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Alphatier!

9. April 2014, Theaterhaus, Stuttgart

Marius

...ich möcht' zurück auf die Straße
möcht' wieder singen, nicht schön, sondern

GEIL UND LAUT
denn Gold, Gold, find' man bekanntlich im Dreck
und Straßen sind aus Dreck gebaut…

Jaja, hhm, ich hab ein Luxusauto, doch das ist sowas von scheißegal, jaja, zurück auf der Straße, endlich, mit 'ner vollen Dröhnung, Rock 'n' Roll und: Blues, Blues, Blues! Jaja, zurück auf der Straße ... sogar das schwäbisch-adrette Theaterhaus zieht 'ne volle Nase Blues-Dreck. Das einzig Seriöse ist der Anzug, die Schunkel-Beliebigkeit weggerotzt, die Straße zurückerobert, den Kampf um die Straße gewonnen. Endlich! Geld kann korrumpieren, seit heute 22:30 Uhr wissen wir: muss es aber nicht!

Diametral zu den Verkäufen entwickelt sich die Qualität der Alben, keine 1,8 Millionen abgesetzte „Affentheater-Einheiten“, dafür das dreckigste, rootsigste, bluesigste, rockende Marius-Album seit, ach was, seit überhaupt, Mann. Und Williamsburg war schon 'ne Vorlage oder die Trilogie um „Sekt oder Selters.“ Und wenn der Hering nur ein „Alphatier“-Album absetzt, dann bin ich es, der es kauft.

Alles hat er abgeräumt, die großen Arenen, Gold- und Platinalben, kommerziell dem Gipfel nah einen entlarvenden Konzertfilm drehen lassen („Keine Zeit“), alle möglichen Auszeichnungen einkassiert, Shows mit monumentalem Ausmaß inszeniert, Breitwandsound und Narzissmus, vom Loser im Unterhemd zum Armani-Rocker und zurück zum Rock 'n' Roller. Ist das glaubwürdig? Ja, nicht Jaja, JA! Halleluja!

Alphatier-Pre-Listening-Tour, bestimmt nicht berechnend, vielleicht smart, auf jeden Fall cool, das neue Album in kleinsten Hallen auszuprobieren. Komplett gespielt, in analoger Album-Reihenfolge, Live-Dreck angetestet. Hereinspaziert, hereinspaziert, ca. 1.500 behäbige Schwaben ziehen sich an den Ohren. Das Böse im Maßanzug gibt uns den Jagger-Gockel, heult wie ein Wolf, fleht, knarzt und grunzt, schmachtet Background-Vocalistin Lindiwe Suttle an, stolziert eitel auf und ab, zuckt grotesk mit dem Hinterteil, wird getragen von einer unglaublichen Band „von denen keiner deutsch spricht“.

Mehr Stones war wohl nie drin, selbst die Originale kommen da ins Schwitzen, wen juckt es , dass er die letzte Höhe nicht mehr aus den 65-jährigen Stimmbändern rausquetscht?

… wir verdienten vierhundert Mark pro Auftritt
für 'ne Rolling Stones Kopie
die Gitarren verstimmt und es ging tierisch los
und wir hielten uns für Genies …

Yep, es ging tierisch los, die Gitarren saudreckig gestimmt, der Texaner Brad Rice und Musical-Director Kevin Bents riffen und rocken schweißtreibend, schwül, gefährlich als wären morgen die Noten alle, Jeffrey Young mit Orgelsound wie Nicky Hopkins, über allen thront die fleischgewordene Rhythmusmaschine Aaron Comess von den Spin Doctors. Einer der fünf besten Drummer meint Marius – und der muss es schließlich wissen.

Im bedrohlich anschwellenden „Verzeih“ werden alle Vocalregister gezogen, geraspelt wie einst, der ultimative Mittelpunkt der Show. Ja, bewusst Mittel- nicht Höhepunkt, die Songs bis „Verzeih“ steigern sich, bauen langsam auf, die dräuenden Verzeih-Gewitterwolken entladen sich in einem fulminantem Sturm, Hochspannung ,Gänsehaut und Rettung, dann wird's mal lyrischer, poetisch, aber niemals banal. Clever gemacht, alle Songs hätten Platz in einer größeren Halle, zwischen „Sexy“ und „Willenlos“, doch wer will das schon? Evtl. SWR-1 Hitparadenhörer, Zeit für einen Paradigmenwechsel, zeigt im Herbst auf'm Abstimmungszettel, was ihr drauf habt, ihr Hitparadendauerdudler. Die Album-Bonustracks „Ich bin besessen“ und „Hast Du vergessen“, sind sperriger, archaischer, von ursprünglicher roher Kraft, doch die Schwabenerlösung liegt in der Zugabe: der „Willenlos-Walzer“ (Lindiwe ist bei der Aufzählung all der Carmelitas, Nataschas usw. vorsichtshalber von der Bühne verschwunden), gibt dem Volk, was es erwartet: Hits. Und das wäre auch der einzige Kritikpunkt: die Zusammenstellung der Zugaben, wobei „Taximann“ („Das Erste Mal“, 1975) eine unglaubliche Metamorphose vom Quasi-Chanson (des noch suchenden jungen Müller-Westernhagen) zur veritablen Blues-Ballade vollzieht.

Bleibt noch der ewig junge Vergleich mit der Inkarnation des Vorwurfs aus dem Ruhrgebiet, der Zeigefinger des Feierabendradios, Betroffenheitslyriker, der alle und alles noch größer rockte, noch mehr Gold und noch mehr Platin, auf Zelluloid und am Mikro nicht willen- nein chancenlos. Kann schon sein, viel, viel mehr verkauft, eines hat er nicht: den Blues = Geiler is' schon …Marius!

Ich bin wieder hier
in meinem Revier
war nie wirklich weg
hab mich nur versteckt
ich rieche den Dreck
ich atme tief ein
und dann bin ich mir sicher
wieder zu hause zu sein

Setlist:
Hereinspaziert, Hereinspaziert
Alphatier
Liebe (Um Der Freiheit Willen)
Oh Herr
Clown
Engel, Ich Weiss...
Verzeih
Was ich will bist du
Liebeslied
Keine Macht
Halt mich noch einmal
Wahre Liebe
Ich bin besessen
Hast du vergessen
Encore I:
Willenlos
Taximann
Sexy
Encore 2:
Mit 18
Johnny Walker

Auf die Liste mit den Alben verzichte ich, wer die nicht hat, ist selber Schuld!

Gunther Böhm