Walter Trout Band
Friends Of Gallagher (Band Of Friends)
24. Oktober 2013, Kammgarn, Kaiserslautern
Walter’s Blues
Die Erinnerung ist bekanntlich das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben wird …
1987, in diesem komischen anderen Deutschland, ohne Plattenläden, aber mit jeder Menge „Kunden“, Hirschbeutelträger mit Fensterglasnickelbrillen (weil’s cool aussah), Kletterschuhe und Schweißerhemd, (das irrtümlich als Fleischerhemd eine lokale Karriere hinlegte) ausgerüstet mit Cabernet, Hesse, Kafka und Blues, jede Menge Blues. Wenn du in so einem beschissen-skurrilem Land aufwachsen musst, kommt der Blues von alleine, keine Chance. Von wegen, nur „Schwarze“ auf Baumwollplantagen, bei dröger Sklavenarbeit und Call and Response, haben authentisches Feeling für 12 Takte. ER springt dich direkt an, kommt nicht aus der Deckung, frontal, volles Brett, „scheiße schon wieder keine Karos zu rauchen“, ER ist schon am Morgen da, die Lebensumstände ersetzen die veritable Peitsche, subtiler, aber Ausbeutung bleibt Ausbeutung. Was die Kulturdeppen und geistigen Kleingärtner übersehen haben: es bildete sich peu a peu eine unglaubliche Gegenkultur, die gerade im „Südwesten des Ostens“ ihren Soundtrack im Südstaatenblues fand. Und da sich die Zone in der zweiten Hälfte der 80er langsam pulverisierte, war jedes Mittel Recht, den vorprogrammierten Zusammenbruch aufzuhalten. Also der „Jugend“ ein Häppchen hingeworfen, ein kleines Ventil geöffnet, sollste mal sehen, schon sind wieder alle auf Linie. Dumm nur, dass zum John-Mayall-Konzert nach Leinefelde keine kommunistische Korrumpel kamen, sondern eine äußerst schräge Zusammenrottung von Vollfreaks, Intellektuellen, Kuttenträgern, Rockern, Bluesern, Trinkenr und Trampern, arbeitsscheuen Bohemians, ein Sammelsurium an sozialem Strandgut, so oder so ähnlich in vielen Stasiakten nachzulesen. Wirklich schräg waren eigentlich nur die Stasispitzel, die für drei Rollen Dachpappe ihren Nachbar verraten haben. Nur die, die man wollte, FDJ-Larven, ‚die -Partei -die -Partei -die -hat -immer –recht –Schreihälse’, die kamen nicht. Die Bonzen haben sich quasi ihren eigenen Soundtrack zum Untergang (vom Klassenfeind!) bestellt und diesen auch noch mit Meißener Porzellan bezahlt. Die Blueskunden waren nicht käuflich, auch nicht mit John Mayall, die wollten alles, und vor allen Dingen eines: RAUS! Und jetzt erzähle mir noch einer, Musik hat keine revolutionäre Wirkung. An dieser Stelle machen wir mal Schluss, in unserer Blues-Kolumne demnächst mehr dazu …
Warum ich das jetzt alles erzählt habe? In eben jener Stadthalle (der Baumwoll-/ und anderer spinner) trat 1987 der britische Blues-Cowboy John Mayall mit seinen Bluesbreakers auf. An den Gitarren (der geschätzte) Coco Montoya und Walter Trout, den Gitarrengurt voller Notenschlüssel, die braucht er heute nicht mehr. Das erste Solo gehört Walter (John Mayall ist noch nicht auf der Bühne und die meisten „Blueser“ verwechseln Walter mit John), seit diesem Stratschwingen bin ich Fan. Das war genau der Sound, wie ich ihn live hören wollte, Gitarrenschwerstarbeit mit Empathie, die spielend (im wahrsten Sinne des Wortes) einfach aussah. Fender-Vollbedienung!
In der schwäbischen Blues-Diaspora bot sich in den 90ern kaum die Gelegenheit, erst 2002 im schwer zu bespielenden Freiburger Jazzhaus (ein Gewölbekeller, der Gitarrensound donnerte brachial von der Decke, frontal das Gleiche von der Bühne, plus Monitorboxen-Feedback, so das aus einer voll aufgedrehten Strat gefühlte drei wurden, was Walter mit den Worten „These Fuckin’ Walls Here“ leicht genervt quittierte) konnte ich inzwischen mein fast obsessives Verhältnis zu Trout’s Gitarre fortsetzen. Meine Frau jedenfalls ergriff die Flucht, das Ticket war ein Geschenk in einer Zeit, in der die Kohle knapp bemessen war.
