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Bob Dylan

23. Oktober 2015, London, Royal Albert Hall

Sinatra Blues

Austin, Frühjahr 2015, sonntags im Waterloo zwischen Tex-Mex und Day-Beer. Edgar räsoniert: „willst’ den Scheiß wirklich kaufen?“ Ich bin mir nicht sicher: ist das Album lau oder soll ich die Scheibe hier nicht abschleppen? Wo sonst? Etwa beim Mailorder? Die Rede ist von „Shadows in the Night“, Dylan’s neues Album. Das elektrisiert. Wie immer. Die „Record-Shopping-Correctness” (RSC) mal kurz ausgeblendet, den zerknautschten 20er aus’m Futteral gefingert. Ab zum Day-Beer.

Zuhause erstmal das Bob-Vinyl ausgeblendet – bei 100 neuen Alben, Texas-Influenza und Blue-Rose-Suggestion kein Wunder. Und später folgt der grandiose Fehler, das Scheitern am eigenen Anspruch auf den Fuß. Im Auto höre ich mir das neue Dylan-Opus an. Im Auto!? Ausgerechnet! Die Wallflowers, ok., von mir aus auch Steve Earle, aber ein Bob-Dylan-Sinatra-Cover-Album im Firmenfahrzeug, nein, geht nun wirklich nicht. Fast unanständig das, ein wenig ignorant schon.

Ein Kunde, Ramon, Clapton-Kulinarier vor dem Herren, fleht mich förmlich an: „geben Sie der Scheibe eine Chance!“ Nein, ich denke nicht drüber nach, im Moment nicht. Zu ungewohnt der Gedanke die Antipoden zusammenzuführen, Konservatismus und Folk-Freakness, zu kompliziert instrumentiert, sensibel, fragil. Und: kein „Dylan-Geschnarre!“

Im Sommer steht die „BBB-Tour“, Florian hat das schwer vereinbare zusammengefügt was, das werden wir ein paar Tage später feststellen, zusammengehört, irgendwie.

Freitag, 23. Oktober 2015, Mr. Bob Dylan in der legendären, majestätischen, Royal Albert Hall. Dass der Metallurg den gemeinsamen Nenner sucht und findet, lässt mich viel Texas-Geknüppel verzeihen. Am Sonntag dann die nicht minder legendären Spike und Tyla, dazu später mehr an dieser Stelle, von wem auch immer.

Wir sind 6:00 p.m., pünktlich wie immer, vor Ort. Foto, Rundkurs ums Gelände (da Doors erst 6:45 p.m.) dann ab an die Bar. Der Londoner ist freundlich, beflissen, interessiert, gerne im feinsten Zwirn (so auch heute Abend), und er drängelt nicht. Nicht am Einlass, nicht an der Bar, nicht an den Stehplätzen. Nirgends. Und wir? Wir sind nicht im feinsten Zwirn, sorgen aber permanent für eine positive Aufmerksamkeit, mit der wir nicht gerechnet haben.


Britische Attribute über Teutonen kommen der Realität wesentlich näher als der umgekehrte Fall. Als ich trotz eindeutigen Verbotes versuche die Bühne oder gar den Protagonisten des Abends visuell zu dokumentieren, werde ich bestimmt aber höflich darauf hingewiesen, das doch zu unterlassen …
Stimmt, stand ja auch überall.


Wir stehen in der Empore, uneingeschränkte Sicht, eine traumhafte Akustik, ein formidables Publikum, Rotwein, Freitagabend, Bob Dylan. Mehr geht nun wirklich nicht. Doch! Ein noch formidablerer Bob Dylan, losgelöst von jeglicher Altersweisheit, der nicht durch die Setlist irrlichtert und das Kirmes-Keyboard geiselt. Kein Altersheim-Geschunkel. („Together Through Life“) Fundamental unterstützt von einer Band die ihresgleichen sucht.
Und heute Abend an diesem Ort leuchten die Sinatra-Songs in voller Strahlkraft, immer mit leichter Bluesnote, der Meister (ja der Meister) nimmt von Fall zu Fall am Grand-Piano Platz, das er freilich nicht spielt wie Rick Wakemann. Fragilität steht an diesem denkwürdigen Abend für Eleganz. Ohnehin ist die Songauswahl auf „Shadows …“ weit von jeglicher Air-Play-Tauglichkeit entfernt. Einer der letzten Crooner auf Erden grüßt den Crooner in Heaven …
Die Distanz zum Publikum bleibt stets gewahrt, nicht aus Unnahbarkeit oder Unhöflichkeit, vielmehr geht es darum, die Songs ins Zentrum zu stellen. Dafür bedarf es keiner Pose und auch keiner großartigen Worte. Die beiden unbeholfenen Sidesteps (links-rechts) sind mehr Geste als man erwarten durfte.

Schwache Konzerte spielt Bob Dylan, der live oft als Wundertüte galt, schon länger nicht mehr. Der frühere Indikator „Tangled up in Blue“ (für eine glänzende Show oder ein musikalisches Desaster) beendet das erste Set so souverän, wie die Charly-Patton-Hommage „High Water“ das zweite eröffnet. Die Pause wird gar mit ein paar wenigen Worten flankiert. Brauchen wird das niemand, jeder kennt Dylan und weiß, dass nur die Songs zählen. Die Gefahr, dass ein Juke-Box-Publikum aus der Halle gespielt wird (so wie vor ein paar Jahren in Mannheim und auf dieser Seite nachlesbar) besteht in London zu keiner Zeit. Einziges Manko an diesem Abend war die falsch gewählte Dramaturgie bei den zwei Zugaben. Die unschlagbare und unerhörte Country-Version von „Blowin’ in the Wind“ hätte definitiv am Ende des denkwürdigen Auftrittes stehen müssen, wobei das grandiose „Love Sick“ (vom ebenso grandiosen Comeback Album „Time out off mind“) nochmals richtig Fahrt aufnahm. Love sick! Wir auch! Stimmt’s, Florian?

Dylan’s Never Ending Band:

Charlie Sexton (g)
Stu Kimball (g)
Tony Garnier (b)
Donnie Herron (violin, g, pedal steel)
George Receli (dr)

Setlist Teil 1:
Things Have Changed
She Belongs to Me
Beyond Here Lies Nothin’
What'll I Do (Irving Berlin cover)
Duquesne Whistle
Melancholy Mood (Frank Sinatra cover)
Pay in Blood
I'm a Fool to Want You (Frank Sinatra cover)
Tangled Up in Blue
Setlist Teil 2:
High Water (For Charley Patton)
Why Try to Change Me Now (Cy Coleman cover)
Early Roman Kings
The Night We Called It a Day (Frank Sinatra cover)
Spirit on the Water
Scarlet Town
All or Nothing at All (Frank Sinatra cover)
Long and Wasted Years
Autumn Leaves (Yves Montand cover)
Encore:
Blowin' in the Wind
Love Sick


Gunther Böhm