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The Black Crowes

18. Juli 2011, Paradiso, Amsterdam

Krähen über Amsterdam

Erzähle mir von deinen Jam-Bands, und ich sage dir, wer du (musikalisch) bist! Eine solche Liste ohne die Black Crowes unter den Top-Fünf ist keine!

Vor inzwischen 19 (!) Jahren habe ich die Krähen schon einmal in Stuttgart (in einer wilden Woche fast ohne Schlaf, samstags die Crowes, am darauffolgenden Mittwoch Mick Taylor bei Heidelberg um dann sonntags in Köln mit Keith Richards einen fulminanten Schlusspunkt zu setzen) erleben dürfen.

Manche Dinge ändern sich nie, schon seinerzeit waren Tommy und ich auf allen drei Shows gemeinsam auf Rock ‘n‘ Roll-Trip – lange vor Blues-Beer-Burgers! In Erinnerung ist, neben einer realen Rangelei mit dem Merch-Ami, ein ziemlich verquerer Sound, vielschichtig aber völlig überfrachtet, mehr Led Zeppelin, weniger Humble Pie oder Faces. Dennoch, die Crowes sind neben den Allman‘s und in jüngeren Tagen wohl Gov‘t Mule die beste Live-Jam- Band. Drei Jahre später, in Basel, spielen die Schwarzen Krähen als Anheizer für die Stones ohne sich gegenseitig nur eines einzigen Wortes zu würdigen. Keine Ahnung warum?!

Über den Teich kommen sie nicht mehr so oft, für die 2011er „Say Goodbye To The Bad Guys“ Tour wird konsequent vor der deutschen Grenze abgebogen. Egal, fahren wir halt nach Amsterdam in den Paradiso-Konzert-Tempel, geile Location, brillanter Sound und meist auch ein fachkundiges Publikum, siehe John-Hiatt-Bericht. Eine „Drei-Monatsmitgliedschaft“ wird uns online (Florian regelt das) wie vor Jahresfrist abgerippt. Doofe Deutsche, eventuell…

In der Kiffermetropole regnet‘s – wir sind schon einen Tag vorher angereist und testen die Plattenläden, Pubs und partiell manch andere Dinge. Schulzie ist wie immer für Kalorien zuständig und erledigt die Auswahl der „Nahrungszufuhrorte“ mit gewohnter Souveränität. Scheiß auf Gitarren, zumindest so lange ich (Schulzie) nichts zu futtern hatte. Auch interessant: In ganz Holland gilt inzwischen ein restriktives Nichtrauchergesetz, in den Coffeeshops, die offiziell nicht mehr an Ausländer verkaufen dürfen, kann jetzt nur noch pur gekifft werden. Nachteil oder Vorteil?

Wir sind rechtzeitig vor‘m Paradiso und sortieren uns in die lange Schlange ein. Unsere „Drei-Monats-Mitgliedschaft“ hat uns gerettet, wir können schneller rein, doch nix mit doofen Deutschen.
Die Songkollektion vor der Show ist wie eine Best-Of-Radio-Show der späten 60er und frühen 70er, als die Country-Soul-Ballade „Sweet Virginia“ von einem der besten Alben der Rockgeschichte überhaupt aus den Paradisoboxen schmettert, fragt mich eine Holländerin von welcher Band diese bemerkenswerte Aufnahme stammt. Zu viel Dope ist eben auch nicht gut.

Pünktlich 20:00 Uhr übernehmen Krähen das Kommando. Die Frage, was zum Teufel Saitenmeister Luther Dickinson (der die instrumentale Klasse von Marc Ford locker erreicht) bei den Crowes will und warum er so lange bleibt, ist schnell beantwortet: Alle, definitiv alle musikalischen Fäden laufen bei ihm zusammen. Da wird Shouter Chris Robinson bei den gar nicht so seltenen Fehlern auf der Rhythmusgitarre strafend angeschaut um sich sofort, den Missgriff ausbügelnd, wieder seiner eigenen (überzeugenden) Arbeit zuzuwenden. Dennoch: Chris Robinson ist ein sauguter Frontmann, der es perfekt versteht alle Showregister zu ziehen ohne dabei gekünstelt zu wirken. Ob der Acousticteil, wahrhaftig ein sehr ruhiger, ja fast getragener Auftakt (Good Friday, Appaloosa) nun ein reiner Acoustic Set war, bleibt dem Betrachter überlassen, schon nach vier Songs haben wir fünfunddreißig Minuten Musik der Extraklasse hinter uns. (Atlanta kann mehr als Coca-Cola und Hot Dogs…) Insbesondere „Wiser Time“ wird zu einer infernalischen semiakustischen Jamorgie. Schlagzeug-As Steve Gorman, mit einer vierjährigen Unterbrechung von Anfang an dabei, bewegt zu jedem Beat rhythmisch seine Lippen und presst die Töne raus, überhaupt präsentiert sich die ganze Band trotz mitunter weit aufgerissener Augen (Keyboarder Adam MacDougall) in blendender Spiellaune. Von den häufigen Differenzen unter den Robinson-Brüdern ist jedenfalls (fast) nichts zu spüren. Die Band, die vor zwei Dekaden mal von sich behauptet hat, die Stones-Vergleiche satt zu haben, da sie ja musikalisch viel näher an Humble Pie und den Faces sind, überraschen mit „No Expectations“, dazu muss nichts geschrieben werden. Klar, das haben auch schon andere gespielt, der leider verstorbene Calvin Russell etwa, doch was der Georgia-Sechser an diesem Abend daraus macht ist unglaublich, ohne die Elemente der ursprünglichen Folk-Blues-Ballade zu verleugnen. Robinsons Stimme passt auf den Stones-Klassiker ebenso gut wie das Original. Den Rest des Songs „erledigt“ Luther Dickinson mit der Empathie, die der Nummer gebührt. Nach „My Morning Song“ ist für‘s erste Schluss, es soll aber noch „dicker“ kommen. Aufatmen, durchatmen!

