftiger durchschüttelt als ein Eric Tessmer. Mit der Stimme, Leute, mit der Stimme. T-Bone Walker’s „Stormy Monday Blues“ bringt es fast auf den Punkt. Hhm, es ist Freitag, stürmisch ja ok., Blues, naja sagen wir mal (wenn überhaupt) R&B (bevor der Begriff von ignoranten Moderatoren geschändet wurde) also kurzum: Stormy Friday Funk!
Vom ersten Takt an ist klar, dass Malford die nächsten 90 MInuten alles geben wird, flüstern, schreien, klagen, röhren, „seine funky-four“ dirigiert wie ein riesiges Orchester, immer wieder zu veritablen Luftgitarrensoli ansetzt, mit seinen Fäusten das letzte Brustvibrato raustrommelt, um dann, gleich einem Zeremonienmeister mit einer knappen Handbewegung der Band Einhalt zu gebieten. A soul of a man & a soul of a band, und die Band ist riesig. Der Keyboarder mit Gospelfeeling in der Stimme, dass dem Teufel angst und bange wird, in Habitus und Sound ein Gesamtkunstwerk, der Bassist mit Voodoo-Groove und Voodoo-Blick, der
dem neuen Drummer einheizt: hier hast du verdammt nochmal Gas zu geben. Messerscharfe Soli des Gitarristen, der Storyville-Grissom in nichts nachsteht, auch wenn der Stil ein ganz anderer ist. Und Miiligan ist nichts fremd und schon gar nichts unmöglich, Thin Lizzy, Earl Hines, Stephen Bruton, Beatles, ja auch, „Revolution“ war so clever umarrangiert und auf eine Melange aus Soul und Rock gebürstet, dass nur der Text auf die Urheberschaft schließen lies. A soul of a man! Der Titel wurde schon oft vergeben, Milligan trägt ihn wie es sich für einen Shouter seiner Klasse gehört: The Voice!
Vor ein paar Stunden hat der Labelchef beim Sichten meiner Platten gefragt. „Was willste mit alten Soulkram?“ Frage beantwortet?
Wir diskutieren im Woodrow’s bis in die späte Nacht, Anlass gab es dafür genug!
Samstag, 8. März
„Holy Shit! What a Jacket!“ lallt der gezeichnete Texasbulle um 0:00 Uhr an der Pissrinne neben mir.
Wir sind in der Gruene Dance Hall, der ältesten ihrer Art in Texas. Soeben haben die Dirty River Boys die wackeligen Bühnenbretter verlassen, die von sich im Kreise drehenden Hormonskandalen (man nennt das auch tanzen) bedrohlich ins Wanken gebracht wurden. Aber der Reihe nach. Mit der Blue-Rose Familie starten wir im Curras in das Musikwochenende. Die Stadt schwillt an mit Interactive-/Film-/ und Musikfreaks, wie ein gutartiges Geschwür, meistens. Edgar und Beate wollen zu „Drei Akkorde Für Ein Hallelujah“ nach Luckenbach, wir fahren nach Gruene zu den Dirty River Boys, sind uns sicher, das wird genauso cool.
Obsession ist gut, wenn sie dann und wann auch mal besiegt wird. Ich verlasse den Waterloo ohne neues Acetat – dafür mit der Parkplatz-Running-Order der nächsten Tage. Nichts Besonderes, sieht man mal vom Swamp Rocker Tony Joe White ab.
Um auszutesten, ob das Salt Lick B-B-Q wirklich so gut war, geben wir der überdimensionierten texanischen Grillbude eine zweite Chance. Rotwein und Rippchen später quittieren wir: Yep, genauso, nun haben wir Gewissheit.
Es regnet in Strömen, die Scheibenwischer arbeiten am Anschlag. Beate und Edgar sind, wie wir später von Robert und Iris erfahren, auf halber Strecke wieder umgekehrt. Leuchtet ein, bei Nacht und Dauerregen knapp zwei Stunden durchs Outback, ohne Sicht, das macht nicht wirklich Spaß. Ein Glück, dass Gruene näher ist. Ein orkanartiger Regen empfängt uns bei Einbruch der Dunkelheit.
Wir werten das jetzt mal großzügig als Omen für die Show der Dirty River Boys. Auch schon ein paar mal live erlebt, „Akustico Furioso“, Florian hat mich seinerzeit inspiriert und überzeugt, mal sehen. Am Eingang stempelt uns ein Sheriff die Hände, der ist nicht so überfordert, wie manche Ordner aus der alten Welt. Bewaffnet mit zwei Shiner, Achim fährt, stellen wir zuerst fest: rappelvoll!
Alle Alterklassen und alle Gewichtsklassen sind vertreten, Spießer mit Cowboyhüten die vom Gottesdienst kommen, Outlaws, exaltierte Mittzwanzigerladies in Cowboystiefeln mit Miller Lite, mittendrin fünf Rock ’n’ Roll-Expediteure.
Supportact übernimmt der Chubby Knuckle Choir aus Bastrop, nordwestlich von Austin. Der Texas-Chor (immerhin sechs Musiker stark) bindet uns einen Strauß an musikalischen Wildblumen, Zydeco (tatsächlich wird hier von einem Rastafari ein Waschbrett gespielt) Cajun, Country-Rock, Al Jarreau auf Americana. Eine gut geölte Band aus dem schier unerschöpflichen texanischen Reservoir, überzeugend im Country-Rock und immer noch interessant bei der Verschmelzung der Stile. Chris Jagger’s Atcha kommen einem noch in den Sinn, oder Reckless Kelly die Louisiana ein Album aufgenommen haben. Dass die ungewöhnliche Band und das Publikum im straighten Gruene so abgehen, verwundert fast ein wenig. Gut vorgelegt, gut angeheizt.
Wäre das heute unser erster Livegig bei den Dirty River Boys aus El Paso, TX, müsste unser Fazit einhellig ausfallen. Famose Musiker, mit blindem Verständnis für den Nebenmann, die Instrumente werden getauscht wie die Shinerflaschen an der Bar, in dem Vierer spielen alle alles. Der Name war Programm: dreckige Jungs machen einen dreckigen Akustik-Sound, die waren einst so abgewetzt wie ihre Instrumente. Wir reiben uns die Augen, auf der Bühne steht ein komplettes Drumkit, das Cajon das definitiv stilbildend für die River-Boys-Mugge war, spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Immerhin, der Stehbass blieb erhalten und lümmelt manchmal vernachlässigt auf der Bühne rum), wenngleich zugunsten eines E-Basses der Anteil um fünfzig Prozent verringert wurde. Der Sound geht nach vorne, ist treibender, energischer und elektrischer, Highspeed-Americana-Akustik, jetzt mit Strom. Florian meint, alle Nummern mit Upright Bass kommen authentischer rüber. Ja, das trifft den Kern der Sache. Dass sich die Band dann auch noch optisch wie Roots-Mainstream definiert, ist nur noch eine Randnotiz.
