South By Southwest 2011
Die wahre Geschichte
Nun hat es also doch noch funktioniert – wir „segeln“ gerade hoch über dem Atlantik – nach einer wirklich üblen Angina und anschließendem Hörsturz mit „Hardcore-Kortison-Therapie“ war dies nicht unbedingt zu erwarten. Was hat mich ein Kunde per E-Mail wissen lassen? „Herr Böhm, Intercontinentalflüge und Gehörstürze schließen einander aus!“ Was Florian mit der Bemerkung quittiert: „Lass dich doch nicht von dem nervös machen!“
Unser diesjähriger Ausflug in die musikalische Apokalypse beginnt einen Tag früher. Wir nehmen auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen noch die Stacie-Collins-Show in Eppstein in der Wunderbar Weiten Welt mit. Cooler, cooler Club. Auf der Toilette entdecke ich das Tourposter mit dem Motto des Abends, dass sich über die nächsten 13 Tage (wir fahren noch zu den Wurzeln der Musik ins Mississippidelta) erstrecken wird – da sind wir uns sicher:
Southern-Rockin‘ and Harp Howlin‘ and Twang Bangin‘
Wie inzwischen fast alles, was auf unserer Seite des Teichs an „amerikanischer Volksmusik“ veröffentlicht wird, ist die aktuelle CD von Stacie „Sometimes Ya Gotta“ (wohl wahr!) auf der schwäbischen Scholle bei Blue Rose erschienen. Die Frontfrau ist ein absolut scharfer Feger (mein Nachbar meint „versucht mal, der nicht auf den Arsch zu gucken“) kommt in knallengen Jeans, schwarzem Mantel und Cowboyhut daher. Von der Präsenz eine Art weiblicher Mick Jagger, sogar das Mundharmonicaspiel (Harp Howlin‘ – aha!) scheint naja, entlehnt. Das Songbook, das Stacie ausführlich gelesen haben muss, beginnt so:
1.) Exile On Main Street
2.) Exile On Main Street
3.) Exile On Main Street
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10.) Sticky Fingers
Da gibt es schlechtere Verweise. Mick und seinem Generalriffmeister wird auch zweimal Referenz erwiesen, ein knackiges, ewig junges, Jumpin´Jack Flash, und die Keefdefinition allen musikalischen Schaffens schlechthin „Happy“. Kommt gut und gefällt auch dem Publikum.
Dies ist schnörkellose Rockmusik ohne Firlefanz, auf den Punkt gebracht. Der Bassist und Ehemann Al Collins spielt im ersten Job bei der Cowpunklegende „Jason & The Scorchers“ und macht seinen Job richtig gut – ich meine den des Bassisten. Der Drummer Adam Abrashoff hält locker den Beat, ist nicht ganz von der Klasse eines John Chipman aber grundsolide. Einzig Gitarrist Tommy Dayle fällt ab. Wobei wir uns nicht sicher sind, ob er nicht mehr kann oder nicht mehr darf. Schon nach der ersten Nummer, fehlt (fällt) der Mantel. Ab „Hey Mister“ dem dritten Song des Abends gehört der Laden ihr. Bedient wird die aktuelle CD und der Vorgänger „The Lucky Spot“ Mit einem Medley (Radar Love!!) verabschiedet sich Stacie in die Pause um nach ein paar Minuten mit noch weniger textiler Ummantelung zurückzukehren.
Der zweite Teil beginnt mit der Frage nach „Black Sheeps“ (ja, das kenne ich) und dass sie den Part in ihrer Familie gern übernommen hat. Das verwundert, wird man doch in Nashville quasi mit Gitarre geboren. Nach zwei Zugaben ist ein kurzweiliger Auftritt im Flug vergangen. Wir lassen CD‘s signieren und palavern noch ein wenig mit Stacie und Band. Schulzie tauscht sogar die Mailadressen aus – für den Versand der Fotos. Als wir erwähnen, dass wir in zehn Tagen in Nashville sein werden, erhalten wir den Tipp, dort zu „Roberts“ zu gehen. Ich deute auf meinen nur noch spärlichen Haarwuchs – „Barbers?“ „I don‘t need barber“!
So haben wir uns den Auftakt vorgestellt! Guter Abend! Außerdem gibt’s noch ‘ne Erfahrung – Livesound und Ohrenstöpsel geht doch!
Und zur musikalischen Qualität noch ein Querwerweis: Produziert hat die „Sometimes Ya Gotta“ Legende Dan Baird (ex-Georgia Satellites) – das muss für heute reichen.
Samstag, 12. März
An dieser Stelle einen Gruß an meine Frau, es geht mir erstaunlich gut, noch mal Glück gehabt!
Wir stehen 5:45 Uhr auf, kurz duschen, dann ab zum Airport.
Der Shuttledriver ist sichtlich unzufrieden mit seinem Job, „muss er doch schlafen, wenn die Sonne scheint“ und außerdem gibt es zwei Dinge, der er überhaupt nicht ab kann: Blödes Gelaber und Ausländer. Wir verzichten großzügig auf eine Erwiderung.
Der Flieger hebt ein paar Minuten später ab. Unser Kurier und Logistikleiter Schulzie hat wieder alles mustergültig vorbereitet. Für heute Abend steht erst die Beschaffung von Shiner Bock und dann Hayes Carll auf der Agenda. Die Show ist im Threadgills, Tickets haben wir schon in Deutschland organisiert.
Der Flug war ewig zäh. Auf dem iPod (habe nun doch die Seite gewechselt um zumindest bei solchen Ausflügen Musik in größerem Umfang parat zu haben) läuft ein Hank-Williams-Tribute mit u. a. „You Win Again“ – so wird man Keef wohl nie wieder zu hören bekommen.
Und wie hat doch der Schweizer Gitarrenmagier, der die Saiten mit einem früheren Flaschenhals perfekt streichelt, auf einer seiner Platten mal festgestellt:
Hank Williams Must Be In Heaven. Steht schon auf der Waterlooliste!
Mein (Florian) Nebensitzer im Flugzeug ist ein netter, junger Türke, der allerdings kaum ein Wort englisch spricht und schon mit dem Einreiseformular von Homeland Security nicht klarkommt. Ich fülle es ihm nach bestem Wissen und Gewissen aus und drücke innerlich die Daumen, dass er ins Land kommt, wo er sich doch kaum verständlich machen kann. Bei uns ist die Einreise dieses Jahr kein Problem, kaum Wartezeit, da doppelt so viele Schalter offen sind wie im Vorjahr. So sind wir bereits gut eine Stunde nach Landung an der Mietwagenstation.
In unserem Mietwagen fahren wir Richtung Austin dem texanischen Sonnenuntergang entgegen.
Check in im Hotel und dann ab ins Threadgills. Liegt direkt an einer Kreuzung und ist eine Open-Air-Veranstaltung. Ausverkauft! Weil es ja in Austin sonst nichts zu erleben gibt.
Wir bekommen noch zwei, drei Songs von Elizabeth Cook mit. Guter Gesang, klassisches Countryding, Stehbass und zwei Gitarren, ein wenig Pathos, fertig ist die Show.
Pünktlich um 10:00 p.m. steht Hayes Carll auf der Bühne. Wir können folgendes feststellen:
Die Entwicklung zum Storyteller hat er konsequent weiter verfolgt. Kein wirklich guter Sänger, aber ein perfekter Frontmann der kongenial von seinem musikalischem Alter Ego Kenny Smith (he plays everything what makes noise) unterstützt wird. Der Sound bewegt sich zwischen den Punkten Johnny Cash meets Rock ‘n‘ Roll . Nicht nur einmal (bei den Spoken Word Nummern) müssen wir an Subterranean Homesick Blues denken, als Beispiel mag hier der Titelsong der aktuellen CD KMAG YOYO gelten. Anders als erwartet beruft er sich für diesen Abend vorrangig auf die Scheiben TROUBLE IN MIND und LITTLE ROCK. Ich könnte mir vorstellen, dass am Samstagnachmittag bei der Show vorm Waterloo dann die neue Platte live vorgestellt wird.
Zum Höhepunkt unter vielen guten Songs wird Drunken Poets Dream, das gemeinsam mit Ray Wylie Hubbard entstand. Zeit für ein weiteres Shiner an einem milden texanischen Abend.
Sonntag, 13. März
Heute wird nun auch der Magen auf texanische Verhältnisse eingestellt – wir frühstücken, fast schon einer Tradition folgend, im Curras die übliche dunkle Bohnenpampe mit Rührei.
Nächste Ausfahrt wäre dann Waterloo Records, machen aber erst 11:00 Uhr auf. Folglich ziehen wir gleich zu Cheapo‘s weiter. Die Scheiben, die Florian und ich suchen gibt es dieses Mal nicht. Der musikalische Allesfresser Schulzie zieht jedoch wieder eine Schneise durch nahe zu alle Stilrichtungen und belastet sein Kreditkartenkonto erheblich. Mit leichter Enttäuschung zurück zu Waterloo um dann fündig zu werden, beispielsweise Jamey Johnson und Ha Ha Tonka. Bei Florian wandert eine zweistellige Anzahl CD‘s jeglicher Stilrichtung, von Americana bis Death Metal, in den Einkaufskorb. Mittags fahren wir nach Luckenbach, was uns im vergangenen Jahr ja schon riesig Spaß gemacht hat. Da heute Sonntag ist, gehen wir davon aus, das erstens Livemucke und zweitens der kleinste Ort der USA voll von Bikern ist. So kommt es dann auch – der Ort ist übersäht mit Vollfreaks von denen vielen keine Stelle weißer Haut mehr aufweisen können. Aber auch Familien mit Kindern lassen sich von der Musik und der Magie des Ortes anstecken.
Wir erleben eine Sessionband bestehend aus den lokalen Musikern Jason Eady und Walt Wilkens sowie dem Special Guest Kevin Welch nebst Verstärkung; insgesamt vier akustische Gitarren und ein reduziertes Besenschlagzeug. Das Zusammenspiel ist so perfekt, dass wir davon ausgehen, Vollprofis zu erleben. Um einen Vergleich herzustellen, bieten sich am ehesten die US RAILS an.
Begonnen wird das Set mit Hank Williams „Lost Highway“ und schlängelt sich durch die gesamte Südstaaten-Country-Geschichte, wobei Kevin Welch meint, für das Spielen eines Merle Haggard Songs verlangt er mindestens 20 $. Der Höhepunkt der Freakshow ist die Kartoffelpistole, ein mutiertes Kinderspielzeug, das in eine Kartoffel geschoben, mit Material beladen und dann „abgefeuert“ wird. Das Besondere hier nur, es wird auf die Setlist der Band gezielt, und der „Treffer“ dann gespielt, gegen einen kleinen Tip, versteht sich.
Die Einheimischen von Luckenbach, die Gockel und die Hühner, „rocken“ wie im letzten Jahr die Show. Sie sitzen zum Teil während des Auftrittes auf dem Dach der Bühne und leisten ihren musikalischen Beitrag. Der „Chef“ fliegt sogar einige Male direkt über die Bühne und lässt sich dort nieder. Für einen Moment gehört ihm der Nachmittag, die Band und das Publikum sind begeistert. Wie hat Willie Dixon doch gesagt: If you see my little red rooster...
