The Vampire Strikes Back!


Zum 70. Geburtstag von Keith Richards
* 18. Dezember 1943

Lou Reed

Das Spannende an einem Beratungsjob sind die unterschiedlichen Typen, auf die du jeden Tag triffst. Da sind zwangsläufig beratungsresistente Besserwisser, Oberlehrer und Underdogs, Saturierte die sich bodenständig geben (wird bestenfalls unter „mittelmäßiges Understatement“ abgelegt) und völlig unverdächtige Endverbraucher darunter. Und manchmal, genau dann, wenn sich schleichend die Beratungsroutine einstellt, trifft der Produktspezialist voller Empathie auf einen ebensolchen Musikspezialisten. Mein Gefühl täuscht selten, ich gehe volles Risiko und erkläre meinem Gegenüber mit Lehrauftrag (Musik!!), das heute der wohl größte Rhythmusgitarrist aller Zeiten mehr oder weniger erwartet seinen Siebzigsten feiert. Thorsten W. überlegt, ich helfe mit dem legendären Alexis-Korner-Zitat aus:„-- ---… für mich der beste schlechteste Gitarrist!“ Das zündet: „Ah, Keef Richards! Tja, die Beatles hatten die bessere Musik, die Stones die dickeren Eier!“ Selten hat es jemand so treffsicher auf den Punkt gebracht. Es ist der 18. Dezember 2013 …
Keine Ahnung ob John Lennon nach einer veritablen Gram-Parsons-Kollaboration auch ein schwül-siedendes Countryextrakt wie „Exile …“ aus dem Ärmel hätte schütteln können … lassen wir das mit der besseren Musik barmherzig unbeantwortet.

Die Zeitungen überbieten sich am 18. Dezember mit Plattitüden: „Sensation! Keith Richards ist 70 geworden!“ (Hamburger Abendblatt) „Human Riff ...“ im Mannheimer Morgen kommt da noch vergleichsweise harmlos daher. Besser schon: „… der eiserne Gammler“ aus der FAZ.

Und ob sich Keef tatsächlich zweimal komplettt in der Schweiz das Blut hat tauschen lassen und Mick wirklich die dickeren Eier hat als sein Kapellmeister, ist so unerheblich wie die Alben der Fab Four seit 1970! Man vergisst bei all dem medialen Schmarrn, allzu leicht glaube ich, dass es neben dem Geschäftsmann und Jet-Setter Mick Jagger, einen ganz anderen musikalischen Motor der Band gab. Schlampig, mundfaul, aber immer mit Gitarre anzutreffen, stets pendelnd zwischen Chuck Berry und Bo Diddley, tief dem schwarzen Blues verpflichtet. Seine drei Blueslicks sind heute Weltkulturerbe, seine Riffs ohnehin und auch hier gilt: die Reduktion auf das Satisfaction-Riff wird der Kreativität nicht näherungsweise gerecht. Probiert‘s mal mit „Monkey Man“, da bleibt selbst beim Gitarren-Autisten die Kinnlade unten. Die einst gerissene tiefe E-Saite wurde nie mehr wiederbelebt. Richards Genialität liegt in der Einfachheit, ganz Heerscharen von Jüngern setzen heute auf Open-Tunings.
Oder der morgens um sechs durch den patschnassen Park schlurfende Keef-Gärtner Jack, dessen Schritte zum drogenschwangeren, gefährlichen JJF-Riff animierten und das vermeintliche erste kreative Loch standesgemäß auf Platz Eins beendeten. Dem Wortgeschwurbel um Kreativität konnte er ohnehin nix abgewinnen und erteilt kurz und bündig der Verkopftheit eine Absage: „Die Musik ist da, du musst sie dir nur nehmen.“
Das macht er auf unnachahmliche Weise, wie ein Generalriffmeister eben, mit den Wingless Angels, den New Barbarians und seinem wahrhaftigen Glimmer-Twin Ron, sturzbetrunken mit jenem Zwillingsbruder (den Keef-Riff-Hard unbedingt in seiner Band haben wollte) bei Live Aid und keinem geringeren als Bob Dylan, mit Peter Tosh, Aretha Franklin, John Phillips, J. Geil‘s Peter Wolf, als Producer von Johnnie Johnson, Sidekick des unvergessenen Hubert Sumlin, seiner Eigenmarke den X-pensive Winos, am berührendsten mit „Bad-As-Me-Tom-Waits”. Ob die Geschichte nun stimmt oder nicht, ist eigentlich egal, authentisch wäre sie allemal: Tom Waits wird vor den Aufnahmen zu „Bad As Me“ gefragt, wen er gerne als Sessiongitarrist an seiner Seite wüsste: „Keith Richards, aber das ist wohl ausgeschlossen!“ Der verbal Geadelte erfuhr davon, stieg aus einem Truck vor einem Winzlingsstudio und hatte eine Batterie Gitarren bei sich, viel zu viele für das kleine Recording-Studio. Das Ergebnis ist bekannt.

Geklaut hat er Zeit seines Lebens, ungeniert und offensichtlich, am meisten wohl bei Bo Diddley und Chuck Berry. Selbst schon lange zur Legende geworden (auch ohne Orden des British Empire) war Keith Gastgeber und Kapellmeister bei Chuck‘s Sechzigstem. Der Beweis war abgeliefert, klar, der kann auch (fast) ohne Fehler, sieht man mal von den zwei, drei bösen Blicken des Geehrten ab.

Kommerziell erfolgreich waren weder die Soloalben von Mick Jagger noch die von Keith Richards. Einen erwähnenswerten Unterschied gibt es dennoch: Keith‘ Alben waren alle cool!
Macht noch mal ein Bluesalbum, Prodigal Sons!

Fest steht, dass es wohl keinen lebenden Musiker gibt, der Sex, Drugs und Rock ‘n‘ Roll mehr verkörpert, wobei Keith eher für Teil zwei und drei zuständig ist. Welche Rolle, bitteschön, spielen bei diesem Rückblick irgendwelche Transfusionsgerüchte aus der Schweiz, Prozesse oder Weiber?
Nils Lofgren, ein glühender Verehrer, findet die passenden Worte:
„Keith don‘t go!“

Soloalben:
Run Rudolph Run (7″-Single)
Talk Is Cheap
Live At The Hollywood Palladium 1988
Main Offender
Eileen (5-Track Japan Mini Album)
Wingless Angels - Volume I
The New Barbarians – Buried Alive (Live 1979)
The First Barbarians – Live From Kilburn (Live 1974)
Wingless Angels - Volume II
Vintage Vinos

Es gibt zusätzlich ein Sammelsurium an mehr oder minder obskuren Bootlegs.

Gunther Böhm