Den Protagonisten auf der Tanzfläche jedenfalls hat’s gefallen und uns eigentlich auch, nur Achim fand’s langweilig, was als Urteil zu hart ist. Ausgerechnet beim „Just-Like-A-Woman-Cover“ entscheiden sich die Texaner für eine Akustikversion, unstrittig saugut gespielt, aber das kennen wir vom Original. Dass es anders geht, erfahren wir mit einer grandiosen Zugabe: Honky Tonk Women. Mehr dreckiges Roots-Feeling hätte der Komponist auch nicht hinbekommen. Gehen wir mal davon aus, dass die Show am Dienstag im Saxon Pub ein ganz andere sein wird. Holy Shit, what a night.
Sonntag, 9. März
Im Fonda San Miguel an der 42. Straße starten wir mit einem Mexico Brunch in den Tag – mit Ritas, wie es sich gehört. Die Vielfalt und die Qualität war fast erdrückend, um uns den Vorwurf der Dekadenz zu ersparen, legen wir über den Preis den Mantel des Schweigens.
Es liegt nicht viel an, wir erledigen ein paar Einkäufe in und um Round Rock, reiner Zufall, dass da auch ein Plattenladen angesteuert wurde. Der Piranha Record Store ist gut sortiert. Irgendwie finden wir immer was, eine Uralt-Eric Burdon im Originalcover, etwas ramponiert, aber immerhin.
Duisburg-Thomas läuft uns über den Weg, er hat sein Zimmer bekommen, prima! Inzwischen ist auch die 6th. Gesperrt, geschieht auch jedes Jahr früher.
Im Mohawk steht eine Florian-Empfehlung auf der Liste.
Mir sagen die Ravonettes bisher nichts, das line-up klingt jedenfalls schon mal sehr interessant, zwei Gitarren, Schlagzeug fertig, los!
Der Gedanke, dass nicht jede Band in eine Schublade passt, ist abwegig. Wenn eine davon nicht ausreicht, werden eben mehrere aufgezogen, denn an irgendwas muss sich ja der kauffreudige Fan orientieren können. Ich stelle mir eine Labelbeschreibung eines neuen „Produktes“ vor: „Band XY passt in keine Schublade!“ Na prima, wer bitteschön kauft den „Artikel“.
Kurzum, hier unsere Auswahl, die Ravonettes betreffend:
Joy Division (Florian)
Shearwater (Florian, Gunther)
Dinosaur Jr. (Florian, Gunther)
Walkabouts (Gunther)
Dream Syndicate (Gunther)
Experimentierfreudiger Indie-/Alternative-/Garagen-/Gitarren-Sound (hey, was für eine Schublade), seltene Kombination aus zwei Leadgitarren und einem Drumset, wobei die Gitarre von Sharon Foo dem Vergleich zu Sune Wagner (der dem jungen Steve Wynn von Dream Syndicate verblüffend ähnlich sieht) nicht standhält. Eine Band mit zwei Gitarren ohne Bass könnte durchaus funktionieren, großes Manko ist, dass der Bass gesampelt wird und Sharon nur gelegentlich die vier Saiten zupft. Wir sind uns sicher, der Sound des Trios aus Dänemark hat diese Sound-Spielereien ei nicht nötig. Die Ravonettes überzeugen trotz ungeheurer Lautstärke und Retortenbass. Auch Sharon überzeugt, wie das Foto eindrucksvoll dokumentiert.
Später im Woodrow’s bringen Florian und ich Beate noch ein Ständchen. Der Hosen-Song „Hofgarten“ war bisher nicht bekannt. Wir intonieren textsicher und machen unserem Ruf als Magarita-Guerilla alle Ehre.
Montag, 10. März
Die Temperatur steigt, der Siedepunkt rückt näher, die Zeit wird knapper und da der Mensch auch essen muss ist das „Schlotzky’s“ der perfekte Startpunkt für den Tag, der letzte vorm Festival. Schlaf spielt dann nur noch eine untergeordnete Rolle, die Prioritätenliste bei der Kalorienaufnahme wird komplett durcheinander gewirbelt. Auch der Tourplan sollte schon längst neu geschrieben sein, nur wann?
Im Convention Center holen wir unsere Badges ab, der dazugehörige fette Programmkatalog ist immer noch nicht fertig. Urplötzlich und unerwartet stand am 10. März 2014 das Southby vor der Tür. So was aber auch!
Die Coldplay-Registrierung ist überflüssig (Kollege Rudi sagt wie die Band) die Chancen sind gering, ausgelost zu werden. Wir versuchen es dennoch, sollte ich gewinnen, bekommt Florian meinen Zugang, gegen eine kleine Shiner-Abstandszahlung, um nicht das Gefühl zu vermitteln, auf Geschenke angewiesen zu sein.
Würde ein Titel für den coolsten Platz für auf dem Planeten vergeben, Luckenbach wäre garantiert in der Endausscheidung. Der Drei-Einwohner-Ort im texanischen Outback, ca. 1,5 Autostunden von Austin entfernt hat erhöhtes Titelpotenzial. Hier kacken die Hühner von den Bäumen auf Touristen, ein Amardillo spielt Gitarre,
im Generalstore kannst du lauter lebensnotwendige Dinge erwerben, z.B. einen Besen. Und wenn du so richtig Glück hast, gibt’s obendrauf noch eine Eintrittskarte für die unglaubliche Luckenbach Dance Hall. Zu cool darfst du aber auch nicht sein, z.B. vier Bier bestellen oder richtig vor der wackeligen Holzbühne abrocken, dann fliegst du raus, schnippschnapp macht der Willie-Nelson-Sheriff dir dein Einlassband ab. Uns kann das nicht passieren, niemals, denn THIS IS GERMAN-TEXAS wie uns vor ein paar Jahren bedeutet wurde. Yep!
Heute Nachmittag ist’s wie immer in Luckenbach, ein paar Rocker lungern rum, die Hühner kacken wieder die Touristen voll, texanische Hormonskandale blinzeln müde in die Sonne. Die stehen nur auf, wenn sie zum Pissen müssen oder eine neues Miller Lite nachfassen. Und vorm General-Store, findet, auch wie immer, der Picker-Circle statt. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, hm, sagen wir mal 1880 mit einer winzigen Ausnahme: damals gab es kein iPhone, dass die Kommunikation fast vollständig ersetzt hat. Früher lagen 10 Revolver auf den Theken rum, heute sind es Mobiltelefone in gleicher Anzahl. Jetzt wäre noch die Frage zu klären was ist besser? Na, lassen wir das lieber. Obwohl: Revolver haben auch die meisten dabei, Frage beantwortet!
David „Picker“ (den richtigen Namen haben wir vergessen und der ist auch nicht wirklich wichtig) spielt Songs voller Traurigkeit und Sehnsucht,
Johnny Cash, Hank Williams, die ganze Ahnenreihe halt. Richtig erfolgreich scheint er nicht zu sein, dafür aber ist er richtig gut. Überhaupt ist der Picker-Circle eine fantastische Veranstaltung. Der Hautprotagonist nimmt auf einem Stuhl nebst ramponierter Klampfe und Tippkübel Platz und spielt zumeist historische Songs auf Zuruf. Neil Young klappt heute nicht, dafür Johnny Cash, dar klappt immer. Wem’s gefällt, dem ist das dann auch ein paar Bucks wert und wer möchte, darf mitspielen, alles kein Problem. Wer keine Klampfe sein eigen nennt, oder keine dabei hat, leiht sich halt eine aus, gibt’s auch im General Store, macht mehr Sinn als überflüssige Besen. Unser „David-Picker“ wird auch schnell von zwei Gästen begleitet, einen Plattenvertrag werden alle drei nicht erhalten. Aber eines kann ich euch sagen: saucool war’s, wie immer in Luckenbach. Die Fahrt alleine lohnt schon, wir haben heute eine andere Route gewählt, der Weg adelt das Ziel zusätzlich. Mein Ort, ach was, unser Ort!