Da es für das Saxon mit der Resentments-Show ohnehin zu spät ist, gehen wir auf der Rückfahrt in ein Steakhouse, von dort dann direkt in die 6th Street. Das SXSW hat noch nicht begonnen, aber Livemusik zu finden ist hier kein Problem, eher ungewöhnlich, wenn mal keine Band spielt.
Wir entscheiden uns aus verschiedenen Gründen für das Nuno‘s, ich bin ohnehin Bluesfan, Florian hat ganz andere Interessen. Der Club wurde komplett renoviert und umgebaut, bessere Bühne usw. und heißt nun BLUE MOON. Alles andere war jedoch unverändert, so die musikalische Ausrichtung des Ladens und auch die Bardamen. Natürlich auch die Toiletten, hier hat man mit der Renovierung direkt vor der Tür der „Restrooms“ aufgehört...
Auf der neuen Bühne stehen Kevin & the Krawlers und bieten, um ihre eigene Darstellung zu zitieren „Juke Joint Jumpin‘ Good Time Party Blues“. Bewegt sich zwischen Howlin‘ Wolf, (die Stimme passt sogar ziemlich exakt und das obwohl Kevin ein Weißer ist) Muddy Waters und den an diesem Abend oft zitierten Canned Heat. Bei Goin‘ up the Country wird es für Florian zu viel, schließt er doch definitiv Querflöte und Rock ‘n‘ Roll aus. Naja, ein Jethro Tull Fan wird er so wohl nicht mehr. Der Sänger tobt über die Bühne und bläst die Harp im Stile eines Rod Piazza, macht er wirklich gut. Auch die Rhythmusfraktion kann überzeugen, einzig der Gitarrist ist ein Totalausfall. Für eine Bluesband ein Todesurteil. Als er dann auch ein Stück singt, verabschieden wir uns, denn das kann er auch nicht. Schade, die Songauswahl war saugut (beispielsweise Messin‘ with the Kid) und der Sänger allgegenwärtig.
Auf dem Rückweg hofft Florian Chris Cornell von Soundgarden im Belmont bei einem Privatgig zu erleben. Jedenfalls steht es so auf dem Pogramm. Erweist sich allerdings als unrealistisch.
Am folgenden Morgen hat sich dann gezeigt, dass es wirklich DER Chris Cornell war. Er hat über Twitter insgesamt zwei Tickets verlost. Doch so viele... Andererseits hat er seit seiner Kollaboration mit Timbaland eh jegliche Credibility zusammen mit der musikalischen Klasse verloren und ob die anstehende Soundgarden-Reunion da etwas glattbügeln kann... man wird sehen!
Es ist immer noch angenehm warm, da ist die Dachterrasse des Momo´s genau die richtige Adresse.
Das Line-up haut uns nicht vom Hocker, wieder das Geigengegniedel der Warren Hood Band aus dem letzten Jahr. Was Kevin & Krawlers im Blue Moon, die Resentments im Saxon ist Warren Hood für‘s Momo‘s – die Hausband. Und da wir das wussten, war auch klar, was uns erwartet.
Auf der Terrasse treffen wir Thomas „Chill“ und Thomas „Duisburg“ sowie später dann auch Edgar „Blue Rose“. Es sind alle üblichen Verdächtigen aus 2010 wieder versammelt. Die Tiplady, (Show me your Tips) die Dutch Schultz Karikatur und der Soundmeister. Warren Hood und die Seinen sind gute Einzelmusiker, uns geht dieser teilweise ziemlich lackierte Countrykrempel aber gehörig auf den Geist. Einzig Thomas „Chill“ findet daran gefallen. Schade, dass es keine Briten sind, dann wären die auch glatt beim „Chiller“ durchgefallen.
Montag, 14. März
Begründet durch die gestrige Hiobsbotschaft, dass das nahe gelegene Restaurant Katz‘s geschlossen ist, gehen wir eben wieder ins Curras. Blue Rose Edgar ist mit von der Partie und preist sein „Migas“ an. Schulzie beschließt es sich erstmal an zu schauen bevor er es bestellt, ich schließe mich seiner Meinung an, und bestelle Breakfast Tacos. Als Edgars Migas kommt, stelle ich fest, sieht nicht schlecht aus. Da weiß ich schon was ich morgen esse, und zur Schande von heute vergesse ich zu den Breakfast Tacos die Eier, ziemliche komplizierte Sache die Dinger ohne das Hinterlassen von Rückständen zu essen.
Im Factory-Outlet lassen wir es heute richtig krachen, die Kreditkarten werden vorab schon mal verbal eingeschüchtert. Als die Orgie schon fast beendet schien, entdecken wir eher zufällig den Laden Cavender‘s, ein Western und Country-Ausstatter. Die schon übersättigte Konsumraupe Schulzie hat sich nochmals quer durch alle Kleiderständer gefressen und zieht sogar Florian in seinen Bann. Am Ende standen dann bei beiden doch noch Cowboystiefel auf dem Ladentisch. Ein Glück, stehen mir die Dinger nicht. (Anm. Florian: dafür landet bei Gunther ein Country+Western-Hemd im Einkaufskorb und fast noch ein Cowboyhut... den mir meine Frau „verboten“ hat). Im Levis-Shop lasse ich meine alte, ziemlich „zerfledderte“ 501 im Regal und Florian klebt noch einen Größenaufkleber dran. Dem neuen Besitzer viel Spaß damit....
Aktuell sitzen wir im Threadgills zum Abendessen, gegenüber hängen Bilder von Johnny Winter, Uncle John Turner, Tommy Shannon, Dr. John, Linda Ronstadt den Flatlanders usw.
Ich erinnere mich an das Land, in dem ich das zweifelhafte Vergnügen hatte aufzuwachsen – da hingen ganz andere Larven an der Wand!
Später geht’s ins Chuggin' Monkey, zur Statesboro Revue. Sind ziemlich gespannt drauf!
Zwischenzeitlich hat auch das Filmfest und die Interactive Messe begonnen. Die Stadt ist voll mit Outlaws, Desparados & Freaks & Filmfestbesuchern, die ihre ID‘s in blöden Plastikhüllen auf Wohlstandsbäuchen vor sich herschieben. Gefühlt ist deutlich mehr los, als im letzten Jahr. Das könnte auch am guten Wetter liegen.
Rückblickend durchschnaufen: Ein unglaublicher Abend! Zuerst wieder ins Blue Moon, den musikalischen Teil des Tages einläutend. Auf der Bühne stehen Los Hefes. Zwei Klampfen, Schießbude, Bass und Vocals. Beginnen mit einer Howlin‘ Wolf Nummer, bei Johnny Guitar Watson denke ich, das wird wohl ein Scheißgig (mag ich überhaupt nicht) weiter geht’s mit „Further On Up the Road“ (wird wohl doch gut) „Crossroads“ und meiner absoluten Blues-Lieblingsnummer „All Your Love“ von Otis Rush, oft kopiert und nie erreicht, naja, evtl. von Mister Slowhand, beispielsweise 1986 beim Montreux Jazz Festival. Ein Gitarrist ist o.k., der zweite sogar ziemlich klasse, die „Kickin‘ Ass Fraktion“ hält den Laden perfekt zusammen. Der Sänger und Frontmann ist so in etwa die Quersumme aus Chappo und Eric Burden, nur nicht so vollgedröhnt und zugekifft. Aber immerhin mit Bierflasche in der Hand. Da wir scharf auf die Statesboro Revue sind müssen wir leider vorzeitig gehen.
Das Chuggin‘ Monkey in der 6th Street ist ein cooler Laden, zweigeschossig mit (wenn man das möchte) Blick von oben auf die Band. Zuerst rockt die Kris Lager Band den Laden. So eine geile Mucke, da sind wir uns alle einig, haben wir länger nicht gesehen und auch nicht erwartet.
Der Sound lässt sich am treffendsten so beschreiben: Lynyrd Skynyrd meets Allman Brothers meets Gov‘t Mule. Abgeschmeckt wird das ganze noch mit Funk- und sogar Rapzutaten. Aber nicht so, dass man sich virtuell vor einer brennenden Mülltonne in den Outskirts einer amerikanischen Großstadt wiederfindet, sondern als zusätzlich intelligente Spielweise – das zusammenführen unzusammenführbarer Stile. Eclectic Rock ‘n‘ Roll . Kris Lager und sein Keyboarder sehen schon rein optisch aus wie die Reinkarnation von Gregg und Duane Allman. Zur Besetzung gehören neben Kris Lager an den Gitarren noch ein Bassist und der Drummer. Definitiv alle haben‘s drauf – Jam Rock der allerersten Sorte. Unglaublich, das die niemand kennt. Nach einer in diesen Clubs eher unüblichen Zugabe geben die Jungs mit leichter Verspätung die Bühne frei für die Statesboro Revue.
Das wird nicht einfach, gegen die anzuspielen. Stewart Mann betritt dann auch mit den Worten die Bühne: „I didn't see this coming“. Die spielen ja durchaus ein ähnliches Programm, live sind Black Crowes-Einflüsse unüberhörbar, musikalisch mindestens von der Qualität wie ihre Vorgänger. Trotzdem haben sie es schwer, dass Publikum hinter sich zu bringen. Stewart Mann ist ein Frontmann in Chris Robinson-Manier gibt alles und kämpft quasi gegen seine eigene Vorband an. Als nach ein paar Nummern noch keine richtige Stimmung aufkommen will, versteigt sich der Gitarrist in ein ziemlich blödes Posing. Hemd auf, freier Oberkörper, der Gitarrenhals praktisch als erigierter Penis. Zugute halten muss man, dass er damit wohl die Show retten wollte. Das haben die nicht nötig – die sind schon klasse. Als er merkt, dass das nicht ankommt, folgt die Kehrtwendung. Ab da wird’s dann richtig gut. Zum Finale eine sensationelle Version des Faces-Klassikers „Stay with me“. Southern-Rock Gitarrenduelle, so wie es der Bandname vermuten lässt. Zufrieden machen wir uns auf den Weg Richtung Blue Moon. Den Namen der Band haben wir uns nicht mehr gemerkt. Das war zu viel Feedback auf den Ohren. Geiler Tag! Und wir haben einen wahren Freak kennengelernt, Silent F, der sich durch permanentes Schweigen in Szene setzt. Das schafft auch nicht jeder.
Dienstag, 15. März
Die 6th Street wird schon heute für den Verkehr gesperrt, einen Tag früher als letztes Jahr. Die Vorboten, von dem, was sich in den nächsten Tagen über der Stadt zusammenbraut.
Wir wollten heute ein anderes Breakfast-Restaurent testen, war aber Selbstbedienung, haben wir keine Lust drauf und landen eben doch im Curras. Von dort direkt zu Waterloo. Inspiriert durch die Kris Lager Band schließe ich eine unfassbare Lücke in der Sammlung: Allmann Brothers „Brothers and Sisters“, das wurde höchste Zeit.
