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Tom Petty

30. Juni 2012, SAP-Arena, Mannheim

Sold out – Hippie im Maßanzug!

Zwanzig Jahre hat man ihn jetzt nicht mehr in Deutschland zu Gesicht bekommen – den letzten Aufrechten der (neben Springsteen und Dylan) ganz Großen – der es trotz partieller Kommerzverweigerung schafft, größte Hallen zu füllen. Was freilich auch an der Verknappung des „Konzertgutes Tom Petty“ liegen kann. Klar, Petty hat keinen Alleinvertretungsanspruch des aufrechten Ganges (auf und hinter der Bühne) erlebbar ist der Verzicht auf prall gefüllte Konten zu Gunsten der eigenen Identität inzwischen kaum mehr. Schon gar nicht, seit die CD-Verkäufe spürbar abgenommen haben. Das grenzt an exotisches Branchengebaren, das sich nur noch ein paar Musiker leisten, und auch nur deshalb, weil sie ohnehin in der Bedeutungslosigkeit versinken und ein Freakdasein fristen, wie etwa ein Willie Nile. Wer es mit feinster Americana-Music schafft, die SAP-Arena auszuverkaufen, dem wird auch der Wechsel von der Jeans zum Designeranzug großzügig verziehen.

Tom Petty ist ein Relikt einer vergangenen Zeit, authentisch, ehrlich, handgemacht und, soweit sich das beurteilen lässt, kompromiss- und schnörkellos. Fast alle Alben ziehen sich wie der sprichwörtliche rote Faden durch sein musikalisches Oeuvre. Totalausfälle gibt es nicht, schwächere Alben schon, bei einer nahezu vierzigjährigen Karriere auch nicht verwunderlich. Bei der Songauswahl an diesem Abend nimmt der Rootsmeister gemeinsam mit seiner traumwandlerisch sicheren Band sein Publikum an die Hand und führt es im Midtempo an seinen Musik-Schaufenstern vorbei. Kaufen muss man nix, steht eh‘ alles im Schrank! Dass da nicht jeder geheime Wunsch auf die Liste kommt, liegt auf der Hand. Die Songauswahl mit Hitpotenzial und Mitgrölfeeling ist immens. Dabei waren die ersten zwei Nummern ziemlich sperrig, blecherner Sound und die Heartbreakers noch nicht auf Betriebstemperatur. Aber: Petty fängt die Technik ein und ab „I Won‘t Back Down“ wird es zu einem der bemerkenswertesten Konzerte auf dem ich (bzw. wir, Heike, Tommy, Florian und weite Kreise der Blue-Rose-Familie) je waren. Gleich einem Zeremonienmeister „regiert“ er die Heartbreakers und lässt sie (fast unbemerkt) von der Leine. Überraschungen gibt es zuhauf, „Good Enough“ (vom quasi-Blues-Output „Mojo“ – da vermisst der geneigte Hörer auf der Platte bisweilen den „Blues“ schmerzlich) bestätigt nur, wie gut auch Petty diese Spielart und insbesondere der glänzend aufgelegte Mike Campbell live draufhaben. Ein erstes furioses Gitarrenfinale, das nicht zu der häufigen Leichtigkeit seiner Songs passen will. Jamrock pur! Und mit dem Blues-Klassiker des Abends schlechthin, „Oh Well“ aus besseren Fleetwood-Mac-Tagen, hat wohl außer Edgar (war in Hamburg) niemand gerechnet. Der Song ist im Original schon eine wahre Rakete, was die Heartbreakers in ihrer Show daraus machen, grenzt an musikalische Hexerei. Da wünsch ich mir ein Livealbum! Bitte! Selbst die produktionstechnisch von Jeff Lynn manchmal überfrachteten Songs zünden an diesem Abend. Es ist schwer sich aus dem bunten Strauß der großen Petty-Songs einen Favoriten festzulegen. Für mich war das immer „Refugee“, das in dieser denkwürdigen Nacht, man ahnt es leider schon, das Finale einläutet. Nach „Runnin‘ Down A Dream“ ist Schluss, zumindest vorerst. Die komplette Arena steht schon lange euphorisiert vor den blödsinnigen Stühlen und feiert die Heartbreakers frenetisch. Was die Bestuhlung überhaupt soll, bleibt wohl ein Geheimnis der Veranstalter. Leider bricht sich diese Unsitte immer häufiger Bahn.

Die Mannheim-Show ist der letzte Auftritt in Europa, da kann schon noch was Unvorhergesehenes passieren. Und wie es passiert…der Zugabenteil beginnt mit „Mary Jane‘s Last Dance“, das hatten wohl alle auf dem Zettel, dann aber springt es uns zwölf lange Minuten aus den Boxen an, „Two Men Talkin‘“ mir eine bis dato unbekannte Bluesnummer (gibt es wohl nur auf DVD) die in einer Fusion- und Jamorgie mit brachialem Gitarrenfinale endet, gleich einem Musikorgasmus. „American Girl“ erlöst das Publikum und entlässt es in die regnerische Nacht. Schade, einzige Kritikpunkte, insgesamt waren zweieinhalb Stunden immer noch zu kurz und die nicht ganz schlüssige Abfolge der Zugaben. Zumindest unvorteilhaft waren die unmittelbar über der linken Seite der Bühne angebrachten Videoleinwände. Was bleibt, ist eines meiner besten Konzerte und eine Band, deren lange gemeinsame Zusammenarbeit spürbar war, direkt zum Greifen nahe. Alle, wirklich alle, waren sensationell, dass musikalische Zepter an diesem Abend dürfen sich Mike Campbell und Benmont Tench teilen. Auf der Heimfahrt ist der Ausfall des Support-Acts Jonathan Wilson (ein US-Folkie, der kurz vorher absagen musste) ebenso vergessen, wie mein geheimer Wunsch nach einer Johnny-Cash-Coverversion. Und der hätte an diesem Abend auch seine Freude gehabt! Oh Well!!!

Setlist:
• Listen To Her Heart (You‘re Gonna Get It)
• You Wreck Me (Wildflowers)
• I Won‘t Back Down (Full Moon Fever)
Here Comes My Girl (Damn The Torpedos)
Handle With Care (Traveling Wilburys)
Good Enough (Mojo)
Oh Well (Fleetwood Mac)
Something Big (Hard Promises)
Don‘t Come Around Here No More (Southern Accents)
Free Fallin‘ (Full Moon Fever)
• It‘s Good To Be King (Wildflowers)
Carol (Chuck Berry)
Learning To Fly (Into The Great Wide Open)
Yer So Bad (Full Moon Fever)
• I Should Have Known It (Mojo)
• Refugee (Damn The Torpedos)
• Runnin‘ Down a Dream (Full Moon Fever)
Encore:
• Mary Jane‘s Last Dance Greatest Hits (Greatest Hits)
Two Men Talking (Unreleased)
American Girl (Tom Petty And The Heartbreakers)

Die Gesamtwerkschau hat eine Komplettauseinandersetzung verdient. Zu empfehlen sind die oben gelisteten LP‘s (in Klammern), zzgl. der LP Box „The Live Anthology“ und der Vinyl-Rarität „Kiss My Amps-Live“.
Wie immer an dieser Stelle der Hinweis: Achtung, subjektives Urteil!

Gunther Böhm

 

 

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