Johnny B. Goode


Zum Tod von Johnny Winter
* 23. Februar 1944 | † 16. Juli 2014

Lou Reed

Unser Roadmovie begann im Frühjahr 1979 auf einer Bahnfahrt von Eisenach nach Ostberlin.
Zwischen zwei Waggons im Schneidersitz, pubertär, bereit zum Blues-Aufstand. In unseren billigen grünen Jagdrucksäcken befand sich keine „DDR-Symbolik“. Nein, unsere Reiseutensilien waren gänzlich anderer Natur: mit Schweinegalle „gehopftes“ Bier, Kräuterschnaps und ein Kassettenrekorder „Annett“ mit 27 bespielten Bändern, davon 26 mehr oder wenig qualitativ laue Stones-Tapes. Vom RIAS, WDR, HR oder sonst wo kopiert. Die Stones zählen nicht mit, heute nicht mehr, das war Lebensgefühl.
Band 27 war für den texanischen Wundergitarristen Johnny Winter reserviert. John Dawson hat in der Nacht vom 21. auf den 22.04.1979 die Grugahalle angezündet. Eine Blues-Orgie auf sechs Saiten, dazu ein Drumsolo dass noch viel mehr als die Beschreibung „anarchistisch“ verdient. Nach den beiden „American Folk Blues“-Alben befiel uns eine Ahnung, was Blues sein könnte – was Blues mit uns macht hat uns Johnny in dieser Nacht erklärt. Ein Schwert von einer Gitarre, Blues in einer atemberaubenden Geschwindigkeit, treffsicher, legendär der Erstling „Johnny Winter“, brachial und elegant „Captured Live“ das mit einer unglaublichen Präsenz alle damaligen und gegenwärtigen Gniedler, all die Bonamassas, locker in Sack und Asche spielt.

Um zurückgehende Verkaufszahlen Mitte der 70er scherte sich Johnny einen Dreck, Artrock jodelte, Punk tobte, Johnny Winter produzierte brillante Muddy Waters-Alben, „I’m Ready“, „King Bee“ und „Hard Again“.

Es fiel schwer dem vom Rock ’n’ Roll gezeichneten bei Live-Shows zuzusehen, so offensichtlich war der körperliche Verfall. Mit „Let Me In“ und insbesondere mit „Roots“ gelangen trotz inzwischen verlorener Virtuosität superbe Alben, hervorragend in Szene gesetzt von seiner Band um Produzent und Gitarrist Paul Nelson, die sich immer in den Dienst der Sache stellt.

70 Jahre hat sich der weißeste Bluesgitarrist aller Zeiten auferlegt, der seine Musik nie als Last, oft als Befreiung verstand. Nun ist die Erlewin Lazar für immer verstummt. Der Wochenendblues kennt keine Gnade, dreckig und erbarmungslos. „Johnny Winter And“ bringt uns durch die Nacht.

Farewell Blues-Dervish.

The Progressive Blues Experiment (1968)
Johnny Winter (1969)
Second Winter (1970)
Johnny Winter And (1970)
Johnny Winter And Live (1971)
Still Alive and Well (1973)
Saints & Sinners (1974)
John Dawson Winter III (1974)
Captured Live! (1976)
Together (1976) with Edgar Winter
Nothin But the Blues (1977)
White, Hot and Blue (1978)
Raisin’ Cain (1980)
Guitar Slinger (1984)
Serious Business (1985)
Third Degree (1986)
The Winter of '88 (1988)
Let Me In (1991)
Hey, Where’s Your Brother? (1992)
Live in NYC '97 (1998)
I’m A Bluesman (2004)
Breakin’ It Up, Breakin’ It Down (2007, mit J. Cotton und M. Waters, Aufnahmen von 1977)
Roots (2011)

Gunther Böhm