Kris Lager und seine Jungs spielen heute Mittag in einem Laden namens „Upper Decks“. Ist nicht ganz einfach zu finden gewesen, obwohl er eigentlich nur auf der anderen Flussseite liegt, direkt gegenüber vom Threadgills. Allerdings ist er nicht ohne weiteres als Live-Music-Loacation zu identifizieren, denn eigentlich sind die „Upper Decks“ ein Parkhaus; an die seitlichen Aufgänge hat man ein paar Tische gestellt und in der dritten Etage ist eine wirklich schöne Terrasse mit Bar. Interessanter, gemütlicher Laden. Auf dem „Upper Deck“ bauen die Bands ihr Equipment auf (neben der KLB noch ein Typ namens Ian Helner mit Band) und da der Gig auf 14.00 Uhr angekündigt war, geht es auch schon um 16.30 Uhr los.
Ian Helner mit Band spielt „Songwriter-Rock“, gut vorgetragen, instrumental sehr patent und allgemein kurzweilig. Im Vergleich zur Kris Lager leichter verdaulich, was aber keineswegs negativ gemeint ist. Gunther freut sich über insgesamt drei Tom Waits-Cover, u. a. „Chocolate Jesus“.
Kris Lager und sein positiv durchgeknallter Keyboarder Jeremiah erkennen uns wieder, freuen sich, dass wir wieder gekommen sind und erzählen vor dem Auftritt ein bisschen von ihrer Band; die machen das hauptberuflich, spielen bis zu 200 Gigs im Jahr, manchmal auf Festivals vor mehreren 10000 Leuten, manchmal aber eben nur „in front of a few children“ wie heute; denn außer uns und ein paar Familien sind nicht viele Leute erschienen. Ist aber egal, Spaß an der Musik haben sie auch so und jamrocken sich durch eine gute Stunde, die wieder alle Facetten abdeckt von balladesk bis krachend; Höhepunkt eine fast 14 Minuten-Version von „You can’t always get what you want“ von den Stones, in die Rap-Parts des farbigen Drummers eingebaut werden. Durchgeknallt, aber geil. Cooler Auftritt. Anschließend macht sich die Band auf den Weg nach Colorado, wo schon am nächsten Tag der nächste Gig ansteht.
Dann schnell zum Burgerschnappen und Chlorcoketrinken ins Opal Divine.
Von dort direkt ins Austin‘s Home Of The Blues, dem Antone‘s. Für Florian Neuland, wir kannten den realtiv großen Club schon von verschiedenen Shows – so auch von den Heathens vor zwei Jahren um Mitternacht vor noch ca. 50 Leuten. Genau die sind heute wieder der Anlass.
Ca. 22:00 Uhr beginnt die offizielle Release-Party zur aktuellen neuen Scheibe „Top Hat Crown & Clapmaster‘s Son“. Die Tickets hat Florian schon in Deutschland organisiert. Wir treffen kurz nach 20:00 Uhr ein und müssen feststellen, dass noch nicht viel los ist.
Als „Anheizer“ soll Matt The Electrician auftreten. Wozu der Strom für seinen blutleeren Auftritt benötigt, bleibt wohl sein Geheimnis. Einzig der Gastgitarrist Jeff Plankenhorn versteht es halbwegs zu überzeugen. Nach ca. 45 Minuten ist der Zauber vorbei.
Inzwischen läuft auch die Heathens-Merchandising-Maschinerie perfekt, ein Zeichen, dass die Heiden kein Geheimtipp mehr sind. Um es vorwegzunehmen: Die aktuelle LP wird mit ziemlicher Sicherheit Eingang in die persönliche Liste der 10 besten Alben in 2011 finden und an meiner Einstellung zur Band hat sich nichts geändert - die sind live definitiv (fast) immer gut. Auffällig jedoch die durchlebte Metamorphose. Es kann schon der Eindruck entstehen, das neben einer erstklassig produzierten Scheibe auch ein Stil- und ein Imageberater Credits bekommen müssten. Besonders bei Ed Jurdi, der sich vom zopftragenden Multiinstrumentalisten zur Stilikone gewandelt hat. Dies ist definitiv kein Werturteil über den musikalischen Teil des Abends.
Inzwischen ist das Antone‘s gut gefüllt und wir freuen uns auf den Heidenspaß. Bin besonders gespannt, wie die neuen Songs live funktionieren. Eines meiner Lieblingsstücke „Look at Miss Ohio“ habe ich schon besser gehört, beispielsweise letztes Jahr im Amsterdamcafe, wobei das Gitarrenfinale dann entschädigt. Dafür klappt das neue Material als Song an sich recht gut, Should Have Known, Polaroid, und insbesondere Gris Gris Satchel überzeugen. Free Again, hätte ich mir druckvoller gewünscht. Dies gilt für den vollständig von mir erlebten Teil des Auftrittes. Florian hat schon vorher mit der Bemerkung den Abflug gemacht, er braucht heute noch ein wenig Krach, und zieht weiter zu Broken Teeth.
Und: Wofür die live einen zweiten Keyboarder benötigen, bleibt mir ein Rätsel.
Da wir gegen 23:15 Uhr der Meinung sind, gut die Hälfte des Gigs erlebt zu haben und ich die Heathens schon ein Dutzend mal gesehen habe, schließen wir uns Duisburg-Thomas Richtung Swollen Circus an.
Auch vor Ort, wie jedes Jahr, der inzwischen 97jährige Pinetop Perkins, zum CD signieren.
Eine halbe Stunde zurück in der Zeit: mir (Florian) sind die Heathens heute zu ruhig, weswegen ich nach einer dreiviertel Stunde beschließe, doch noch ins Red Eyed Fly zu gehen zu Austin's Broken Teeth. Ich kannte die Band bis zum SXSW 2010 nicht, habe seinerzeit aber im Waterloo die aktuelle CD im Regal stehen sehen, und der Plattentitel „Viva la Rock, Fantastico!“ sowie der Sticker „feat. Jason McMaster (ex-Dangerous Toys) and Special Guest Danko Jones“ haben mir letztes Jahr für einen Blindkauf gereicht. Und diesen habe ich nicht bereut, denn Broken Teeth spielen astreinen Schweinerock in der Schnittmenge zwischen AC/DC oder Airbourne und der skandinavischen Rotzrock-Schiene, wie eben Danko Jones. Im Red Eyed Fly rocken die Jungs den gut gefüllten Laden heute eine gute dreiviertel Stunde lang. Diese Musik ist einfach für die Bühne gemacht. Klar, musikalische Abwechslung ist hier nicht das oberste Gebot, aber die messerscharfen Riffs sitzen, die Rhythmusgruppe groovt und Jason McMaster passt mit seiner schneidenden Stimme in Richtung Brian Johnson/Udo Dierkschneider bestens dazu. Dazu sind die Nummern, die prägnante Titel wie „Stick it in“, „Exploder“ oder „Undertaker“ tragen, 100% mitgröhlkompatibel. Einfach lauter Rock ‘n‘ Roll für die Bühne. Horns up!
Pünktlich um Mitternacht entern The Silos die Bühne. Neu (für uns) ist die Keyboardlady, ansonsten alles wie gehabt. Krachender Gitarrenrock, keine Effektenspielerei nichts was nicht unbedingt benötigt wird. Der „Saal“ ist nur noch halbvoll, dem Publikum und uns gefällts. Leider nur ca. 20 Minuten, aber sind uns ja auch nicht unbekannt.
Der eigentliche Grund für unsere Anwesenheit ist jedoch in anderer: Der Altmeister des knochentrockenen Wüstenrocks, Mister Rich Hopkins. Unverzichtbar der Meilenstein des Genres: „El Paso“. Am Bass von der Sand Rubies Kollaboration Ken Andree, an der Rhythmusgitarre Ehefrau und Darling Lisa Novak. Deren Stimme halte ich jedoch für entbehrlich, ist mir aber völlig wurscht, die leider nur drei Nummern (von „Loveland“ bzw. „The Other Side“) haben es gitarrenmäßig in sich. Frei nach dem Motto: Wide Swing Tremolo, und wie es schwingt, das Tremolo...
Duisburg-Thomas und ich sind froh, den Wechsel in den Swollen Circus riskiert zu haben. Geniales Finale.
Schulzie hat vorher schon den Abend beendet, trifft auf dem Heimweg auf Florian, im, na wo schon, Blue Moon. Was im Blue Moon gespielt hat, weiß ich nicht mehr, aber Schulzie und ich genehmigen uns noch Abschluss-Cocktails, als alter Mr. Big-Fan freue ich mich auf meinen ersten „Colorado Bulldog“, eine eigentlich fiese Mischung aus Vodka, Cola und Milch. Danach geht's auch für uns zurück zum Extended Stay America.
Wir waren heute annähernd auf 10 Stunden Livetour, dabei beginnt das SxSW erst morgen.
Mittwoch, 16. März
Heute Früh klappt‘s besser, wir gehen ins Magniola Cafe zum Frühstück, da wird bedient, und die Teller sind mehr als reichlich bestückt. Dicker Tipp!
Ich beschließe, um einen wirklich realistischen Eindruck zu erhalten, am Donnerstagabend erneut zu den Heathens zu gehen. Mal sehen, was dabei rauskommt.
Wir gleichen unsere Tourfiles ab. Fest steht die Guitartown-Party im früheren Mother Egans (Bericht folgt) und mit ziemlicher Sicherheit Guitar Shorty, habe ich schon zweimal verpasst.
Nachdem Florian noch ein bisschen „rumgegoogelt“ hat, die Stadt und das Festival ist permanent für Überraschungen gut, ziehen wir ins Dogwoods zur Guitartownparty. Ich stehe noch nicht richtig an der Bar, werde ich schon mit einem Riesenhallo und Umarmung von mehreren Freaks begrüßt. Die hab ich vor zwei Jahren im Fado‘s bei eben dieser Party getroffen. Wir verabreden uns für morgen Nachmittag im Threadgills. Die Hoffnung, dass sich der Auftritt von ZZ TOP Billy F. Gibbons noch nicht herumgesprochen hat, können wir wohl begraben. It‘s not a secret!
Um 12:30 Uhr fegt mit Willie Nile einer der letzten aufrechten New Yorker Straßenrocker wie ein Orkan über die Außenbühne. Mit dem Opener „House Of Thousends Guitars“ hat der die Anwesenden sofort im Griff. Er springt (erstaunlich geschmeidig) über die Bühnenmauer, rennt zwischen den Anwesenden hin und her und zeigt allen, was er an den sechs Saiten drauf hat. Genauso geht Rockmusik, laut, dreckig und ungezähmt. Sein für den Gitarrensound zuständiger Sidekick, steht ihm technisch in nichts nach. Der Bassist spult sein Programm grundsolide ab, dem Trommler mangelt es ein wenig an Variantenreichtum. Allerdings hat er riesige Drumsticks und drischt wie ein Berserker auf die Felle ein, dass Teile seines Arbeitsgerätes umzufallen drohen.