Zwanzig Minuten später: Die Band schlurft mit extrem geweiteten Pupillen und einem seligen Lächeln zurück auf die Bühne. Am Amsterdamer Wetter wird‘s wohl nicht gelegen haben…
Der elektrische Part beginnt mit „Good Morning Captain“ und dem zu meinen Lieblingskrähen zählenden „High Head Blues“, das ist aber nur die Ouvertüre, unvorhersehbarer geht‘s wohl nicht mehr: „I Just Want To See His Face“, ich kann mich nicht entsinnen, das sich je eine Band an diesen zweifellos nicht einfachen Song herangewagt hätte. Eine Rückversicherung bei Rootsmagier Chill (hat seine Datenbank gecheckt) bestätigt die Annahme. Von nun geben sich die „elektrischen Klassiker“, „Thorn In My Pride“, „Poor Elijah“, „Hard To Handle“, „Seeing Things“ und „Soul Singing“ vor einem restlos begeistert tobendem Publikum die Klinke in die Hand. Nein, so kann ein Konzert gar nicht enden. Niemals gehen wir ohne „Jealous Again“ obwohl, „She Talks To Angels“ wäre auch nicht schlecht, zumindest „Jealous…“ eröffnet den Zugabenset um dann, ja dann mit einer weiteren niemals erwarteten Stonesnummer „Torn And Frayed“ (passt trefflich zum Abend) dass Publikum in Ekstase zu versetzen. Tommy und ich schauen uns mit offenem Mund an! Hat das schon mal jemand live „versucht“? Fehlanzeige! Es kann zum Finale wohl nur einen schlüssigen Bühnenabgang geben, genau: „Willin‘“.

Ein wahres Glück, dass wir „nur“ Karten für die Montagsshow ergattert haben, ein Blick auf die Setlist lässt keinen Zweifel aufkommen. Später, zur Nachbesprechung in einem Pub läuft in der Glotze Frauen-Fußball-WM, ein Fan fällt mit einem Schild (gemünzt auf die amerikanische Torfrau Hope Solo) auf: Hope, I‘m solo! Nein, unsere Hoffnung „Hope ein Solo“ wurde an diesem denkwürdigen Abend mehrfach übertroffen. Live, Live, Black Crowes!

P.S.: Wer an einer superben Box, die beide Konzerte beinhaltet, interessiert ist, kann sich ja mal melden…

Die Band:
Chris Robinson: voc, harp, guitar
Rich Robinson: guitar, voc
Luther Dickinson: guitar
Steve Gorman: drums
Adam MacDougall: keyboards
Sven Pipien: bass

Setlist
Acoustic Set:
• Good Friday
• Appaloosa
• Sister Luck
Wiser Time
No Expectations
Wow Much For Your Wings
Bring On, Bring On
Darling Of The Underground Press
Nonfiction
My Morning Song

Electric Set:
• Good Morning Captain
High Head Blues
I Just Wanna See His Face
Girl From A Pawnshop
• Thorn In My Pride
• Poor Elijah/Tribute To Robert Johnson
• Hard To Handle
• Seeing Things
• Soul Singing
Encore:
• Jealous Again
Torn And Frayed
Willin‘

und für die Komplettisten auch noch die Setlist vom 17. Juli

Acoustic Set:
• Remedy
• Hotel Illness
• Whoa Mule
Tornado
Thorn In My Pride
Polly
What Is Home
Downtown Money Waster
She Talks To Angels
Soul Singing

Electric Set:
• My Morning Song
Ballad In Urgency
Wiser Time
Shine Along
• Feathers
• By Your Side
• Sometimes Salvation
Encore:
• Jealous Again
Wounded Bird
Oh! Sweet Nuthin‘

Wir scheuen keine Mühen … die Platten:

Shake Your Money Maker (1990)
The Southern Harmony And Musical Companion (1992)
Amorica (1994)
Three Snakes & One Charm (1996)
Sho ‘Nuff (1998, Box-Set)
By Your Side (1999)
Greatest Hits (2000)
Live At Greek (2000, with Jimmy Page)
Lions (2001)
Live (2002)
The Lost Crowes (2006)
Freak 'n' Roll… Into The Fog (2006)
Warpaint (2008)
Warpaint Live (2009)
Before The Frost, Until The Freeze (2009)
Croweology (2010)

Gunther Böhm