Um ganz sicher zu sein, das das Salt Lick wirklich so gut war wie schon zweimal beschrieben, docken wir ein drittes Mal an. Ja, stimmt, stellen wir doch tatsächlich fest jetzt reicht es aber auch. Enough is enough, nicht für Achim wie wir später erfahren, schleicht er sich mit Kollege Ralf davon. Viermal im Salt Lick, Hut ab!
Heute Abend steht nichts mehr auf dem Zettel, ich klimpere auf der Tastatur rum, wir ziehen noch mit Blue-Rose Familie ein paar Bier, Musik ist unser Thema. Wir können nicht anders. Ab ins Bett, die Ruhe vor dem Sturm.
Dienstag, 11. März
Dienstagmorgen, das Festival startet, die Stadt quillt über mit Leuten aller Schattierungen: Filmfreaks, Interactive-Nerds, Musikbegeisterte. Fans, Musiker, Manager, Presse, Fernsehen und einfach nur schräges Partyvolk, die mit allen drei Messen nichts am Hut haben. Das Southby dient völlig zweckentfremdet als Beschleuniger der eigenen Party. Die kennen weder „Ben Hur“ noch die Stones. Da haben Edgar und Florian völlig recht, wenn es irgendwie geht, sollte man die Sechste Straße meiden. Klappt nicht immer, heute Morgen auf dem Weg ins Convention Center ist noch nichts los, außer der Stadtreinigung, die die Hinterlassenschaften der o.g. wegkehren bzw. wegspülen, passiert nicht viel. Allerdings: auf die Straße pinkelt hier, wie Deutschland oft üblich (ich denke da an das Heidelberger Kneipenviertel), niemand, die Strafen sind drakonisch und eine Nacht im texanischen Staatsgefängnis ist nicht vergnügungssteuerpflichtig …
Im Convention Center liegt der randvolle Festivalkatalog zur Abholung bereit. Musik-Southby startet heute, Katalog ist erschienen, immerhin! Ein aufgestellter Festival-Dummy weist uns unmissverständlich darauf hin: Guys, nur so ist das Badge zu tragen, wobei hier bei Fan-Fehlverhalten mutmaßlich kein Staatsgefängnis angeordnet wird. Komisch, manche der völlig sinnfreien Restriktionen erinnern mich an meine Jugend.
Die erste Day-Show (es handelt sich um vom Festival abgekoppelte Veranstaltungen, oft privat und meist „no cover“) die wir nicht erleben, ist Carolyn Wonderland. War ’ne Egar Einladung, haben uns leider im Pub verpasst, Wolfgang konnte später von Blues-Carolyn berichten, immerhin. Ist auch nicht wirklich schlimm, Florian ist nicht der Riesen-Blues-Fex, ich habe die Texanerin schon gesehen. So hängen wir im Woodrow’s ab (heute wäre Champions-League, wird aber nicht übertragen) und zurren den Tagesplan fest.
Nun zeigt das Badge, was es drauf hat, bitteschön, we’re proud to present
„Nur“ ein Vortrag, dann auch noch so ein Promotionauftritt, aber wie oft hat der Fan die Chance Neil Young greifbar nahe zu erleben? Geschätzte Entfernung vielleicht fünfzehn Meter, gefühlte null Meter. Da möchte man doch jeden Satz unterschreiben, die Geschichte der Plattenindustrie umreißend, der Gralshüter des Vinyls, ja der Musik überhaupt. Der Robin Hood der vom Downloading geprellten Musiker. Hey hey, my, my, Rock ’n’ Roll will never die, als ob der Autor dieser Zeilen es im Vorwort zum Southby geahnt hat. Und nach Neil’s charismatischer Einleitung, irgendwie ahnt man es schon, wird mit Verve die Rettung präsentiert: PONO! Mein lieber Onkel Neil, erst dem analogen Vinyl das Hohelied singen, um uns dann die (neue) digitale Musik-Zukunft unterzujubeln. PONO wandelt nicht in MP 3 sondern in FLAC-Dateien um, also dto. digital, bei höherer Auflösung. Auch wenn sich viele prominente Zeitgenossen vor den Marketing-Karren spannen lassen, Tom Petty, Chris Robinson undundund, wird der Nutzen nicht eindeutig klar. Die wenigsten unter uns werden den Unterschied akustisch wahrnehmen können, im Auto oder im Flugzeug ist die Auflösung der Dateien relativ egal, zuhause dreht sich weiterhin Vinyl. Warum soll ich jetzt meinen Plattenspieler entsorgen um für geschätzte 400 € (hier gab es keine klare Auskunft) einen PONO zulegen. Nee Neil, ich denke, da irrst du dich (wie bei deiner Wahlkampfunterstützung für Ronald Reagen), der Analogfan will was Haptisches und kein dreieckiges Metallteil. Dafür hast du mit Crazy Horse immer richtig gelegen, fast jedenfalls. Bist halt ein Freak, dem man viel verzeiht. Am Ende des Vortrages sind gefühlter und reeller Abstand wieder identisch.
Während ich die Zeilen tippe, hat sich ein kleiner Pono-Markterfolg eingestellt. Die Nische in der digitalen Nische. Meine Güte! Der charismatische Robin Hood der Plattenspieler lässt uns ratlos zurück.
Ab ins Saxon, zu Fuß, das kauft uns niemand ab. Im Land der totalen Mobilität sind Gehwege meist nur von ungeordneter Bedeutung, manchmal nur rudimentär, in Deutschland würde der Mob den Bürgermeister aus dem Dorf pöbeln. Auch wenn der gar nicht wählen war.
Der aufmerksame Leser hat es längst bemerkt: wir sind zu dritt, auch wenn man aus uns locker sechs Freaks herstellen könnte, von denen jeder für sich immer noch preiswürdig wäre. Zu dritt und ein Auto, konkret, wir haben zwei Parkplätze frei. Ein El Dorado, eine Fata Morgana im Westen, unbezahlbar, Naja fast. Einer geht an Robert, der uns aus lauter Dankbarkeit größere Mengen Shiner Bock energetisch in Kalorien umwandeln lässt.
Die Night Session am South Lamar Blvd startet mit Morgan O’Kane, der Banjo-Hill-Country-Picker, der am Nachmittag schon die Sechste als weitere Einnahmequelle verifiziert hat. Der Dreck unter den Fingernägeln ist so echt wie der Sound, den er aus Banjo und Cajon förmlich rausprügelt mit ziemlich hartem Anschlag.
Ist das etwa schon Bluegrass, Thomas? Wir kaufen nach der Show noch die CD-Kiste leer, Roberts-Parkplatz Bier war da sicherlich nicht hinderlich.