Und singen müssen alle. Bei „Cellphones“ wird’s von der Grundstimmung mahnender, Niles Statement zu Nine Eleven – laut und krachend bleibt es trotzdem. Bei „The Innocent Ones“ und „One Guitar“ wird Partyrock zelebriert, mit „People Who Died“ (ein Jim Carroll-Cover, das auch „meine“ Wildhearts schon gespielt haben) beschließt er viel zu kurze 25 Minuten. Kleiner Derwisch riesengroß! Hammershow!!
Indoor spielt inzwischen Kevin Welch, haben wir am Sonntag schon in Luckenbach gesehen. Er ist dieses Mal ohne Begleitung, die Songs sind gut, zündet solo aber nicht ganz so.
Auf der Außenbühne steht Steve Poltz, kennen wir bisher nicht, er macht seine Sache auf der Akustischen richtig gut und schrubbt die Songs runter das man um die Saiten und Finger Angst haben muss!
Jon Dee Graham spielt zuerst mit Susan Cowsill und Freedy Johnston im Indoorbereich, später mit eigener Band auf der gleichen, ziemlich knappen, Bühne. Was für ein Unsinn, hier geht’s um Gitarrenrock und nicht um irgendeine verkopfte Songwritermucke, die den Weltschmerz beackert.
Wenn schon mehr Platz da ist, sollte der auch adäquat genutzt werden. Schade, Ziel verfehlt.
Der Auftritt, jedenfalls das was wir hören konnten (zu sehen gab‘s nichts) war gut. Ausschließlich Material von der „As Not As Bad As It Looks“, so wie man ihn schon ewig kennt, Riffrock und leicht rauhe Stimme. Der ist einfach gut und schön, dass es ihm nach dem schweren Autounfall (zu seinem Glück saß er in einem Volvo) auch wieder gut geht. Jon Dee, auch wenn man ihn schon viele Male gesehen hat, ist nahezu immer eine Liveoption. Das Publikum war begeistert.
Kurios: Ich kenne bisher nur US-Auftritte.
An dieser Stelle noch eine unvollständige Auflistung der Bands, die wir bei der Guitartownparty, verpassen: Shurman, Silos, Chip Robinson und und und....
Zwischenzeitlich ist Schulzie eingetrudelt, er hat „pflichtschuldig“ noch Fotos formatiert und riesige Dateien nach Deutschland versendet. Zu viert, (Duisburg-Thomas ist wieder mit von der Partie) ziehen wir weiter Richtung Parkplatzbühne vorm Waterloo.
Hier spielt eine Florian-Empfehlung und er fasst den Apex Manor Auftritt an dieser Stelle zusammen.
Am ersten SXSW-Tag starten dann auch die Showcases auf dem Parkplatz von Waterloo Records, wo wir im Vorjahr einige gute Gratis-Shows gesehen haben. Der erste Name auf meiner (Florians) Liste ist APEX MANOR, weiß nicht mehr wo ich ihn gehört habe, aber irgendwo habe ich ihn mal aufgeschnappt in positivem Zusammenhang. Wikipedia sagt „Alternative Rock“, das kann man ja mal antesten! Also verlassen wir die Guitar Town Party um kurz nach halb vier und begeben uns zum nahen Waterloo Records Parkplatz. Apex Manor sind dann auch eine positive Überraschung, schöne eingängige Songs, gute Melodien… alternativer Rock, der (und das ist nicht negativ gemeint) auch gut im Rock-Radio laufen könnte. Dazu ein wirklich guter Sänger und eine sympathisch wirkende Band. Krachende Gitarren fehlen hier größtenteils, die Band fährt eher die eingängige Schiene. Die neue CD wandert noch auf meine Einkaufsliste, auch wenn für einen Direktkauf keine Zeit mehr ist, da Ray Wylie Hubbard im Threadgills bereits ansteht.
Weiter ins Threadgills, zum Ray Wylie Hubbard Auftritt, leider leider, Indoor, wie wir feststellen müssen. Alle Sitzplätze im hinteren Bereich des Restaurants sind belegt und Stehplätze gibt es keine. Das war dann einfach Pech und kann schon mal passieren, der ist hier schon so eine Art Lokalheld. Schwamm drüber, da wir ohnehin was essen müssen, bleiben wir doch, sehen ihn zwar nicht, können seinen Auftritt zumindest (teilweise) akustisch mitverfolgen. Immerhin!
Da die Show auch noch mitgeschnitten wird und der Musiker sehr auf diesen Umstand fixiert war, haben wir nicht wirklich viel verpasst. Während wir zahlen entern die Trishas den Laden, das wird wohl nichts mehr.
Zurück auf der 6th Street im, na wo schon, genau, im Blue Moon. Kurz ein Shiner, der Name der aktuell anwesenden Band ist nicht mehr verfügbar. Ist auch nicht schlimm, die waren ohnehin nichts. Ich glaube mich zu erinnern, das es irgend so ein Mainstreamkram war, passt nicht in einen Bluesclub.
Wir beziehen auf der anderen Seite der Straße im „Pure“ Stellung.
Florian hat den Justin Black Auftritt ausfindig gemacht und fasst zusammen:
Sehr weit oben auf meiner „Must See“-Liste steht dieses Jahr JUSTIN BLACK mit seinen BIG HEART, welche ich letztes Jahr eher durch Zufall im Momo’s gesehen habe, als ich auf Faster Pussycat gewartet habe. Letzteres hat ja nicht geklappt, aber Justin war eine Entdeckung und seine Teaser-CD, die er mir nach dem Gig schenkte, rotiert regelmäßig in meinem Player. Mittlerweile ist die erste Platte draußen, die ich am Sonntag gleich bei Waterloo verhaftet habe und sechs Gigs stehen an diese Tage, u. a. heute um 19.15 Uhr im Pure, praktischerweise direkt gegenüber unseres Stammladens, Blue Moon/ex-Nuno’s. Das Pure ist eine Art Nachtklub und ich muss sagen, ich war bislang glaube ich noch in keinem Laden, der sich weniger für Konzerte eignet. Die Band steht nebeneinander im ersten Stock und blickt runter auf die Bar, wo sich einige Schaulustige versammelt haben. Für den Keyboarder ist kein Platz, aber immerhin hat man den Drummer irgendwie auf diese Empore gequetscht. Justin spielt fast nur neue Songs, aber auch die haben es in sich. Gunther macht einige Einflüsse von Chuck Prophet aus, für mich, der in diesem musikalischen Sektor noch recht neu ist, ist das einfach tolle, melancholische Rockmusik mit viel Seele, und sehr authentisch vorgetragen. Dass der Kerl in Austin wohl nur eine Randnotiz ist, ist für mich eigentlich kaum vorstellbar, das ist schon großes Kino. Nach dem Gig will Gunther noch zwei Exemplare seiner neuen CD kaufen, aber Justin, voll Geschäftsmann, will gar kein Geld dafür. Über Gunthers 10 Dollar freut er sich umso mehr. Da muss der gute noch ein bisschen dazulernen. Auf jeden Fall ist der Gig auf dem Texas Rockfest am Freitag dick notiert.
Ergänzung vom 21. März: die neue CD „Devil Tree“ haben wir gestern im Auto gehört, und die Frage warum er in Austin keinen großen Erfolg hat, kann ein bisschen beantwortet werden: sie ist kein wirklicher Kracher. Zu ruhig, zu glatt und vor allem überproduziert; v.a. die alten Nummern, die ich seit letztem Jahr ja in ersten Versionen habe, verlieren durch die Überlastung mit Bläsern etc. Aber live hat er eh nichts davon gespielt, bleibt zu hoffen, dass er seinen Sound gefunden hat und dies der der Konzerte ist, da die live gespielten Songs sowie die Performance durch die Bank überzeugen konnten.
Wir suchen den Tap Room at Six, fälschlicherweise in der 6th Street, ist kompletter Unsinn, der Club ist in der Colorado Ave. Beim dritten Anlauf klappt es dann. Kein schlechter Laden, aber leider eine viel zu kleine Bühne. Aktuell steht die schwergewichtige Shelly King auf der Bühne. Der Sound lässt sich am besten so beschreiben: Vier Esslöffel Blues, ein Teelöffel Gospel und eine Messerspitze Cajun. Dies alles garniert von einem Akkordeon, der Funke springt nicht. Wir (zumindest ich, Florian hat sich bereitwillig geopfert, da er eine kurze Lücke in seinem Tourfile überbrücken muss) sind ja auch nicht wegen Shelly King sondern wegen Leeroy Stagger vor Ort, einem weiteren Rootsartisten aus dem Hause Blue Rose. Auch für ihn, wenn auch weit weniger gewichtig, ist die Bühne zu eng. Schon beim Soundcheck stößt er permanent mit dem Gitarrenhals an die linke Box.
Beide Scheiben „Everything Is Real“ und „Little Victories“ gefallen mir gut, heute spielt er jedoch mit angezogener Handbremse. Gute Kost, grundsolides Handwerk, aber (heute) ohne Pfiff. Besonders auffällig bei „Everything On Drugs“ leider eine zu laue Version eines ernsten Themas. Auf jeden Fall gibt es eine zweite Chance!
Anschließend trennen wir uns, bei mir (Florian) steht heute Ladies Music auf dem Programm. Erster Anlaufpunkt ist die St. David Bethell Hall, wo MARIT LARSEN hätte spielen sollen. Der Gig des norwegischen Pop-Sternchens ist aber anscheinend leider verlegt, und um 10 p.m. spielen zwei andere Bands. Da die im kleinen Raum sehr religiös wirken, entscheide ich mich für die Band im großen Saal. Wobei… „Saal“ ist falsch, die spielen in einer Kirche. Die Verstärker sind rechts und links des Altars aufgebaut, die beiden Musiker stehen davor und links der Kanzel. Im Foyer der Kirche ist die „Divine Bar“ aufgebaut, wo munter Wasser in Wein verwandelt wird. Die Band, die spielt, heisst HERMANN DUNE, zwei Franzosen, die einen eigenartigen akustischen Alternative Rock spielen, irgendwie aufs nötigste reduzierter Sound, aber ein grandioser Gitarrist. Macht Spaß, vor allem aufgrund der einzigartigen Location und dem Publikum gefällt es auch. Vielleicht sind aber einige auch einfach froh, mal ruhig in einer Kirchenbank sitzen zu können. Nach rund zwei Drittel des Gigs klinke ich mich aus und schleiche mich durch die dunklen Kirchenreihen zum Ausgang.
