Holger Görrißen
performing Tom Waits
26. Juli 2014, Schwetzingen, Cafe Montreux
You’re Innocent When You Dream
Puh, der 26. Juli hat’s wahrhaftig in sich: Onkel Neil rumst an den Dresdner Elbufern allgemeingültige Feedbackorigen aus den Amps. Wenn der Kanadier ruft, kommen alle. Bis auf ein paar „Jahresendflügelpuppen“ ist das Erzgebirge leergefegt, BBB-Webmaster-Tommy und Indie-Fotografin Heike werden uns an anderer Stelle (zumindest visuell) erzählen, was wir schon ahnen: Neil ist Neil ist Neil – mit oder ohne PONOI!
Mick Jagger und BBB-Metal-Mastermind Florian feiern Geburtstag.
JJ Cale ist vor einem Jahr viel zu früh verstorben.
Und was bleibt mir? Das erst „B“, wieder mal.
In Pitsches Rock-Biergarten haben sich nur sehr wenige Raindogs verirrt. Viel zu wenige, leider. Gegenüber tobt ein Reitturnier, Pferde kacken den Weg voll, am Nebentisch wird Rockgeschichte neu geschrieben: „Like A Rolling Stone“ von Eric Clapton … Hhm. Und U2 ist die Band von Kaleun Lehmann-Willenbrock, oder wie? Herr, wirf Hirn vom Himmel! Das ist auch ein Ergebnis von „No Cover Shows“ – ein Zehner Eintritt und die fabulieren auf dem Schlossplatz. Egal, Schwamm drüber. You’re innocent …
Immerhin, unter den paar Freaks gibt es ein paar echte, abzählbar an zwei Händen + „Montreux-Hund Janis Joplin Deutschland“, keiner wird sein Kommen bereuen.
Der mir bis heute Abend gänzlich unbekannte Holger Goerrissen sitzt gelassen am Nebentisch. Jack-Nicholson-Frisur, Krawatte, Hosenträger, Fred-Astaire-Schuhe, nur Hut und Anzug von der Heilsarmee fehlen.
Zuviel Nähe schadet manchmal. Nicht bei Holger Goerrissen. Vieles ist unklar, verschleiert, im Nebel. Wieso kenne ich „den“ nicht? Wie kann es bei Apfelschorle zu dieser Stimme kommen, Vocals vom Boden des Whiskeyfasses? Hat etwa Verwandtschaft des Protagonisten das Piano vom Pfandleiher im Winter nach Hause gezogen, wie die Mutter des Geehrten? Sind alle Tasten eingefroren, außer den schwarzen? Spielt er in F-Dur?
Wer ist hier wessen alter ego? Ist Holger ein Regenhund?
Waits’ Shows leben mitunter von der Attitüde des Billigen, used Songs, mit sieben Dollar Mikrofonen und einem 21 Dollar Megafon, Marimbas, Glockenspiel und alle denkbaren und undenkbaren Instrumente die zu einer sehr perkussiven Behandlung taugen. Souverän befestigt Frank aka. Holger ein Schellenspiel am rechten Bein, klinkt sich in das Hohner-Akkordeon ein und erzeugt per sofort einen authentischen Waits-Sound. Klassisch angestaubt, unangepasst, nie modernistisch, schon gar nicht anbiedernd und dennoch dicht am Original.
„Chocolate Jesus“ groovt akustisch los, frei von jedem platten Songwriterpathos. Keep me satisfied! Unglaublich auf welch immensen Studiooutput Tom zurückblicken kann, die Setlist lässt es nur rudimentär erahnen, da reihen sich veritable Klassiker „Hang Down Your Head“, „Big Black Mariah“, „Rain Dogs“, Heartattack And Vine (mit einem tollen Groove) unprätentiös und mit Verve aneinander, das verzichtbare „Downtown Train“ ist mutmaßlich eher der Radiotauglichkeit des Publikums geschuldet. Im Original deutlich stärker als die Coverversion des schottischen Rasplers.
Unerhört das quasi-Duett mit Tom vom Band, Picture in a frame, wie sich später herausstellt, nix Tom, das war Holger & Holger. Der Protagonist sampelt sich live selbst! Unglaublich. Spätestens jetzt müsste der letzte Groschen fallen, wie saucool es hier abgeht. Die fallen leider nicht immer in den Klingelbeutel, Ignoranten drücken sich, noch erbärmlicher ist das Volk, das 2,50 € übrig hat. Es ist also 2,50 € wert. Ein Konzert, fast drei Stunden! Jede Kinokarte in der Sonntagsmatinee des (ziemlich leeren) Programmtheaters kostet mehr. In Ordnung, wem die Show nicht gefällt, verschwindet ohne Kulturobolus. Aber 2,50 €? Noch schlimmer sind diese Konzert-Dauerschwurbler die sich gegenseitg hochwichtige und brisante Informationen ins Gesicht brüllen. Halten sich für Freaks, nur weil die Haare durch ein Zopfgummi gebändigt werden.
Pause. „The Piano Has Been Drinking“ ist nicht im Gepäck, macht nichts, dafür ein paar eigene Songs die mühelos das hohe Qualitätslevel der Waits-Nummern halten. „You Scream“ würde locker auf der „Frank-Triologie“ einen Platz einkassieren.
Das die verhinderte australische Nationalhymne „Waltzing Matilda“ den Set beendet ist so logisch wie dramaturgisch vorhersehbar. Holger Goerrissen, der oft zwischen drei Mikros, E-Piano, Distortion-Piano und allerlei „metallischem Perkussions-Zeuchs“, akustischen und elektrischen Geräuschen hin und herwechselt, im Habitus eines Soundtüftlers, schickt die paar Unentwegten mit „Jockey Full Of Bourbon“ (die rumpelnde Variante) und „Ruby’s Arms“ (sehr balladesk) tränenreich durch die Nacht.
Vom Nebentisch ein Dankeschön. Wofür? War ein phänomenales Konzert, schade, dass ihr’s nicht er-lebt habt.
… It’s such a sad old feeling
The fields are soft and green
It’s memories that I’m stealing
But you’re innocent when you dream …
Die Setlist
Chocolate Jesus (Akkordeon)
Hang down your head (Akkordeon)
Walk away (zum Teil mit Akkordeon)
In the neighborhood & Innocent when you dream
Hoist that rag
Downtown train
Ice cream man
Heartattack and Vine
Yesterday’s here
Picture in a frame
Big black Mariah
Dirt in the ground
Pause
Tango til they’re sore (Akkordeon)
I don’t wanna grow up (Akkordeon)
Anywhere I lay my head (Akkordeon)
Such a scream (zum Teil mit Akkordeon)
You scream (eigener Song)
Hold on
Frozen in blood (eigener Song)
Fly in the beer (eigener Song)
Jesus gonna be here
Broken bicycles
Invitation to the blues
I’ll be gone
Rain dogs
Way down in the hole
Going out west
Waltzing Matilda
Zugaben:
Jockey full of Bourbon
Ruby’s arms
Gunther Böhm