Der Blues-Workaholic Trout veröffentlichte nach der Jahrtausendwende regelmäßig Alben, fast im Jahrestakt, auf immer hohem Niveau und wer sich den Luther-Allison-Slogan „leave yor ego, play the music, love people“ zu eigen macht, der spielt auch jährlich für die Fans, klare Sache. Dass die Fachpresse oft nicht euphorisch auf die siedend-heiße Live-Show reagiert, geschenkt, irgendein Feuilltonist der den Musikredakteur gibt, findet sich immer, um etwas auszusetzen. In dieser Dekade jedenfalls habe ich Walter fast jährlich gesehen, meistens im inzwischen geschlossenem Lorscher Musiktheater „Rex“. Immer Volldampfblues, immer freundlich, Jahr für Jahr der Gitarrengurt ein Stück länger werdend, das Gesicht und die unglaublichen Töne seiner Strat als musikalisch-optische Einheit, klar, auch eine gute Brise klassisches Blues-Gitarren-Posing kommt nicht zu kurz. Dennoch, der Bluesfan stellt sich erhitzt die Frage: wer ist erstaunter, Trout oder gar seine Fender Stratocaster? Nach jeder Show wird signiert, bewundert, gefeiert und getrunken: „I collect your records since 1989!“ „Since 1989?“ – und fällt mir überwältigt um den Hals, sodass ich alle Mühe habe, Luft zu bekommen. Oder das Gelage mit dem inzwischen leider verstorbenen Langzeit-Bassisten Jimmy Trapp an der kleinen Rex-Bar, über Blues, Beer, Burgers, Tod und Teufel.
Das fulminante 12er Album „Blues For The Modern Daze“ lies grenzeinreisend die komplette Fachwelt aufhorchen, selbst in einschlägigen Metal-Mag’s gab’s Höchstnoten, mit dem Tribute „Luther’s Blues“ hat die opulente „Blues-Forelle“ unstrittig den 12-Takt-Olymp erreicht, und eine Symbiose aus höchst energetischen, elektrifiziertem Chicago-Blues im ursprünglichen Verständnis eines Luther Allison abgeliefert, inklusive einer längst überfälligen Wertschätzung in Form eines Cover-Albums. Yeah, I’m back, I’m a Bluesman!
Rhetorische Fragen und Verkäufertricks muss ich nicht anwenden, um Willy und Rudi von der Notwendigkeit der 90 km an einem Donnerstagabend nach Kaiserslautern zu überzeugen. Im Kammgarn steht das „Internationale Bluesfestival 2013 mit
Walter Trout Band – Aynsley Lister – Friends of Gallagher
auf der Agenda alternder, mehrheitlich leicht adipöser Musikfreaks. Was für ein Line-up!
Anlass zur Sorge geben eher die Nachrichten aus dem Netz, das die nahezu komplette WTB-Deutschland-Tour abgesagt wurde, „due medical reasons“, oder um es mit der unvergleichlich lakonischen Mixtur aus Realität, Kampfgeist und Blues mit Walters Worten zu sagen:„It seems like my early years of debauchery, lechery and partying has caught up with me!“
Rory wüsste, was der kalifornische Blues-Apologet meint, die Folgen einer Lebertransplantation hat der irische Ausnahmekönner nicht überstanden. 1977 eroberte Gallagher, der schon mit Taste Unvergängliches in die Plattenregale stellte, via Rockpalast Kontinentaleuropa. Anders als die WT-Band, kenne ich das Blues-Rock-Denkmal im Holzfällerhemd nur von der Bild- und Tonkonserve. Möglichkeiten gab es zu Hauf, ich habe mir immer einflüstern lassen: ‚der kommt ja eh´ jedes Jahr, machen wir andermal …‘
Es ist Frühsommer 1995, ich sitze mit einem Sixpack Dosenbier an der Saale, da schlägt die Nachricht von Rory’s Tod ein und verschafft mir einen ziemlichen Pfingst-Blues. Hätte ich bloß nicht auf das blöde Gequatsche gehört. Auch wenn Rory in den 90ern schon gezeichnet war und die Band nicht unbedingt am Kreativitätslimit spielte, eine Show wäre diese Ausgabe allemal wert gewesen, ohne voyeuristischen Blick auf das Geschehen. Ist leider nicht mehr zu ändern, und da mich Coverbands nur wenig interessieren, ziehe ich einen musikalischen Summenstrich unter die Epoche.
Bis zum Kammgarner-Blues-Festival ändert sich da nichts, aus, vorbei, Geschichte, ab und zu rotiert der Meilenstein „Photo-Finish“. Dann aber stehen „Friends of Gallagher“ auf der Bühne, die auch unter „Band of Friends auftreten“. Die geben den besten „Bullfrog Blues“ den es je zu hören gab (in der post-Rory-Ära), Langzeit-Weggefährte Gerry McAvoy ist der Anheizer, Shouter und Frontsau des Dreiers schlechthin, fast könnte man meinen, der macht jetzt alles möglich was er bei Rory nie durfte: Ansagen, Bass-Soli, Kommunikator und Anheizer, fast jaggeresk mit dem Publikum spielend.