Die verdammten Wachteln, The Damn Quails, bieten die perfekte Symbiose aus Country und Bluegrass. Nie nervig, nie langweilig, Bier hoch, two more Robert!
Mit dem Rusty Truck steht dann endlich eine Country-Big-Band auf der Bühne, die so ziemlich alles zupft und spielt und gängelt, was Saiten hat, außer der Thüringischen Waldzither vielleicht. Durchaus apart ergänzt von einer Sängerin „countryadäquat“ und professionell. Ich schwanke zwischen fühlen, hören, sehen. Auch der texanische Spätsommer im Frühjahr kennt schöne Tage, soviel ist sicher. Für den Fall, dass ich Lucinda doch nicht treffe. Wer braucht schon 7 (!) Mugger?
Zu Whiskey Myers muss man nicht mehr viel schreiben, die Gralshüter des Southern Rock, die jedes Klischee vortrefflich bedienen, bis zum umgewidmeten Patronengurt, der den Bass bändigt. Ohne Schamesröte wird bei Lynyrd Skynyrd geklaut und abgekupfert, unheimlich cool, cooler als Medlocke’s Blackfoot, mindestens so locker wie zu besten Skynyrd-Zeiten. Gitarrenduelle, der souveräne Cody-Tate als ZZ-Top Neffe, Cody Cannon geht steil. Early Morning Shakes! Hammer-Hammer, scheiße, das war viel zu kurz.
Warum die Dirty River Boys im Saxon Headliner spielen bleibt im Nebel, und der steht jetzt mal ausnahmsweise nicht mit Roberts Parkplatzglück in kausalem Zusammenhang. Die Multiinstrumentalisten sind besser drauf als in Gruene, was keine Riesenleistung ist. Könnte sein, dass die Grenzen der Perfektion erreicht sind. Die eigene Erwartungshaltung und die des Publikums zu erfüllen, immer mit Coolnessfaktor, wird zum Schicksal. Ein Tipp sind die Dirty River Boys nicht mehr. War aber auch schwer, nach der Stromgitarrenmeierei.
Die Shinerbestände im Kühlschrank schmelzen über Nacht ab. Ein physikalischer Euphemismus.
Morgen ist Guitartown und Bugfest. Hard ’n’ heavy – so sieht’s aus …
Mittwoch, 12. März
Es gibt diese Tage, die unvorhersehbar und legendär sind, vor Rock ’n’ Roll-Life-Style nur so strotzen, die kleinen Weh-Wehchen werden untergepflügt. Du ahnst am Morgen schon: heute passiert Grandioses, Unerhörtes, die Form stimmt. Es ist Mittwoch, Guitartown-Party in Guitartown, wieder so ein Tag, wieder so ein Event, an dem Aqua in seiner klassischen Darreichung ausgebremst wird. Ressourcen müssen geschont werden. Der Mittwoch wird zum Tag des knappen Gutes erklärt.
Der Leser hat es schon bemerkt: wir haben getrennte Zimmer, Dollarkurs und Flo’s Buchungstricks machen’s möglich. Meine Aquashow beginnt um 7:00 Uhr im Bad, die Shinerbricketts des Vorabendes werden leger in die texanische Kanalisation gespült, platsch, flatsch, fort ist der Alien, erzähle mir doch keiner, wir würden das Wasser meiden. Selbst die Kakerlaken flüchten. Für die vom Schöpfer begünstigten findet beim Lokusgang eine „Extremitäten-Spülung“ anderer Art statt. Wasser, Wasser, immerzu Wasser. Ich schweife ab, lassen wir das.
Es ist 9:30 Uhr, bin fertig für den Tag, Magnesium gegen die Krämpfe, Ingwer für die innere Reinigung, Kardamom, weil’s meine Frau empfohlen hat, Basica, um den in diesen Tagen hohen Säurehaushalt etwas anzubieten. Die Prozedur erfordert was? Genau, Wasser! Sagen wir mal 0,25 l, was ich zu diesem Zeitpunkte nicht ahne: das soll es für heute auch gewesen sein!
Ich gehe Florian wie jeden Morgen auf den Senkel „komm, auf zur Guitartown!“.
Meine Bestellung: Irgendein Burger und „Orange Juice, please.“
Florian: Irgendein Burger und „Shiner Bock, please!“
„I’ve changed my mind: Shiner Bock, please!“
Die überaus aufregende „Trisha“ Kelly Mickwee lungert bei uns am Tisch rum, samt Freund im Schlepptau, Kelly interessiert uns, er eher weniger, auch das „Georgel“ auf der Indoorbühne haut uns nicht vom Dogwood Hocker.
Bobby Rush steht für extrem archaischen Folk-Blues, Marke Robert Johnson, das ist früh, das ist aber auch ganz gut.
Jon Dee Graham hat offensichtlich die Phase der ruhigen Töne und des Experimentierens hinter sich gelassen, der schwere Autounfall hat doch keine Spuren hinterlassen.
Für irgendwas muss ein Volvo aus Schwedenstahl ja gut sein. Die Gitarre knarzt, donnert und dröhnt, Edgar freut sich, Florian auch, bisweilen fand er Jon Dee etwas lahm und dröge, nun ist der Kritiker durchaus für eine Full-Length-Show vorbereitet.
Die Bedienung läuft vorbei, lächelt uns an, samt meiner Kreditkarte.
Karl aus Seattle fehlt, der mürrische McM samt seiner 12-saitigen und dem High-Noon-Whiskey ist nicht in Sicht. Wir kennen das Procederé und die Protagonisten zur Genüge und verziehen uns zum Bugfest, meiner Metal-Feuertaufe!
Im Bus (Linie 20) Richtung Pleasant Valley, kann man, wer das muss, amerikanische Sozialstudien betreiben. Ungeklärt für heute bleibt, ob der Bevölkerungsquerschnitt im Bus auf dem Emmertsgrund sich anders darstellt. Sicher ist, dass es am Emmertsgrund (Heidelberger Stadtteil) weder einen Pool und schon gar keine Metal-Pool-Party gibt. 1:0 für Pleasant Valley, eigentlich eine ganz passable Wohnanlage, von der vermeintlichen Gefährlichkeit der Gegend ist jedenfalls nichts zu spüren.
Florian hat das im Vorjahr schon bildreich und wortgewaltig beschrieben, ich konzentriere mich somit auf die Basics, die damit beginnen, dass wir gegen eine Spende auf der Gästeliste der Party und am Budweiser-Free-Tap stehen. Freiheit, Freiheit! Und Wasser spielt auch eine Rolle, auf’m zweifelhaften Dixi gibt es keins, im Pool umso mehr.
Der völlig überforderte Vorturner von King Parrot aus Down Under, erklärt uns stage diving in der ursprünglichsten aller Varianten. Wenigstens hört dann das Gebrülle aus dem australischen Outback auf.
Zugegeben, Ahnung habe ich kaum, aber das ist noch nicht mal Klappentext im Proll-Metal-Lexikon, das ist gar nichts, noch nicht einmal lustig. Ab an das Budweiser-Fass. Wir geben ein kurzes Interview für eine Radiostation und genehmigen großzügig ein Foto von uns. The Boys are back in town!