Über ein kurzes Zwischen-Shiner im Blue Moon, wo es ein sehr guter farbiger Blues Rock-Gitarrist ordentlich krachen lässt und einem kleinen Abstecher in die Red River Street zu DAWN OF ASHES (Slipknot-Masken-Träger prügeln auf ihre Instrumente ein, brauche ich heute weniger…) geht es zur Tages-Headlinerin, ELLIE GOULDING in die Bat Bar. Diese räumt im englischen Heimatland schon mächtig ab und auch in Deutschland kann sie bereits Erfolge verzeichnen… jetzt steht der Sturm auf die USA an. Die Bat Bar ist jedenfalls gut gefüllt und viele Anwesende, v.a. Mädels, scheinen mit Ellies Songs in der Schnittmenge Folk/Songwriter und Elektronik vertraut zu sein. Ellies anfänglich deutlich sichtbare Nervosität (erster US-Gig) verfliegt schnell. Dass sie aus ihrem Heimatland Bühnen gewohnt ist, die größer als ca. 8 qm sind, nimmt sie mit Humor und rockt locker durch ihr 40-Minuten-Set, der alle Hits (Starry Eyed, Lights, Guns & Horses, Salt Skin) beinhaltet. Die junge Begleitband (zwei Keyboarder, die auch Gitarre und Bass bedienen und ein Drummer hinter der üblichen Plexiglas-Scheibe – sah bei der kleinen Bühne ein wenig albern aus) legen dazu ein gutes Fundament. Sehr schöner Tagesschluss! Und… habe jetzt mal versucht, in erster Linie auf die musikalische Qualität einzugehen; aber natürlich ist sie auch ein heisser Feger!
Vom Tap Room geht’s weiter auf die Congress Ave ins Speakaesy. Toller Laden, zwei Bühnen, Dachterrasse brauchbare PA und Shiner, also alles was der Rock ‘n‘ Roll er so an essentiellen Dingen benötigt. Hier treffen wir auch wieder auf Duisburg-Thomas. Der Grund für unsere Anwesenheit ist der sympathische „Schwedendreier“ Baskery aus Stockholm. Bestehend aus E-/Akustikgitarre, Bass-/Snare, Banjo, Stehbass. Wirken auf mich ein wenig wie die weibliche Version von Sixteen Horsepower, allerdings auf Highspeed und nicht so charismaverliebt. Oder vielleicht auch ein wenig Judgement Day, wer weiß?
Die Sängerin geiselt ihre Gitarre beim letzten Stück bis zur materialverträglichen Grenze. Die für den Rhythmus zuständige Fachfrau spielt bei eben dieser Nummer mit dem rechten Fuß Bassdrum, mit dem linken die Snare, parallel dazu noch Banjo und Harp. Die Kontrabassistin sorgt perfekt für den Groove. Singen und anheizen können alle drei. In den ersten fünf Reihen stehen nur Kerle. Klasse-Show, die kommen nach Deutschland auf Tour. Hingehen!!
Während Gunther die „Schwedenshow“ genießt, zieht es mich (Schulzie) und Thomas (Duisburg) in den Raum der Haupttribüne. Wir hören ein mächtiges Gitarrenspiel, und das lässt uns nicht bei Baskery hängen. Ist nicht ganz unsere Musik. Kaum in den Haupthallen des Speakeasy angekommen werden wir gleich mit unverfälschtem Gitarrensound verwöhnt. Ein echter Hingucker. Es spielen Smokin‘ Joe Kubek & Bnois King. Hier mal ein paar Zitate von amerikanischen Musikzeitschriften:
„Powerful, hard-nosed, authentic roadhouse blues…Punchy Texas shuffles, fierce boogies, tough slow blues and mighty fine roots rock.“ Living Blues
„Kubek is one of the fiercest electric guitarists currently plugged-in. Hard-hitting original Texas blues-rock.“ –Billboard
Die zwei spielen wie ein Herz und eine Seele. Thomas und ich erfreuen uns an unserer Entscheidung und genießen das perfekte Zusammenspiel der zwei Musiker. Nach dem Gig kommt dann noch Guitar Shorty auf die Bühne. Hier stößt Gunther zu uns hinzu und übernimmt wieder das Schreibruder.
Anmerkung Gunther zu Smokin‘ Joe: Den hatte ich auf meiner Liste, gedanklich, leider nicht aufgeschrieben, habe viele seiner Platten. Als ich Schulzies Bericht lese, habe ich zuerst gedacht, ich fall vom Glauben ab. So ein Mist, Baskery hätte ich noch zweimal sehen können.
Jetzt wieder vor zur Hauptbühne, da wird gerade für einen meiner Blues-Allzeit-Favoriten, Guitar Shorty, angerichtet. Der sieht zwar groß und bedrohend aus, ist aber ein absolut sympathischer Typ, der derzeit auch für einen Grammy nominiert ist. An Shorty ist alles viel und üppig. Ein Finger auf dem Gitarrenhals bedeckt praktisch einen ganzen Bund. So ist auch sein Spiel, roh, unbehauen und bedrohend. So geht klassischer Chicago-Blues mit leichten, nicht nervenden, Funkeinflüssen. Sein zweiter Gitarrist könnte in jeder anderen Blueskapelle problemlos der Bandleader sein. Der Bassmann wirkt wie das weiße Pendant von Johnny Johnson. Gemeinsam mit dem Schlagzeuger spielt er sich auf Anweisung seines Chefs die Bälle zu. Shorty weiß, wem er seine Bucks verdankt, artig bedankt er sich bei Alligator Records.
Es sind eine Menge junger Leute im Speakeasy, was je zumindest auf dieser Seite des Atlantiks, für Hoffnung sorgt. Fazit: Uneingeschränkt empfehlenswert.
Es ist jetzt 12:00 Uhr, nachts wohlgemerkt. Schulzie langt es für heute, Thomas und ich gehen in den Velveeta Room. Label-Mastermind Edgar ist schon anwesend, ebenso Todd Thibaud und Band. Neu ist, dass Tom Gillam für den elektrischen Gitarrensound zuständig ist. Macht er überzeugend, so eine Art Frischzellenkur. Jedenfalls war das nicht so sanftmütig wie schon manchmal erlebt. Mal sehen, ob mehr daraus wird. Wäre wünschenswert! Dies war der Abschluss eines unglaublichen Tages, der von der Guitartownparty bis zum Velveeteroom 13 Stunden Livemusik gebracht hat. Ein paar Anwesende ziehen weiter zu Baseball Project, Thomas und ich Richtung Hotel. Vorm Belmont hören wir interessanten Sound und ändern spontan unsere Pläne. Auf der Bühne steht die klassische texanische Schule, Westernsound, als beim zweiten Stück das Publikum so eine Art Mutanten-Squaredance beginnt, reicht es mir dann endgültig für heute.
Donnerstag, 17. März
Meine Schmerzen sind verflogen, das rechte Ohr ist geräuschfrei und das letzte verschriebene Kortison ist eingeworfen. Heute darf ich endlich auch Shiner ohne schlechtes Gewissen trinken.
Beim Frühstück im Curras blödeln wir rum, wie wir ein Label gründen, oder noch besser, als Banker ein bestehendes in finanzielle Schwierigkeiten bringen um es dann günstig zu kapern.
Wir sind jedenfalls für heute wieder guter Dinge. Kleiner Auszug gefällig: Baseball Project, JMascis, Rocky Erikson, Billy Gibbons, Jason Isbell, Emmylou Harris, Bangles usw. usf.
Jetzt geht’s zuerst ins Threadgills. Unsere Befürchtungen bestätigen sich nicht, wir kommen trotz des Programmes (beispielsweise Billy Gibbons) rein. Auch positiv: Der saftlose Elektriker Matt, der auf der Liste stand, hat seine Show schon hinter sich. Unsere amerikanischen Freunde vom Vortag (aus dem Dogwood) treffen wir leicht „gezeichnet“ an.
Der musikalische Teil des Tages beginnt mit Cody aus Dänemark, bestehend aus zwei akustischen Gitarren, Violine, Cello & Harp und einer ganz nett anzusehenden Sängerin. Als Band recht überzeugend, besonders der Gesangspart. Nicht die Musik, die man aus Dänemark erwartet hätte, knallt auch nicht so rein wie. beispielsweise Baskery, trotzdem guter Auftritt.
Als nächster Act steht Will Sheff auf der Bühne, der Frontmann von Okkervil River. Florian kennt die/den, mir sagt er nichts. Klingt nach dem Jahrhundertalbum Grace von Jeff Buckley, möglicherweise nicht ganz so anrührend. In einer Mitternachtsshow in einem kleineren Club wäre er wohl besser aufgehoben.
Ganz anders der nächste Act, angekündigt als Peter Buck‘s Baseball Project, was ja so nicht ganz stimmt, Peter Buck ist gleichberechtigtes Mitglied des Vierers, der sich ausschließlich mit der Geschichte der amerikanischen Kultsportart auseinandersetzt. Zwischenzeitlich sind bereits zwei Scheiben bei einem nicht unbekannten schwäbischen Label erschienen. Es handelt sich übrigens um den Peter Buck von R.E.M; ebenfalls mit in der Band ist Scott McCaughlin, der seit 1996 bei R.E.M. im Studio und live mitmischt. Große Sänger sind alle nicht, als Band funktioniert das aber saugut. Später kommt Linda Pitmon, Steve‘s Ehefrau und Schlagzeugerin von Miracle III, auf die Bühne. Zuerst für einen Vocalpart, dann für die Drums, macht sie richtig gut. Überhaupt kommen alle vier sehr sympatisch rüber.
Nach den sehr ruhigen Vorgängern ist das Publikum in Partylaune.
Florian schlägt vor, Peter Buck nach einem gemeinsamen Foto zu fragen. Leider finden wir ihn nicht, aber Scott McCaughlin lungert am Merch-Stand rum, und der ist ja minimum auch ein halber R.E.M. Sehr gerne erfüllt er die Bitte, Linda Pitmon kommt gleich noch mit auf‘s Bild, was Qualität und Optik deutlich aufwertet.
Das nächste Wechselbad der Gefühle steht an: The Hickoids.
Anfangs denken wir, dass es so eine Art Rockabilly Punk ist, passt nur zum Teil, die bieten ziemlich alles an härteren Spielarten. Der Frontmann ist der Oberposer, hat relativ schnell den Oberkörper frei und sein Gesang klingt eher nach heißerem Gegröhle, ist aber trotzdem nicht ohne Qualität. Eine infernalische Version von Foxy Lady beschließt den Set. War ok.
Die Popgören von Giana Factory gefallen mir nicht, Florian meint, für das was sie eigentlich wollten, war es ganz o.k. Naja, über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Für meinen Teil bin ich froh, dass der Spuk noch 25 Minuten vorbei ist.
Kleine Ergänzung meinerseits (Florian) zu Giana Factory: „Popgören“ finde ich ein bisschen hart, damit verbinde ich Kram wie die Pussycat Dolls und so, Chartsmüll also. Die drei (recht ansehnlichen) Mädels spielen reine Elektromusik mit Synthies, E-Drums und einer Gitarre, letztere aber eher für die Optik. Kommerziell ist das ganze nicht, große Melodien oder gar Hits sind auch schwierig auszumachen, aber sie wissen schon, wie sie ihre Instrumente einsetzen. Ist auch nicht mein Ding, solche Musik, aber respektieren tue ich so etwas schon.
