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Neil Young & Crazy Horse

Support: Los Lobos

2. Juni 2013, Waldbühne, Berlin

My my, hey hey – Rock and roll is here to stay

Los Lobos klingt nach Bacardi, irgendwie nach gutem Wetter, Swing, Salsa und Samba, die kalifornischen Wölfe hätten zum Running Gag des Abends werden können, „La Bamba“ bei Temperaturen im einstelligen Bereich. Wir schreiben den 2.Juni! „No Rain, No Rain“ skandieren die Woodstock-Veteranen im Publikum, „Audience During Sunday Rainstorm: Let The Sunshine In“ ruft sich die rappelvolle Waldbühne kollektiv ins Gedächtnis. Der große Hemingway hat mal behauptet „den kältesteten Winter während eines Sommers in San Francisco erlebt zu haben“. Und wir das kälteste November-Open-Air im Juni. Anders als in Woodstock, hat der Rock ’n’ Rolll-Gott tatsächlich ein Einsehen. Ein paar Minuten vor dem Supportact aus L.A. schließt der Himmel seine Schleusen. Los Lobos liefern eine furiose Mixtur aus Swing, Latin, Blues und Rock ’n’ Roll. In Originalbesetzung aus dem Gründungsjahr 1973 (!) antretend, erweitert um Steve Berlin (sax, harp) und Enrique Gonzales (dr. perc) bläst das Sextett das miese Wetter aus der ehrwürdigen Waldbühne. Tex-Mex ist eine schwierige Sache (für den Autor), heute erfolgt eine Lehrstunde in formidabler Verschmelzung der Stile, die mir jetzt durchaus nachvollziehbar erscheint. Manchmal schimmern sogar die texanischen Rauschebärte durch den Sound, dabei niemals wie eine billige Kopie wirkend. Boogie-bollern meets Latin-Folk. Das hat was. David Hidalgo & Band haben den Anheizjob prächtig erledigt. Für den Bierstand war es viel zu kalt.

Los Lobos

Rückblende: Ein paar Tage zuvor streichen wir abends durch den gentrifizierten Berliner Stadtbezirk Friedrichshagen. Der von Schließung bedrohte Plattenladen in der Boxhagener wirbt für die Crazy-Horse-Show: Nur noch wenige Restkarten! Naja, das wird wohl einer der üblichen Marketingtricks sein, der nicht wirklich nervt, es geht schließlich um Neil Young, Gute Sache, das. Schon bei der Anreise Richtung Waldbühne verdichtet sich ein Konglomerat aus Shelli’s, spätestens ab Bahnhof Zoo strömt die grün-blaue Masse zum Musiktempel wie die Lemminge zur See. Gesichter, zerklüftet und zerfurcht wie das Lincoln-Monument, Unkaputtbare dominieren die paar Zahnärzte, Macker und Tussen ehrwürdig ergraut, das wirre Haar und den wirren Geist mit bunten Bändern gezähmt, kommen in Scharen zur Huldigung des letzten aufrechten Helden der Hippieära. 20.000 Freaks, 20.000 Latzhosen lila-türkis oder so ähnlich. Nur noch wenige Restkarten? Haha, der Lacher, ausverkauft! Das gibt Hoffnung, allerdings stellt sich auch die Frage: Für wen?

Man muss nicht alles gut finden, was Crazy Horse in viereinhalb Dekaden aufgenommen haben, da waren schlimme Sachen drunter, „Reactor“ zum Beispiel, was definitiv anrührt, ist die personelle Konstanz, das Vernachlässigen der (manchmal) musikalischen Limitierung zugunsten von Freundschaften. Die Band ist das System, die essen nach der Show Schnitzel zusammen und haben Crazy Horse als größten und kleinsten musikalischen Nenner. Und ich glaube, das ist genau das, was das Verrückte Pferd zum Mythos gemacht hat und ihre Fans suchen. Ein Fixpunkt im Soundmüll, der Polarstern der Aufrichtigkeit, trotz CD’s immer schön Vinyl auf den Markt gebracht, oft mit Bonustracks, authentisch, zerfurcht und zerbeult, Fans und Band gleichermaßen. Die sind so, wie wir gerne sein möchten. Jetzt wird mir klar, was ich hier eigentlich will, es sind nicht nur die Platten … Ich denke „Lebensgefühl“ fängt ein, was ich sagen möchte!