Baby In Vain machen ihre Sache wesentlich besser und auch noch cooler. Die zwei dänischen Schwestern (16 und 17 Jahre alt) ergänzt um eine Drummerin (die ist wohl nach deutschem Recht volljährig) liefern eine zupackende, wenn auch noch unvollendete Version, klassischer Metal-Sounds bis hin zu durchaus hymnenhaften Songs.
Nicht spektakulär, ihren eigenen Weg suchend, unvollendet und sympathisch. Florian sackt ein paar überteuerte 7" Vinyls ein, muss also was gewesen sein.
Die schwedischen Truckfighters sind qualitativ der Headliner des Sets, ambitionierte Stoner-Mugge meets Doom, ich glaube die sind ziemlich angesagt. Laufen mir so gut rein, dass es für einen Patch reicht, Eingeweihte wissen, was das bedeutet.
Was die Truckfighters für die Soundtüftler, das sind Amber & Clinno für die Party. Wer jetzt noch meint, AC sind gemeinhin das Anfangs-Kürzel einer Schulranzen tragenden Band aus Australien, liegt meilenweit daneben.
Amber und Clinno aka Bug Girl sind die weibliche Variante aus Australien, die es nach Austin verschlagen hat, wie so viele, die hier ihr Glück versuchen. Dabei ist der Vergleich mit AC/DC gar nicht mal so abwegig, die rocken wie der Teufel, Hard ’n’ Heavy mit leichtem Boogieanteil und dem breitesten Grinsen das man sich nur vorstellen kann. Der Himmel über Austin, was für ein Tag, lass uns noch ein warmes Bud zapfen.
Den Bus Richtung Downtown verpassen wir um eine Sekunde, tatsächlich um eine Sekunde. Wir grinsen uns fatalistisch an, scheiß auf’n Bus Mann, morgen werden wir erfahren, was Glück und Pech ist, ein verpasster Bus ist jedenfalls kein Pech.
Im Mohwak Indoor zupft Jonny Two Bags die Gitarre. Achim ist großer Fan, Florian auch. Bisher kannte ich Social Distortion nur dem Namen nach. Ist im Punk verortet und hat mich folglich wenig interessiert, was auch immer was mit Ignoranz zu tun hat.
Punk ist das hier definitiv nicht, sondern eher sehr entschlackte Songwritermugge, die ihre Wurzeln im Punk findet, Chuck Ragan z.B., um mal verbal ein vergleichbares musikalisches Schwergewicht in den Ring zu stellen. Intensiv, tolles Songwriting, starke Songs und tricky Arrangements. Aha, das war doch was, am Merch-Stand finden wir uns wieder. Eh ich’s vergesse: der Gang zur Shiner-Entsorgung, Wasser im klassischen Sinn spielt ja keine Rolle, würde für D-Promis im deutschen Unterschichtfernsehen zur Hardcore-Prüfung. Schwerer Stoff, harter Ort, fürwahr!
Outdoor ist der Laden knallvoll, um klaustrophobischen Attacken zu entgehen und ja, wir geben es gerne zu – auch um strategisch einen guten Ausgangspunkt zu halten, sortieren wir uns am hinteren Ende des von Wellblech teilüberdachten Ladens ein. Statiker und Architekt haben im Mohawk eine untergeordnete Rolle gespielt. Dafür sind Restroom und Bar in Sichtnähe.
Les Claypool Duo de Twang erinnern extrem an die inzwischen zum Hype verkommenen Black Keys auch ein wenig an die kalifornischen Two Gallants.
Spielen so ein Art augenzwinkernden Country-Funk, „Wynona’s (Ryder) Big Brown Beaver“, wir leisten einen heiligen Eid, nur davon gehört zu haben. Eigentlich schade! Skurril, wie der Primus-Boss Alice in Chains’ „Man in a box“ durch den Country-Fleischwolf dreht (Florian). Schräge Arrangements, plop macht es dazu.
Chino Moreno von den Deftones jetzt Crosses zieht härtere Saiten auf. Wieder mal ungewohnt und Florians Gefolgschaft geschuldet. Dem Charisma der Songs kann ich mich trotzdem kaum entziehen, Alternative Metal in den nachvollziehbaren Momenten (für mich) der fast zum Industrial wird, hier muss ich wohl üben. Fest steht, musikalisches Schwergewicht, danke für den Tipp.
Das wäre die Überleitung, der Respekt vor der großen Dame der Countrymusik ohne jede Überhöhung, verbietet das. Die erste Berührung zu Lucinda Williams hatte ich auf Steve Earle’s formidabler CD „I Feel Alright“ mit dem noch viel großartigerem Duett „You’re still standing there“, dem Rausschmeißer des Albums. Seither bin ich Fan. Der Indoor-Bereich des Cedar Street Courtyard ist von zwei Bars eingerahmt, der Nutzen liegt auf der Hand und wird von uns mit „das ist ja mehr als praktisch“ bewertet.
Lucinda kommt leicht verspätet und leicht mürrisch (wie immer) aber sekundiert von einer fantastischen Begleitband, u.a. Wallflowers etc. Das Songbook ist riesig und die Zeit viel zu knapp um auch nur annähernd die zustehende Würdigung zu erfahren. Überflüssig, doch sollte es wirklich Nutzer dieser Seite geben, die „Car Wheels...“ nicht kennen, fragt Florian, der hat die im Schrank – zwischen norwegischem Metal und Black Sabbath.
Selbst die beschissene PA kann Lucinda Williams nicht die Bohne anhaben. Tonnenschwerer Americana ohne Pathos. Was für ’ne Musikerin!
Den Vorwurf, der früher mal auf Edgar’s Seite von ein paar Ahnungslosen ungefragt ins Netz gestellt wurde, „ ihr macht ja jedes Jahr das Gleiche“ kann nicht für uns gelten. Nach dem Gänsehautauftritt im Cedar Street Courtyard (unsere Badges haben uns übrigens gerettet und wurden von einer deutschen Nase kontrolliert) ziehen wir zum Pop-Overkill in die Vulcan Glas Factory, Spandau Ballet stehen auf der Liste, Ja genau, die Spandau Ballet und wir im vollen Rock-und Metal-Ornat. Man ahnt es kaum, hab sogar ein Album im Schrank, „Parade“. Auf Wikipedia gehen die als „New-Romantic-Band“ durch, wir sind uns einig, das ist tatsächlich erstklassig produzierter Pop der großen Gesten.
Sänger Tony Hadley verwischt mühelos die Grenzen zwischen Duran Duran und Udo Jürgens. Ein voluminöser Abgang in die Nacht zwischen einem extrem Pop-orientiertem Publikum. Große Könner, ohne Frage. Entertainment, sehr amerikanisch. Mein Wohlfühlfaktor ist ein anderer. Im Hotel müssen wir die Soundgarden-Hoffnung beerdigen: die online Verlosung hat uns nicht begünstigt, Florian schiebt Frust, gemeinsam schieben wir Shiner. Bald ist es hell, ohne Wasser!