PEELANDER-Z, hinter diesem obskuren Namen verbirgt sich eine japanische Band, das hatten wir schon rausfinden können. Diverse japanische Musiker liefen auch während der vorherigen Gigs durchs Publikum und fotografierten alles und die Optik der Musiker belegte ein Vorurteil: japanische Bands haben oftmals einen an der Klatsche. So auch Peelander-Z, die übrigens erstaunlicherweise eine hohe Shirt-Quote im Publikum haben. Zur Musik gibt es gar nicht viel zu sagen, Punk Rock, eingängig, ein bisschen wild, ein bisschen melodisch, nett anzuhören. Aber die Show… ein Musiker (Bass) ist komplett in rot gekleidet, der Sänger komplett in gelb, mit einer Frisur wie Krusty der Clown. Wie viele Bandmember es insgesamt sind, weiß ich nicht, dauernd kommen andere Mitglieder auf die Bühne, halten Schilder hoch, die das Publikum zu Aktionen anmieren. Beispiel: Schild eins: MAD. Publikum schreit: „MAD!“ Schild zwei: TIGER. Publikum schreit: „TIGER!“. Das wird solange wiederholt, bis sich der Sänger eine Tigermaske aufsetzt und von der Bühne in die Menge springt. Ja, und so geht es den ganzen Gig über, die Musik rückt in den Hintergrund. Macht aber auch nichts, die Show ist witzig und unterhaltsam.
JMASCIS habe wir ja letztes Jahr im Red7 gesehen und hat uns überhaupt nicht gefallen.
Er ist wieder alleine mit der Akustischen unterwegs, spielt nur zwei Songs, davon der zweite schön verzerrt. Seine Stimme hat ohnehin einen hohen Wiedererkennungswert. Rehabilitation gelungen!
Als Einleitung auf Roky Erickson dient die texanische Punk-Band RIVERBOAT GAMBLERS. Von denen habe ich sogar eine Platte, seinerzeit für wenig Geld im Media Markt aus der Schnäppchenkiste mitgenommen, da ein Sticker „Best Band from 2009’s SXSW“ draufklebte. CD ist gut, Band ist live noch besser. Die haben ordentlich Spaß auf der Bühne und machen richtig Action. Vielen Anwesenden scheint die Band bekannt, und der Sänger zieht die ganze Palette eines Frontmannes ab… Boxen-Klettern und der Sprung ins Publikum zum Weitersingen sind die Grundausbildung, Kopfüber-Am-Baum-Hängen allerdings schon die hohe Schule. Da die Band dazu auch klasse rockt, ist das Publikum begeistert und die Jungs können den Auftritt als Erfolg verbuchen.
Inzwischen drückt die Sonne ganz ordentlich und der Außenbereich ist „Sold Out“.
Wir sind auf Lone Star umgestiegen, beamt weniger, der Tag hat noch ein paar Stunden.
Mit Roky Erickson betritt der erste Teil der Hauptattraktion die Bühne. Klassische Südstaatenblues-/Bluesrockschiene mit leichtem Psychedelic-Touch. Cooler Typ, dem man sein Leben ansieht, genießt hier schon so eine Art Heldenstatus. Die Band, insbesondere der Gitarrist, liefern ihm das perfekte Fundament. Und Unterstützung erhält er von einem weiteren Meister seines Fachs. Dunkle Sonnenbrille, Wollmütze und einen 32inch Bart, kein geringerer als ZZ Top Gitarrist Billy Gibbons. Der spielt hier in einem Biergarten, vor ca. 400 Leuten, dass muss man sich mal vorstellen. Mich begeistert ohnehin eher der Umstand, dass Gibbons hier überhaupt anwesend ist, dass ein Vollfreak einen Kollegen unterstützt. Über den musikalischen Wert vermag ich nicht zu urteilen, stehe nicht unmittelbar vor der Bühne. Das ist für den Moment auch so was von egal!
10 Minuten im Blues-Rock-Himmel. Ab jetzt kann nichts mehr schief gehen. Punkt!
Schulzie meint, er braucht die Heiden heute nicht und zieht weiter ins Hotel um die Rock ‘n‘ Roll -Krankheiten (Gichtfuß, Leberzirrose und Adipositas) zu behandeln. Florian und ich reihen uns in die schon bekannte Schlange für die Wristbands vorm Antone‘s ein. Die privilegierten Badgeinhaber (über 500 $) sind schon drin, nach ein paar Pay-Cash-Glücklichen ist der Laden voll, logisch gegen 23:00 Uhr tritt Emmylou Harris auf. Wir sind ausschließlich wegen der Band of Heathens gekommen, nachdem es ja zu Releaseparty am Dienstag sehr unterschiedliche Wahrnehmungen gab.
Um es kurz zu machen, zwischen dem Opener „Polaroid“ und dem Schluss „Should Have Known“ spielen Sie nur Material von „Top Hat Crown...“Sie machen dass, was Sie am besten können, sie jammen miteinander, die Gitarren sind wieder dreckiger als vorgestern und die Klamotten nicht so stylish. Selbst der „Gastorgler“ stört heute nicht so. Mit einem quasi A-Capella-Gänsemarsch zu „Should Have Known“ gehen 40 Heathens-Minuten in gewohnter Manier zu Ende. So sieht man die gerne!
Wir sammeln Schulzie wieder ein, er bekommt exakt 60 Sekunden um seinen Körper zu bedecken.
In Lucy‘s Retired Surfer Bar spielen Micky And The Motorcars zum Tanz auf hier der Bericht von Florian.
Nach den Heathens entschließen wir uns, uns „alte Bekannte“ anzuschauen, denn in „Lucys Retired Surfer Bar“ spielen MICKY & THE MOTORCARS, die wir im Dezember in Heilbronn live gesehen haben, diesmal mit Mickys Vater MUZZIE BRAUN im Vorprogramm. Die Surfer Bar ist ein gemütlicher, typisch amerikanischer Laden und recht gut gefüllt, aber nicht zu voll. Wir sichern uns einen Tisch in der Ecke, von dem man gut Richtung Bühne schauen kann und bestellen die erste Runde Drinks. Der freundliche mexikanische Ober ist anfangs noch ein bisschen langsam, aber als die zweite + dritte Runde folgen, merkt er, dass man an durstigen deutschen Rock’n Rollern vielleicht einen guten Tip verdienen kann und wird immer fixer und um uns besorgt. Muzzie Braun eröffnet den Abend alleine mit seiner Gitarre und bringt mit einer bunten Mischung aus US-Country-Klassikern Stimmung in den Laden und einige der Anwesenden zum tanzen. Der ganze Abend gleicht ein bisschen einem Familien-Happening, Muzzies Frau/Mickys Mutter ist anwesend, die Freundinnen der Motorcars-Musiker ebenfalls. Micky und seine Jungs gehen viertel nach zehn auf die Bühne und schaffen es problemlos, das Stimmungslevel zu halten. Ich mag die Band sowieso und auch in Heilbronn fand ich sie im Dezember schon gut. Im Vergleich zu damals klingen sie heute ein Stück rauer, ihr (ich nenne es mal) „Easy-Listening-Country Rock“ kommt mit ein bisschen mehr Schmackes aus den Boxen, was auch Gunther, der Heilbronn ein bisschen dröge fand, diesmal gut gefällt. Die Setlist ist ein Querschnitt durch die bisherigen vier Alben und v.a. meine Lieblings-Platte „Careless“ kommt mit „Love is where you left it“, „Rock springs to Cheyenne“ und „Carolina morning“ nicht zu kurz. Schöner Gig, den ich allerdings kurz vor Ende verlassen muss, da der Black Metal ruft. Schon stressig, das SXSW…
Nach diversen Cocktails ist Schluss, Florian zieht noch weiter zu AGALLOCH ins Barbarella Patio. Die Black Metaller aus Oregon stehen schon lange mal auf meiner „Must See“-Liste. Toller Sound, sehr ausladende Songs, die problemlos mal in zweistellige Minutenbereiche gehen. Aufgrund ihrer Progressivität und Einflüsse aus Folk und auch Artrock spricht die Band mittlerweile auch ein Publikum außerhalb des (Black) Metal-Bereiches an. Mit tumber Satansverehrung hatten sie sowieso nie etwas am Hut. Das Barbarella Patio (=Hinterhof) ist rappelvoll und als erstes wird der Merch-Stand inspiziert. Das nette Mädel dort stellt sich als Freundin von Sänger John Haughm heraus, weswegen ich die Gelegenheit ergreife und ein heikleres Thema anspreche: auf der neuen CD sind vier Rentiere abgebildet, und zwar in einer Formation, die man als stilisiertes Hakenkreuz interpretieren kann. Johns Freundin hat die Internetdiskussion in Deutschland natürlich mitbekommen und versichert, „this was never meant this way“; Band habe mit solchem Mist nichts zu tun. Dummer Zufall wahrscheinlich. Mir reicht die Bestätigung aus dem nahen Bandumfeld, um das für mich abzuhaken, hätte ich der Band auch nicht zugetraut aufgrund ihrer publizierten Einstellung. Leider muss man halt im Black Metal immer wieder alles hinterfragen. Ich kaufe am Merchstand neben der Demo-Kollektion auf CD noch ein auf 500 Stück limitiertes Doppel-Vinyl sowie die US-Box-Version des neuen Albums „Marrow of the spirit“ erstehe; das Sammlerherz lacht, der Geldbeutel weint. Agalloch sind dann super wie erwartet; wie vorher angekündigt ist der Gig aufgrund der kürzeren Spielzeit und der fehlenden Möglichkeiten, was Nebel etc. angeht „more harsh“, was aber nicht mit stumpfem Geprügel gleichzusetzen ist. Blastbeats und Gekreische wechseln sich mit melodischer Epik ab und erzeugen eine einzigartige Atmosphäre. Passend hierzu gibt sich sie Band distanziert, Ansagen gibt’s keine, einfach 4 Songs in knapp 40 Minuten und das war‘s. Alles andere hätte auch irgendwie nicht gepasst. Sensationell.
Eigentlich wollte ich danach noch ein bisschen weiter, aber mit den Massen an neuen Tonträgern begebe ich mich doch direkt in Hotel und beende für mich den zweiten SXSW-Tag.
Freitag, 18. März
Da Schulzie die „altersweisen“ Ratschläge nicht erhört hat, müssen wir nochmals nach San Marcos, seine zu engen Cowboyboots umtauschen. Auf dem Rückweg geht’s zu Cheapo wg. Roky Erickson & Co.
Unser heutiges Nachmittags-Programm ist das „Texas Rockfest“, welches nur zwei Blocks von unserem Hotel entfernt stattfindet; in einem eingezäunten Gelände sind zwei Open Air-Bühnen aufgebaut, auf denen abwechselnd Newcomer-Bands aufspielen. Um 15.30 Uhr soll dort Justin Black spielen, es gibt auch eine Running Order, die das sagt, aber anscheinend ist man in Texas spontan und so spielt kaum eine Band an der vorgesehenen Stelle, teilweise verschiebt man sich locker von einem auf den anderen Tag. Kurz nach drei sind wir da, auf der Hauptbühne spielt laut Running Order ein junger Kerl namens DYLAN JAKOBSEN, was sogar stimmt, wie die danach ins Publikum geworfenen CDs zeigen. Leicht alternativer Gitarren-Rock/-Pop, tut keinem weh und rutscht bei dem heißen Wetter gut in die Gehörgänge. Sein Keyboarder (der sicherlich auch nach deutschem Recht noch nicht volljährig ist) ist ein Oberposer und macht zu der Easy Listening-Musik den Hampelmann.