Es ist kein Geheimnis, das Gallagher auf der Bühne schwierig war, sich nicht an verabredete Soli hielt, den immer brillanten Mitmusikern kaum den gebührenden Raum überließ, ein Monolith der Blues-Szene, der seine Band oft als Background betrachtete. Der Eindruck, dass hier nur die Retrokuh gemolken wird, stellt sich zumindest diesen Abend nicht ein. Und mit Teilzeit- Weggefährte Ted McKenna an der Schießbude (der trommelte auf der schon erwähnten legendären „Photo-Finish“) ist ein weiteres „Gallagher-Original-Mastermind“ am Start. Die eigentliche Überraschung des Abends ist jedoch ein ganz anderer: Frontmann Marcel Scherpenzeel an der Gitarre! Stimme fast wie Rory, spielt Gitarre wie Rory und sieht dazu noch aus wie Rory, ohne aufgesetzt oder gar lächerlich zu wirken.
Scherpenzeel geht den großen Gesten eher aus dem Weg und lässt seine Klampfe für sich sprechen. Alles was er spielt hat große Klasse. Der Gitarren- und der Bandsound sind zwar dicht am bluesrockenden Original angelehnt, billige Kopisten sind sie indes nicht. Eine Zeitreise at it’s best, egal ob das legendäre „Moonchild“, der Gitarren-Rock-Kracher „Shadow Play“ oder die Hardcore-Variante des „Bullfrog Blues“. Das Publikum feiert frenetisch und erklatscht zwei Zugaben im engen Zeitplan. Ich bin mir sicher, der inzwischen 65jährige Namensgeber hätte sein ok. druntergesetzt. Nicht nur aus Altersmilde! Grandiose Show!! Puh, was für ein Auftakt, schnell pinkeln, Frischbier, Walter Trout.
Ungefähr zehn Minuten benötige ich, um zu begreifen, was da auf der Bühne abgeht. Aus Respekt vor einem offensichtlich erkrankten Musiker hätte BBB auf einen Konzertbericht verzichtet. Der Stuhl auf der Bühne verheißt schon nichts Gutes, das Wiedersehen schockt mich regelrecht, ich bin sprachlos. Walter hat deutlich an Gewicht verloren, was sich anscheinend auf Muskelmasse beschränkt.
Mir kommt Johnny Winter in den Sinn, Rudi tippt kenntnisreich auf Lebererkrankung, Walter zerschlägt den Knoten der Mutmaßung: „Is there anybody with a spare liver for me? 30 years ago my liver was fine, than I joined to Canned Heat!“ Stöpselt die Stratocaster ein und legt los wie einst.
So wie wir Walter alle lieben, Blues-Rock ohne Schnörkel, mit der Dampframme, nix für Songwriter-Schöngeister und oops, Teetrinker. Der Sound riecht förmlich nach Dreck und Schweiß, hemdsärmelig, die Therapie durch sechs Saiten. Haben ihm tatsächlich Ärzte verordnet, ein paar Pillen werden auch dabei sein. Uns ist es somit scheißegal, dass er seine Soli inzwischen im Sitzen zelebriert.
Der treue Sammy Avila an den Tasten, Rick Knapp (der Jimmy Trapp Nachfolger) am Bass, der auch so etwas wie eine „Erlewine-Lazer“ zupft, (früher undenkbar) und Michael Leisure an den Becken, einmal sogar unterstützt der Gitarrenroadie am Bass, sorgen konsequent dafür, das der Meister einen gescheiten Arbeitsnachweis abliefern kann. Im Zentrum der abgekürzten Blues-Messe steht das aktuelle Album „Luther’s Blues“ und wer einen Song mit … we lost ’em 16 years ago, and I’m waiting for somebody to do a tribute to this man and to his music. I’m waiting 16 years and nobody did it. I said: fuck it! I do it! His name is – Luther Allison – hat weder was an Authentizität und schon gar nicht an Charisma eingebüßt. Die Nummer nach dieser Ansage? Der Opener – „I’m back – I’m a Bluesman“
An dieser Stelle wäre jedes weitere Wort eines zu viel!
Die Alben:
Life in the Jungle (1990, teilweise live)
Prisoner of a Dream (1990)
Transition (1992)
No More Fish Jokes (1992, live)
Tellin’ Stories (1994)
Breaking The Rules (1995)
Positively Beale Street (1997)
Walter Trout (1998, nur USA und UK)
Livin’ Every Day (1999)
Face The Music (2000, live)
Live Trout (2000, live)
Go The Distance (2001)
Relentless (2003, live)
Deep Trout (2005, Sampler)
Full Circle (2006)
Hardcore (2007, live)
The Outsider (2008)
Unspoiled By Progress (2009)
Common Ground (2010)
Blues for the Modern Daze (2012)
Luther's Blues (2013)
Gunther Böhm