Donnerstag, 13. März
„Der Hölle so nah“ – könnten wir theatralisch an dieser Stelle titeln … es ist acht Uhr, wir schütteln die Shiner aus den Klamotten, die ich gestern sogar mal „runtergebracht“ habe, inklusive Schuhe, die ein amorphes Aussehen angenommen haben. Auf ein Ersatzpaar wurde großzügig zugunsten der knappen Vinyl-Ladekapazität verzichtet.
New-West-Party im Threadgills, schlicht der Rock ’n’ Roll-Biergarten in Austin. Blue-Rose-Edgar macht’s wieder mal möglich, die Badges sind schnell gelocht, die Margaritas abgezogen, Black Beauty (die könnte in jeder Südstaaten-Ballade mitspielen) gönnt uns Tequila der feinsten Sorte. Sind ja auch Fachpersonal … das steht ebenso an der 1./Barton Springs auf den wackeligen Texas-Brettern: The Mastersons, der schräge Howe Gelb, Country-Ikone Rodney Crowell (nein, „Walk The Line Revisted“ hat er nicht im Gitarrenkoffer), Robert Ellis, die noch schrägere Ben-Miller-Band (die den Ölkanister neu definiert) und last but not least, der eigentliche Grund zur Nachmittags-Disziplin (bei Black Beauty) der Zeremonienmeister der sechs Saiten, der Young Rich einst bei jedem noch so leicht-lässigem Verspieler über die Schulter an fixiert: Luther Dickinson!
Henk und Gerald aus Holland sind am Start (wie jedes Jahr), dafür fehlen typisch deutsche Vorteilsnehmer (Muttersprache = Fremdsprache), die Texas-Sonne zeigt sich geneigt, einen weiteren „R ’n’ R-Afternoon“ in die Annalen zu zelebrieren. Alles gut, bis ein Statement von der Bühne uns aus der wohligen Lethargie reißt. Gestern Abend (ca. eine Stunde nachdem wir das Mohawk verlassen haben) forderte ein schrecklicher Unfall zwei Todesopfer und 21 zum Teil sehr schwer Verletzte.
Ein farbiger Jugendlicher, der sich mit seinem Auto einer Polizeikontrolle entziehen wollte, krachte auf der Flucht frontal in das vor dem Mohawk wartende Festivalvolk. Die oft banalisierte Vokabel „Glück“ erhält für heute einen besonderen Stellenwert. Man mag über die Kombination aus extrem konservativer texanischer Rechtsaufassung/farbiger Straftäter denken was man will, das ist definitiv die eine Seite, die andere ist, das völlig unbeteiligte Menschen ihr Leben lassen mussten. Die Anklage, so stand es im „Austin Chronicle“, lautet wohl auf zweifacher Mord und einundzwanzigfacher versuchter Mord. Jeder kann sich ausrechnen, was das in Texas bedeutet.
Wir wollen, nein, wir können das nicht bewerten, sind wir doch heilfroh, dass wir eine Stunde vorher unsere Zelte abgebrochen haben. Thank you, wem auch immer …
Das Line-up der New West Party gleicht nie dem des Vorjahres, oft gibt es einige Konstanten. Dafür ist das Publikum stets das gleiche, Jahr für Jahr, und das Kuriose ist, das außer Edgar wohl niemand etwas mit NW zu tu hat.
Belangloser Indie Pop a la Hamell on Trial oder Yip Deceiver haut uns nicht um, gibt es auf der Sechsten an jeder Ecke. Richtig gut rocken, die sind z. B. gerne und konstant dabei, The Mastersons – ein echter Tipp für den Plattenschrank!
Mit Qualitätssiegel (das war ja eh klar) „I“ entführt Giant Sand’s Wüstensohn Howe Gelb in einen spartanisch-sphärischen Mikrokosmos aus reduziertem Alternative-Feeling, Mexico-Sounds, Anti-Country. Wahre Meisterschaft braucht keine Effektenspielerei. Der Salzrand meines Margaritabechers swingt. Klasse, auch wenn ich diese Meinung ziemlich exklusiv habe.
Robert Ellis teilte die Bühnenbretter bereits mit den Alabama Shakes und der Old Crow Medicine Show, so pendelt der Sound auch zwischen American Songwriter, Country-Rock, ’ne Prise Pop. War ganz ok auch ohne Albumkauf. Relocated from Austin to Nashville! Mutig!!
Über Johnny’s Ex- Schwiegersohn Rodney Crowell muss man nicht viele Worte machen. Unaufgesetztes Country-Feeling vom Allerfeinsten. Professionell und routiniert. „Houston Kid“ ist Pflicht.
Weniger routiniert liefert die Ben Miller Band dreckigsten Countryblues, z. T. in der High-Speed-Variante, den man sich nur vorstellen kann, ab. Ziemlich rau und ungehobelt, abgefahren. Senior Miller geißelt den einsaitigen Washtub-Bass, Banjo, Trompete, Waschbrett, Posaune, Harmonica und Ölkanister, das Unvereinbare wird vereint. Nicht ohne Grund Vorband bei den texanischen Rauschebärten, so scheppern die auch aus den Boxen, ohne Kommerzkacke a la Afterburner. Entdeckung!
Florian zieht mich an den Ohren und bemüht sein Smartphone. Doch, tatsächlich, der Bildungsbürger-Folk da vorne, das smart arrangierte Zeug für Martininipper, das ist tatsächlich Luther Dickinson, kaum zu glauben. Haare ab, Blues weg. Naja, die Alben mit den North Mississippi All Stars sind unauslöschlich. Die oberste Stufe der Bedürfnispyramide scheint erreicht: Selbstverwirklichung. Evtl. will Luther seinen Blues-Rockenden-Prolls auch nur den Spiegel vorhalten. Wir kapitulieren verstört.
Auf dem „offiziellen“ Festivalgelände am Lady Bird Lake wird eine „Jimi-Hendrix-Briefmarke“ eingeweiht. Durch das Programm moderiert MC 5 Wayne Kramer. Um es vorwegzunehmen: das einzig Positive an diesem Kommerz-Overkill war die Erkenntnis, dass meine Taschenkamera ohne Objektiv aus ca. 75 m Entfernung bei Nacht noch ein halbwegs passables Bild von Lucinda Williams hinbekommt.
Mir kommt Wolf Maahn in den Sinn:
Jeder hat seine Gründe. Jeder hat sein Problem.
Ja, und wenn ich mich bemühe, kann ich alles verstehn.
Aber wo ist die Grenze der Besonnenheit,
wenn du einkaufst und John Lennon durch den Supermarkt hallt?
Gib mir das Fieber zurück,
das alte Fieber zurück,
ich brauch’ das Fieber zurück!