Als nächstes soll laut Running Order Justin Black bereits spielen, aber anscheinend ist die Band durch die Bank 10 Jahre jünger geworden, hat lange Haare, einen Mann mehr und Flying V- bzw. Warwick-Klampfen. Gunther schaut angsterfüllt auf die Bühne („Da geht's gleich ab!“) und die fünf Jungspunde namens IN ALL HONESTY (wie aufgrund der in die Menge geworfenen Armbänder zu identifizieren...) spielen typisch jugendlichen Metal-Sound; zu ihren Lieblingsscheiben gehören definitiv die erste Bullet for my Valentine sowie „The end of heartache“ von Killswitch Engage. Natürlich spielen sie nicht auf diesem Level, aber hören lassen kann sich das allemal und großen Spaß haben sie auch an der Sache. War ok!
Justin Blacks Gig ist nun von 3.30 p.m. auf 5.30 p.m. verschoben, weswegen wir beschließen, einfach hier zu bleiben, ein paar Shiner zu trinken und im Schatten der Imbisswagen Bands zu gucken. Der Besitzer des Imbisswagens hat da aber was dagegen, und nachdem seine ersten Versuche, uns herumlungerndes Gesindel, das seine Kunden abschreckt, fernzuhalten, fehlgeschlagen sind, stellte er eine Leiter auf, um uns den schattigen Platz zu nehmen. Dabei waren wir nicht die einzigen, die Schatten suchten, auch ein komplett in schwarz gekleideter Mann steht da rum... der sich als der Basser von Willie Nile herausstellt. Und als wir dann ein bisschen weiter nach unten blicken, entdeckten wir auch Willie neben ihm. Für ein gemeinsames Foto richtet Willie noch die Haare und posiert schön. Ein echt saucooler Typ!
Wie die zwei Bands nach In All Honesty heißen, weiß niemand, da sie sich weder vorstellten, noch irgendwelches Merch in die „Menge“ werfen; laut der Running Order um vier eine Band namens The Cringe und danach ein „Special Guest“. War zweimal Rocksound, der weder positiv noch negativ auffiel und der Special Guest ist auch niemand bekanntes.
Die nächste Band pflegt dann wieder die Tradition, CDs zu verteilen, obwohl die CDs eigentlich keiner will... HIDE THE SCARZ heißen sie und sind die unglaublichste Ansammlung von Talentlosigkeit, die ich seit langem gesehen habe. Himmel, da kann echt keiner was. Der Gitarrist hat lediglich drei, vier ausrangierte Korn-Riffs auf der Pfanne, die Munky Shaffer aber schon nach zweimal spielen in die Tonne getreten hätte, Basser und Drummer spielen konsequent aneinander vorbei (Groove? Nicht mit uns!) und die dicke Sängerin, die aggressiv shouten will, krächzt nur unbeholfen ins Mikro, als ob sie an Kehlkopfentzündung leiden würde. Das ganze soll wohl in die Nu Metal-Ecke gehen, aber da fehlt echt alles dazu. Die CD habe ich dann auch bis heute noch nicht gewagt, in den Player zu legen...
JUSTIN BLACK ist danach eine unfassbare Wohltat für die Ohren. Heute hat er seine Band um den Keyboarder/Organisten aufgestockt und spielt im Grund den gleichen Set wie im Pure, halt ein bisschen anderes arrangiert. Musikalisch wieder top, tolle Songs, alles im tiefgrünen Bereich. Ich hoffe, er macht in dieser basischen Richtung weiter und kickt die Bläser-Arrangements seiner Debüt-CD in die Tonne!
Von Justin Black ziehen wir hungrig Richtung unserer bekannten Essenstempel. Heute soll es mal wieder ins Opal gehen. Ich (Schulzie) und Florian haben aber eher Appetit auf Wassergetier. Da das Schmidt & MacCormicks (Feinschmecker Laden without Rock ‘n‘ Roll ) an diesem Abend nicht passend wäre, ziehen wir weiter Richtung Waterloo. Zwischen diesem und Cheapo habe ich einen Laden ausgemacht, der damit
wirbt „Crawfish Season Now“.
Wir beschließen mal rein zu gehen. Florian und ich entscheiden uns für drei Pfund Flusskrebse mit zwei Kartoffeln und Gunther wählt den Lachs. Als dann endlich die Krebse kamen, trat schnell Ernüchterung über die Größe der Kartoffeln ein. Normalerweise kann man mit eben diesen eine komplette Familie ernähren, während unsere Exemplare kaum die Größe einer großen Kirsche erreichen. Wir machen uns ans Knacken der Schalentiere um festzustellen, dass wir alle drei noch nicht satt sind. Wir bestellen nochmals zehn Kartoffeln und drei Pfund Krebse nach. Auch diese sind binnen kürzester Zeit weg. Nach einem guten Essen geht es natürlich direkt weiter in die 6th Street.
Nach dem gewohnten Zwischenstopp im Blue Moon wechseln wir in Stephen‘s F Bar, im Interconti (was für eine Location). Die Bar liegt im zweiten Stock des Luxushotels, besticht durch ein dem entsprechendes Interieur. Gediegene Sessel, dezente Bestuhlung und seriöse Kundschaft, die es „geschafft“ hat. Da gönnt man sich doch gerne mal einen Volksmusikabend unter Gleichen. Wichtig nur, dass man unter sich bleibt. Uns stört das nicht weiter, Schulzie‘s Wahrnehmung ist ohnehin leicht getrübt, für uns zählt die Musik, wegen der sind wir hier.
Auf der Bühne steht der mir völlig unbekannte Caleb Coy mit der akustischen Klampfe.
Es fällt uns schwer, für Caleb eine Schublade aufzuziehen. Florian meint, das sei Country. Ich finde das so wenig Country, trotz des Habitus eines Lonesome Texas Cowboy, wie Johnny Cash‘s American Recordings. Mit Red Dirt der Oklahoma-Schule wäre ich noch einverstanden. Das Pathos der klassischen Countryschiene fehlt völlig, sehr wohltuend!
Caleb Coy ist ein guter Sänger und ein noch besserer Gitarrist. Da hake ich zuhause nochmals nach – gelungenes Set.
Schulzie macht nach Caleb Coy die Flatter, ihm fallen die Näpfe zu, dass kann nach so vielen Stunden und Tagen Livemusik und....schon einmal passieren. Wir bleiben, steht doch Dan Bern auf der Bar-Bühne! Die „New American Language“ habe ich im Schrank, beinhaltet den Semihit „Black Tornado“, den er auch spielt. Mitgebracht hat er einen Banjoman der auch noch Stopftrompete bläst. Dies ist die klassische Dylanschule. Mehr Singer-/Songwriter-Ding als klassische Roots-/Americanaschiene. Kritische Texte, der ist erst mal gegen alles und jeden, auch gegen Obama um dann den USA den Spiegel vorzuhalten. Dass Bush keine Credits bekommt, versteht sich. Musikalisch spielen die perfekt zusammen. Edgar, dem wir später von der Show berichten, meint, „das ist doch der Langweiler“. Eben nicht! Eine willkommene Abwechslung in einem gänzlich anderen Ambiente. Starke Show, mit Dan Berns Schaffen werde ich mich genauer auseinandersetzen. Gutes Ergebnis.
Um eine Mischkalkulation zu erreichen, geht’s Richtung Opel Dive, da ist der Bloody Mary günstiger. Da das Momo‘s direkt gegenüber liegt und die extrem lange Schlange verschwunden ist, (die war begründet durch die North Mississippi All Stars) ändern wir unsere Pläne und rocken das Momo‘s. Schon auf der Treppe vernehme ich Steve Wynn‘s unverkennbare Gitarre.
Auf der Bühne stehen Baseball Project in der Besetzung vom Threadgills. Die Clubatmosphäre befeuert den Gitarrensound deutlich, es kommt alles ein bisschen dröhnender, noch kraftvoller aus den Boxen. Die zahlenmäßig stark vertretene deutsche Fraktion (auch alle anderen Anwesenden) ist komplett aus dem Häuschen. Eigentlich wären wir schon im Bett, welch ein Glück!
Und es kommt noch besser, Steve Wynn ist ja Vorstand der Miracle III, nach Ende des Sets der Baseball Project rockt er den Laden mit Miracle III einfach weiter. Two more Margarita, please! Der Sound der Miracle III ist die konsequente Weiterentwicklung der Garagenlegende Dream Syndicate. Dave de Castro am Bass, Jason Victor an der Gitarre, Steve Wynn Gitarre und Linda Pitmon am Schlagwerk sind in blendender Spiellaune. Die perfekte Mixtur aus Garage, Indie, Psych, Material von Tick Tick Tick und der neuen Northern Aggression. Aggressiv, jawoll!
Ohne Punkt und ohne Komma! Finale im Rockhimmel!!
Wir müssen am Sonntag zeitig auf die Interstate Richtung Clarkesdale, Arkansas. Konkret, wir können leider an der Schlussbesprechung bei Roots-Edgar und Chill-Thomas nicht teilnehmen.
Da die Shiner-Reserven in meinem Kühlschrank nach Verwertung schreien, gehen wir noch auf mein Zimmer und regeln fachkundig diese Angelegenheit. Als wir zu Bett gehen, ja ja so was gibt es hier auch, ist es 4:00 Uhr morgens. Solche Tage gibt es nicht oft im Leben eines Rockfans!
Samstag, 19. März
Um 8:00 Uhr ist die zu kurze Nacht vorbei. Duisburg-Thomas und Schulzie tauschen ihre Fotos aus. Die Arbeit an unserem Bericht ist heute recht zäh, woran das wohl liegen mag? Später gehen wir zu Edgars und Thomas‘ Blue Rose Live Bericht vom SXSW, gesendet über Rockradio.de.
Anwesend u. a. Julian Dawson und Andy van Dyke (Rainravens). Edgar und Thomas spielen sich die Bälle zu, machen sie richtig gut. Das dreiblättrige Kleeblatt (Schulzie, Florian und ich) bekommen Sendezeit. Wir stellen uns vor, erzählen von unseren Eindrücken, sogar ein Song unseres Favoriten Justin Black wird gespielt. Ich verhaspel mich ein paar Mal, egal, authentisch ist das Wort dafür. Die anderen machen ihre Sache besser. Tolle Erfahrung, dabei gewesen zu sein.
Zum Frühstück geht’s gegenüber zu Lucy‘s. Die Bedienung fragt uns (es ist 11:00 Uhr morgens) allen Ernstes, ob wir als Starter drei Bloody Mary‘s wünschen. Das Entwaffnende ist die Selbstverständlichkeit der Frage....
Aktuell packen wir übervolle Koffer, ich klimper auf der Tastatur rum, in einer Stunde geht’s zu Hayes Carll und evtl. nochmals zu JMASCIS zu Waterloo.
Die Sonne brennt vom Himmel, schon auf dem Weg zum Waterloo werden wir von Julian Dawson, den wir unterwegs treffen, vor der texanischen Sonne gewarnt. Der Parkplatz ist nicht so voll wie erwartet. Hayes steht schon zum Soundcheck auf der Bühne.