Crazy Horse 1

Wen interessiert da schon dass nicht übermäßig große Variantenreichtum von Schlagzeuger Ralf Molina? Beim Opener „Love And Only Love“ wendet sich Onkel Neil nicht vom Publikum ab, er wendet sich vielmehr seiner Band zu und mit Ausnahme des Soloteils wird er für zwei Stunden ein Pferd von Crazy Horse bleiben, dass den Karren nicht alleine ziehen muss. Brachiale Ausbrüche von Young und Gitarren-Alter-Ego Frank „Poncho“ Sampedro erklären das Feedback zum allgemein zugänglichen Kulturgut. Nach vier Songs sind 45 Minuten verstrichen. Sich ständig steigernde Rückkopplungsattacken sorgen im Publikum für eine Mixtur aus Trance und Orgie. Neil Young zerstückelt die Noten, geordneter Lärm, das Thema bleibt trotz 20minütiger Gitarrenwände erkennbar. Rau, Rauer, Young!

Crazy Horse 2

„Heart Of Gold“ sorgt für 20.000faches Hippiefunkeln in den Augen, ach, war das schön früher, „Blowin In The Wind“ wird nicht so demontiert wie auf dem 91er Liveopus „Weld“ ( das nur am Rande bemerkt die Blaupause für die Grungegeneration war) und mit „Singer Without A Song“ überrascht uns Neil (und sich?) solo am Piano. Jetzt ist auch geklärt was der undefinierbare und ein wenig verloren wirkende Holzkasten auf Bühne zu suchen hat. Aah, ein Piano! Vorbei mit Lagerfeuer, ab sofort schiebt ein Gitarrenbollwerk das nächste an, besonders minimalistisch-dröhnend in „Fuckin’ Up“ vom sensationellen Meilenstein „Ragged Glory“. Nun ist es endlich dunkel geworden, Into the Black, Freaks feiern. David Crosby, der mit Stephen Stills und Graham Nash gerade auf Deutschlandtour ist, hat auf die Frage (in einem lokalen Zeitungsinterview) nach der großen Anzahl der Veröffentlichungen ( Anm.: in der jüngeren Vergangenheit) sarkastisch bemerkt: Wie viele davon wohl gut waren? Die Frage geben wir gerne und souverän zurück, so sicher und souverän seit dem 2. Juni 2013 feststeht:

Hey hey, my my, Rock and roll can never die

Setlist:
Love And Only Love
Powderfinger
Psychedelic Pill
Born In Ontario
Walk Like A Giant
Hole In The Sky
Heart Of Gold
Blowin’ In The Wind (Bob Dylan Cover)
Singer Without A Song
Ramada Inn
Fuckin’ Up
Cinnamon Girl
Mr. Soul
Hey Hey, My My (Into The Black)
Encore:
Like a Hurricane
The Band:
Billy Talbot (b)
Ralf Molina (dr)
Frank „Poncho“ Sampedro (g, feedback)
Neil Young (g, voc, reichlich feedback)
Die Alben:
The Rockets:
The Rockets (1968)
Crazy Horse:
Crazy Horse (1971)
Loose (1971)
At Crooked Lake (1972)
Crazy Moon (1978, mit Neil Young)
Left for Dead (1989)
Gone Dead Train [Best of 1971–1989] (2005)
The Complete Reprise Recordings 1971-'73 (2005)
Neil Young and Crazy Horse:
Everybody Knows This Is Nowhere (1969)
After the Gold Rush (1970)
Tonight’s the Night (1975)
Zuma (1975)
American Stars’n’Bars (1977)
Rust Never Sleeps (1978)
Live Rust (live, 1979)
Re·ac·tor (1981)
Life (1987)
Ragged Glory (1990)
Weld (live, 1991)
Sleeps With Angels (1994)
Broken Arrow (1996)
Year of the Horse (live, 1997)
Greendale (2003)
Live at Fillmore East (2006)
Americana (2012)
Psychedelic Pill (2012)
DVDs:
Rust Never Sleeps (1979)
Year of the Horse (1997) (Jim Jarmusch)
Los Lobos:
Louie Perez (dr, g, perc, voc)
Steve Berlin (sax, per, fl, harp, melodica)
Cesar Rosas (vocals, g, mand,)
Conrad Lozano (b, guitarron, voc)
David Hidalgo (voc, g, accordion, perc, b, keyb,, melodica, dr,, violin, banjo) Enrique „Bugs“ Gonz alez (dr, perc)
Die Alben:
... And A Time To Dance (1983)
How Will The Wolf Survive? (1984)
La Bamba (OST, 1987)
By The Light Of The Moon (1987)
La Pistola Y El Corazon (1988)
The Neighborhood (1990)
Kiko (1992)
Music For Papa’s Dream (1995)
Colossal Head (1996)
This Time (1999)
Del Este De Los Angeles (Just Another Band from East L. A., 2000)
Good Morning Aztlán (2002)
The Ride (2004)
Ride This (The Covers EP, 2004)
Live At The Fillmore (2005)
Acoustic En Vivo (2005)
The Town And The City (2006)
Los Lobos Goes Disney (2009)
Tin Can Trust (2010)

Gunther Böhm