Unsere Badges entsenden uns in die Brazos Hall, wenn es Blondie gibt (kein Shiner sondern veritabel), dann geht’s zu Blondie, ist doch klar. Lange Schlange, nicht für uns, noch besser ist, das Yahoo-Freibier stiftet, also doch: „Shiner-Blondie!“
Die Indie-Pop Maschinerie „White Sea“ aus L.A. läuft vollfett und gut geölt, sehr, sehr laut, ohne Ear-Plugs bist du hier einsam und verloren. Das Brazos ist ganz ok, dennoch, es strahlt ein wenig die Kälte der modernistischen Klubs aus, in dem sich die Eleven eh nichts mitzuteilen haben. Wir bleiben Zaungäste, in Schlagdistanz zu Yahoo. Do you Yahoo? Yes, I do, tonight …
Gary Numans Symbiose aus wüsten Industrial Sounds/Post Punk, Florian verifiziert u. a. die britischen Killing Joke, und durchaus sanfterem Elektro-Pop sendet Botschaften (müsste man sich mal intensiver mit beschäftigen), die ihre Empfänger nicht verfehlen. Überraschend cool, noch überraschender die Wirkung auf mich. Nicht sehr nahbar, aber nie so daneben und blasiert, wie „das“, was uns noch in der Brazos Hall passiert.
Ein immer wiederkehrendes Video-Mantra (auf gleich zwei Leinwänden) der selbst ernannten Punk-/New-Wave-Göttin Deborah Harry, soll den Laden auf Temperatur bringen. Von Konzentration kann schon keine Rede mehr sein, alles scheint auf den Auftritt des Abends zentriert zu sein, vorbereitet, angerichtet für eine Stilikone die nie eine war. Manieriert, abgehoben, außerirdisch, nein unterirdisch, ohne Zweifel das Equipment in der Garderobe ausreizend, spielen Blondie, die Band fungiert maximal als Geschmacksverstärker, einen mehr als beliebigen Set, die erste Nummer gelingt noch ganz passabel, dann geht die Leistungskurve im 80er Sound nur noch südwärts. Schlimm, lass uns verschwinden, trotz Yahoo-Freibier. Ich leg mir heut Nacht im Hotel „Horses“ auf.
Was hat der Black-Crowes-Fan am liebsten? Klar doch, die Krähen auf der Bühne.
Die Krähen auf dem Southby? Nein, leider nicht, das Tischtuch scheint für immer zerschnitten (bis wieder Kohle ran muss) aber Young Rich, der inzwischen ein paar bemerkenswerte Solo-Alben vorgelegt hat, nicht so experimentell wie der Output seines Bruders Chris, ein wenig Americana, ein Brise The Band, Mule, Blues, Soul, alle Zutaten für das Menue eben. Die Lit Lounge ist der Gegenentwurf zur Brazos Hall, ein kleiner Laden auf gleich zwei Etagen, in der oberen tobt japanischer Hip Hop oder so was, das max. 1,50 m-große Publikum wuselt permanent ziemlich ruppig an uns vorbei, schüttelt sich kurz da der langhaarige Rich Robinson keinen Hip Hop abfackelt, um ungeniert wieder in die andere Richtung zu drängeln und nach oben zu verschwinden. Asiatisch und unhöflich, bisher haben wir das nicht zwangsläufig assoziiert. Der Toilettengang bringt auch stets neue Überraschungen, beim Händewaschen ist auf Wunsch gerne ein „Diener“ behilflich, für 2 $ versteht sich. Gut der ein oder andere könnte das durchaus nötig haben …
Die PA ist ziemlicher Schrott, Rich Robinson angenervt, die Band gibt das Beste, also das, was heute möglich war. Nach dem immerhin noch guten, coolen Roots-Exkurs verschwindet Rich durch die Hintertür, wortlos, grußlos, autogrammlos, selbst die Band hat keine Ahnung, wohin. Wir sind uns sicher, das war es noch nicht.
02:00 Uhr, the same procedure as every morning: There’s nothing finer than an ice cold Shiner! Oh,Well!
Freitag, 14. März
Ich darf heut’ alles aussuchen, erklärt mir altruistisch der vom Soundgarden-Ticket-Besitz beseelte Heavy-Groover unserer immer kleiner werdenden Reisegruppe. Muss nicht sein. Wir landen im Schlotzky’s zum Frühstück mit Ice-Coke, ob das mein Wunsch war, darf getrost bezweifelt werden.
Am Ticketstand im Convention Center für Soundgarden ist es merkwürdig leer, komisch ist das schon, wir halten unseren Zugang mehr oder weniger froh in den Händen. Damit an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen, selbstverständlich steht der Meilenstein „Superunkown“ in meinem Schrank.
Auf der Postermesse erwerbe ich ein Tom-Petty-Replica einer Firma aus Dresden-Neustadt, die meine Dresdner Freundin Heike sogar kennen. Gezahlt wird cash, vier Wochen später kommt Tom Petty, gut verpackt, in der Kurpfalz an. Ehrenkodex unter Rockfans!
Und da es das gestern noch nicht gewesen sein kann mit Rich (weil nicht sein kann was nicht sein darf) gibt es heute Chance Nummer II im Continental Club, durfte ich aussuchen, haha!
Die Front-up Prüfung verlangt uns alles ab, The Sit Down Servants; da setzt du dich wirklich nieder und bist bedient, spielen so eine Art Low-Fi-Jazz auf thüringischer Waldzither. Allerschwerstes Futter, nur durch den diesmal medizinischen Einsatz (von Genuss kann keine Rede mehr sein) von Shiner Bock wurde per Grundsatz Unverdauliches ertragbar getrunken. Auf der schmuddeligsten aller Austin-Toiletten ist auch kein Fingerwäscher zugange, was im Continental nur von Vorteil ist.
Oh Lord, send me Rich Robinson, und da steht er schon im Back-Stage Bereich signiert freundlich meine Kutte, findet den Crowes-Patch cool, rockt und rootst die Bühne mit einer in demonstrativer Einigkeit spielenden Band.
Keine Frontsau wie Bruder Rich, nicht die Klasse von Marc Ford oder Luther Dickinson, aber eins mit seiner Musik, ehrlich und nie abgezockt. Band und Anspruch verschmelzen und, das steht sicher fest, ein schlechter Gitarrist ist Rich Robinson nun wirklich nicht. Es gelingt das Unglaubliche: nach drei/vier Nummern sind die Krähen vergessen, zumindest für den Moment. Top-3 in 2014, soviel ist sicher.
Zurück nach Downtown treffen wir am Lady Bird Lake den Washtub-Hero von Ben Miller.
Im Steakhouse an der Congress Ave gestatten wir großzügig einem französischem Journalisten ein Foto unserer Kutten samt „Innenausstattung“ und nehmen dankbar den Tip der Kellnerin an, das unsere Bestellung inkl. „Mac & Cheese“ dann wohl doch zu üppig ausgefallen ist. Wir spülen „Full Hand“ (jeder!) Shiner hinterher und rücken ab in Richtung Parkhaus zu Soundgarden, Florian-Time!
Auf dem Dach kumulieren die Party-Mugger, die grundlos eine Karte für die Private-Show ergattert haben. Warum und für wen, wissen die sicher nicht …
Die Wild Feathers eröffnen die Nacht, die Wahl erscheint nicht so recht plausibel, Mainstream-Radio-Rock trifft Wallflowers/JD Malone. War ordentlich.