Da Gunther Carll im Threadgill's geschrieben hat, übernehme ich Waterloo. Hayes Carll ist für mich als Americana-/Alt. Country-Neuling die Entdeckung des SXSW 2011. Nicht nur ein toller Musiker, sondern auch ein cooler Typ mit, wenn man die Texte liest, interessante Ansichten. Die Show auf dem Waterloo-Parkplatz ist dann auch Promotion für die neue CD und demnach kommt viel Stoff der neuen... „The letter“ als Opener, dazu „Hard out here“, „KMAG YOYO“ und noch zwei, drei andere. Sein Country Sound ist mit Rockabilly und Rock'n Roll-Elementen gewürzt und gerade diese Mischung aus richtig geil losrockenden Tracks und ruhigen emotionalen Nummer finde ich echt klasse. Singen kann er zwar immer noch nicht wirklich, aber das passt zu den Tracks 100%. Bei der Autogrammstunde im Waterloo nimmt sich Hayes auch noch Zeit für seine Fans und quatscht mit jedem, was die Wartezeit zwar verlängert, aber natürlich sympathisch ist.
Kurz eine Anmerkung von mir (Gunther) zu Hayes Carll: Jemand, der solche Worte aneinanderreiht, wie beispielsweise
…You Was Openly Frustrated
You Said, Dylan‘s Overrated
While Singing „Tangled Up In Blue“…
Ist definitiv ein ganz Großer!
Für unser heutiges „Dinner“ kehren wir in Lucy‘s Retired Surfer Bar zurück, diesmal gibt es statt Bloody Marys Shiner und Lone Star; nachdem wir dann die signierten CDs und LPs im Hotel verstaut haben, geht es wieder ins nahe Antone's.
Heute ist es im Antone‘s nicht ganz so voll, auch mal wohltuend, besonders der Gang zur Toilette wird erheblich leichter. Wir wollen die Sons of Bill sehen, die haben zwei Scheiben veröffentlicht, wobei die zweite „One Town Away“ auf Blue Rose erschienen ist. Die Söhne von Bill Wilson bestehen aus den drei Brüdern James (voc, rg), Abe (p), Sam (lg, voc) sowie Seth Green (b) und Todd Wellons (dr). Der Sound pendelt zwischen Gitarrenpop (der besseren Art) und Gitarrenrock. Mit Countryrock oder gar Rootsmusik hat das nur am Rande zu tun. Man merkt ihnen die Freude, beim SXSW dabeizusein sichtlich an, ebenso die Unsicherheit auf einer größeren Bühne zu stehen. An der Show könnte noch ein wenig gefeilt werden, sonst machen sie ihre Sache recht gut. Auffällig der Gitarrist Sam Wilson und der Drummer, der hat das Zeug zu einem großen. Überhaupt wirken die so jugendlich und frisch, dass sie zwar als Musiker den Club betreten dürfen, als Gäste hätten sie vermutlich ein Problem. Guter Auftritt mit Potenzial!
Ein wenig verwunderlich ist die Erwartungshaltung des Publikums, sind doch Seth James & Cody Canada als Duo angekündigt. Das da kein Bandauftritt und schon gar kein Cross Canadian Ragweed Auftritt herauskommen kann, liegt auf der Hand, dass das keine Rockshow wird, sondern eher in akustischer Abend. So kommt es dann auch - während jeweils einer der beiden Songs aus seinem eigenen Schaffen interpretiert, wird er vom Anderen begleitet. Immer im Wechselspiel. Leider ist kein Duett dabei, das hätte man sich gewünscht. Da Cody Canada eher der Rockshouter ist und das Seth-James-Material „radiokompatibler“ ist, kommen die Nummern von Canada insgesamt beim Publikum besser an. An der Stelle soll aber erwähnt werden, dass Seth James ein ebenso begnadeter Gitarrist ist. Zu Carolyn Wonderland bleiben wir nicht, mache ich (wir) im nächsten Jahr. Uns zieht‘s auf die 6th.
Bei der täglichen Blue Moon Blues Show muss ich erstmals Konditionsprobleme eingestehen.
Das Bier schmeckt nicht, trotz Shiner Bock, die Band ist unterirdisch, merke mir nicht einmal den Namen. Der Drummer, der leider auch singt, hat so gar kein Bluesfeeling, lauer Beat, beliebige Stimme, nicht weiter erwähnenswert. Die Bassistin reiht sich nahtlos ein. Das Coolste an dem Abend ist das Shirt des „Gitarristen“ I‘m From Texas And Ya Can All Fuck Off. Er auch, so wie er spielt. Schulzie zieht ab ins Hotel unseren Rückzug vorbereiten, Florian Richtung Antone‘s zu Hanson.
Mein Abschluss des SXSW sind Hanson. Ja, genau, DIE Hanson. Die ex-Teenie-Band, die vor 15 Jahren mit „Mmmbop“ einen weltweiten Riesenhit hatte und eigentlich von allen über 15 gehasst wurden. Ich wusste bis wenige Wochen vor dem SXSW gar nicht, dass es die noch gibt, aber sie haben fünf Alben, mittlerweile alle Familien und zusammen schon acht Kinder. Da kann man ja mal schauen, ob die auch musikalisch gereift sind und wenn nicht… dann kann ich wenigstens sagen, ich habe Hanson gesehen… wäre auch ein Gag. Also zum Abschluss nochmal kurz in Antone’s, wo eine riesige Schlange auf Einlass wartet. Allerdings haben die vielen kleinen Mädchen kein Wristband und ich kann locker reinlaufen, ohne Wartezeit. Drinnen ist es erstaunlicherweise rappelvoll, die Band scheint noch ziemlich angesagt zu sein. Auf jeden Fall ist es das vollste Antone’s dieser Tage. Die Band kommt mit 15 Minuten Verspätung auf die Bühne (ein Klavier muss noch aufgebaut werden) und wird frenetisch bejubelt, die Songs werden mitgesungen, die Jugend hüpft im Takt… ich merke schon, dass das eher eine Teenie-Veranstaltung ist und das Publikum NICHT mit der Band gealtert ist; der durchschnittliche Hanson-Fan ist immer noch so alt wie vor 15 Jahren bei „Mmmbop“. Die neue Single „Give a little“ ist Song Nr. 2, wird noch frenetischer abgefeiert als der Opener, und lässt mich auch schon zum Fazit kommen: das ist relativ glatte Popmusik für junge Leute ohne viel Tiefgang, aber, und das möchte ich Hanson gerne anerkennen: sie ist handgemacht. Die drei Hanson-Brüder sind keine absoluten Virtuosen, wissen aber, etwas mit ihren Instrumenten anzustellen (unterstützt werden sie von einem zweiten Gitarristen und einem Basser), kommen dazu sehr sympatisch rüber und vermitteln gute Laune. Und das ist denke ich auch alles, worum es hier geht, hier will niemand Gitarreneskapaden lauschen, dafür gab es in den vergangenen Tagen andere Shows. Hier geht es um Spaß und dann deutlich lieber so als eine Charts-Playback-Band mit Musik aus der Konserve. Ich werde zwar kein Fan werden, bin aber positiv überrascht. „Mmmbop“ höre ich dann aber nicht mehr, da ich früher den Heimweg ins Hotel antrete.
Ich kann mich trotz intensiver Überzeugungsarbeit Florians nicht für Hanson erwärmen und entscheide mich für‘s Momo‘s. Inzwischen fühlen wir uns wie „Teilzeit-Texaner“, so ist es auch kein Problem, eine Show mal alleine zu besuchen. Im Momo‘s gibt es kein Shiner mehr, auch logistisch haben die vier Tage wohl ihren Tribut verlangt. Egal, dann tut es eben ein Lonestar, ist ohnehin besser, weil deutlicher weniger Hubraum. Ich treffe Dieter aus Stuttgart, der mit den 9.000 Platten. Leider muss er schon morgen Früh 8:00 Uhr im Flieger sitzen und kann nur noch zwei Songs von Terri Clark miterleben. Terri ist die klassische Countryschule, angenehme Stimme, klar wie ein Gebirgsbach und souveränes Gitarrenspiel. Zur Gitarre läuft ein, so vermute ich, Drumcomputer. Der stört aber keinesfalls, sondern verschafft ihrem Auftritt den nötigen Drive. Die Show ist im Storytelling-Stil aufgebaut und mich wundert, das die nach zehn Jahren im Geschäft noch keiner so richtig kennt – in Wahrheit: Dass ICH SIE nicht kenne, die hat Platinstatus, wie ich mich gern „belehren“ lasse. Das ist mir fast peinlich.
Sie nimmt sich eine Zugabe, was für ein offizielles Showcase schon gewagt ist. Absolut empfehlenswert.
Im Threadgills hat es ja aus Platz- und Zeitgründen nicht gereicht, um so mehr freue ich mich, das ich heute auch noch die Trishas erleben werde. Die hatte ich schon aus meinem Tourfile gestrichen.
Die Country-Lady-Group, besteht aus vier Frauen, die obendrein auch noch sehr hübsch anzusehen sind. Die spielen alles was, mindestens vier Saiten hat, singen alle vier sensationell, jede Stimme hat ihre Aura, hinzukommt noch der gelegentliche Einsatz einer Harp, der dem ursprünglichen Countrysound sehr gut tut. Eine der Musikerinnen ist übrigens die Tochter von Kevin Welch, der in diesem Bericht ja schon Eingang gefunden hat. Zur Besetzung aber nicht zur Band, gehören eine Violinistin, die auch gleichzeitig Namensgeberin war sowie der Schlagzeuger. Wie fast immer, wenn gekonnt mehrstimmig gesungen wird, erreicht das ein ganz andere (Sound-)Qualität.
So wünsche ich mir Country im klassischen Sinne. Bin jetzt schon gespannt, ob die CD auch so kraftvoll produziert wird. Da bin ich gerne der Meinung Edgar‘s: Das wird was!
Von Rootsrocker Bleu Edmondson, auf den ich mich schon die ganze Woche gefreut habe, erlebe ich nicht mehr viel. Der ist zwar gut drauf aber definitiv zu laut und ich zu fertig. Schade, der beherrscht alle Spielarten von Rock ‘n‘ Roll über Rhytm and Blues zum Countryrock zurück zum Amerciana. Auch die aktuelle CD „The Future Ain‘t What I Used To Be“ ist wieder ein Volltreffer der Rootsmusic. Keine Ahnung, warum er den Sound so überfrachtet?
So geht, anders als 2010, eine ereignisreiche Woche mit einer „Viertelshow“ zu Ende. Ich verabschiede mich mit ein wenig Wehmut von Thomas „Chill“, Egdar „Blue Rose“, und Robert (seine Frau Iris finde ich nicht mehr in dem Gewühl). Wir verabreden uns für 2012 – sicher!
An dieser Stelle gerne der Hinweis, dass der fachlich komptetente Part auf der Blue-Rose-Seite unter „SXSW“ von Thomas „Chill“ und „Irgendwann-Edgar“ nachzulesen ist.