Soundgarden müsste Florian eigentlich schreiben, ich halte mich hier lieber dezent zurück. Die „Grammy-Geehrten“ Grunge-Ikonen Soundgarden, hier ließe sich schon trefflich diskutieren: ist das Grunge?, oder: was ist Grunge?, oder: sind Soundgarden Grunge?, spielen eine solide Show, nicht mehr, nicht weniger. Das liegt zweifellos an dem bis zur Ignoranz desinteressierten Publikum. Die instrumentale Klasse blitzt, trotz einiger Verspieler, immer wieder auf, wütend nimmt die Band zur Kenntnis, dass sich das Dach allmählich leert obwohl sich Klassiker aneinander reihen. Der finale Gitarrenorgasmus „Rusty Cage“ (den einige für eine Johnny-Cash-Nummer halten), erinnert dann schon mehr an die Ausbrüche von The Who. Wütend und grußlos ziehen sich Chris Cornell und Band zurück.
Hier die Setlist:
Kickstand
Flower
Hunted Down
My Wave
The Day I Tried to Live
Been Away Too Long
Mailman
Limo Wreck
Fresh Tendrils
Half
Superunknown
Burden in My Hand
Black Hole Sun
Spoonman
Outshined
Rusty Cage
Im Woodrow’s geben wir eine weitere Gala, Sarah und Peter vom Popbüro (das gibt es wahrhaftig und es geht um Musik) aus Stuttgart sitzen am Tisch, Edgar, Beate, auch Ralf trinkt ein Bier und redet nicht nur darüber.
Die Registrierung für Willie Nelson ist fehlgeschlagen, leider, muss dann aber auch keine Zugeständnisse machen. Nein im Ernst, zu Willie wäre Florian gerne mit …
Samstag, 15. März
Im Driskill gibt es nach Wartezeit und Einweisung Hangover Omelett, letzter Tag, in meinem Kopf klingeln Sirenen, bin erkältet (wieder mal), habe Magenkrämpfe (wieder mal).
Im Woodrow’s, die nehmen dieses Mal partiell am Southby teil, steht Lincoln Durham auf dem Zettel. Das einzige was hier gut ist (neben dem Wetter) ist Lincolns Melange aus Country, Blues und Americana, draufgehackt aufs Banjo, gepluckert, Kickdrum & Cajon traktiert, die Botschaften räsoniert. One-Man-Band und One-Man-Show, bei den Repulikanern sicher aktenkundig, das Cover von „Exodus of the deemed unrighteous“ lässt jedes Lachen verstummen, nur, wieder einmal, im saublöden (sorry, aber so war es)Publikum leider nicht.
Ins Hotel Koffer packen, dann, da Sons of Fathers leider ausgefallen sind, in den Ginger Man zu Minus 5 um Steve Wynn und Scott Mc Coughlin, die Fortsetzung der Garagenvariante von Dream Syndicate, mit Linda Pitmon am Schlagwerk.
Linda wechselt das Shirt aber nicht die Prügel, weiter geht’s mit dem Baseball Project, ebenfalls Steve Wynn, allerdings mit Peter Buck, dem Peter Buck. Nicht so noisig, Indie-cool, Steve ist live immer eine Bank!
Jon Doe (die US-Variante von Max Mustermann) feiern Akustik-Punk, Achim gefällt’s ganz gut, ich halte mich da raus.
Parsos Red Hat, die haben zwei klasse-Alben am Start, muss ich leider canceln, die Zeit wird knapp.
Im, Hut’s ziehen wir an zu engen Tischen einen überflüssigen Burger.
Kein Southby ohne Meet and Greet bei unserem Langzeitkumpel Justin Black, der wieder einmal als Karikatur des Texas Rockfestes antritt, mit runderneuerter Band und einer Two Track Promo im Gitarrenkoffer. Der ist immer gut und immer erfolglos, Edgar, Mann …
Für Hayes in der Continental Gallery bekommen wir keine Tickets, dafür allerdings ein wenig amerikanischen Geschichtsunterricht einer entblödeten Tussy, ob ich Dachau und die Nazis kenne.
Die ist, hm, Ende 20, ich 50, also Dachau kenne ich, eine Antwort auf meine Frage ob „Dachau the same thing like Guantanamo“ ist, erhalte ich nicht, da mich Florian entsetzt wegzerrt, vermutet in der Handtasche unserer Lehrerin eine andere Errungenschaft der amerikanischen Konsum-Freiheit.
Im „Continental klassisch“ bitten die ewigen Shurman zum Tanz, Jon Dee schmeißt uns mit einem schaurig-schönen „Swept away“ raus in die die Nacht. Uns fröstelt.
Im Woodrows war’s nichts heute, Florian beginnt mit Cidre, das Festival dreht Richtung Finale, Edgar und ich ziehen die Shiner-Strohhüte (vor uns. Facebook applaudiert.
Sonntag, 16. März
Es endet alles, wie es begann, auch so eine Konstante: im Curras; Heute gibt es lediglich ein reduziertes Frühstück, die restlichen CD’s werden gekauft, Social D, dann zu Leeanne Barnes Dance, in eine Art Hippiegarten in dem alles frei ist.
Jeder bringt was mit und alle teilen, wer das nicht wusste, wie wir, spendet einfach einen Obolus nach seiner Vorstellung und Kaufkraft.
Eine wirklich rührende Veranstaltung, so lange es so was gibt, geben wir die Hoffnung nicht auf.
Dusty Stray spielen eine schräge Low-Fi-Folk-Mugge die manchmal etwas an Acetone erinnert, ohne wirklich deren Klasse zu erreichen. Hat nicht allen gefallen, günstige CD’s bieten zuhause die Gelegenheit zum Nachhören. Mal sehen, nein mal hören, meine ich.
Umso fulminanter Baskery, mit einer neuen Frontfrau: Sunniva! Nix mehr Baby-Sister. Und Stella am Bass, erkennt die noch jemand? Absolut wiederzuerkennen ist der unverwechselbare Banjo-Punk der drei Schwedinnen, die es nach Nashville verschlagen hat. Heute abgespeckt, aber druckvoll wie immer, die wissen was sie tun und inzwischen wohl auch, was sie wert sind. Mud-Country unter Althippies!
Hier gibt’s einen Link zum Video
Im Hotel versuche ich noch ein paar Zeilen zu schreiben, heute ist kein Flow mehr zu erwarten.
Beim Brasilianer schaufeln wir (überflüssige) Fleischfetzen.
Ein komisches Ende, irgendwie.
Fazit:
Die Allgemeinplätze, das war das beste SXSW usw. usf. werde ich bestimmt nicht bemühen.
Aber es war ein gutes und das ganz bestimmt. Überraschend Gary Numan, überzeugend Rich Robinson, unterirdisch Debbie Harry. Jede Menge neuer Einflüsse, jede Menge neue Kontakte, ein paar weniger wären manchmal auch genug, man kann es sich nicht immer aussuchen.
Der Labelmanager schimpfte bei Halbzeit über hohe Preise, keine Parkplätze, keine Taxen, das grassierende Anwachsen von Elektronika-Acts. Zu laut, zu schnell, zu viel, zu teuer … stimmt alles.
Sprach’s und buchte neu für 2015.
Tatsächlich, man müsste mal eine Pause einlegen – nur wie?
An dieser Stelle möchten Florian und ich, egal wie passend oder unpassend das nun jemand finden mag, den Bericht „We’re Southern“ den sinnlos gestorbenen Musikfans vor dem Mohawk widmen.
Gunther Böhm