Tarja Turunen

3. Dezember 2012, Kurfürstliches Schloss, Mainz

I’m dreaming of a Last Christmas …

Tarja Turunen war auch mal ein richtiger Rockstar. Mit Tuomas Holopainen und Nightwish revolutionierte sie ein ganzes Genre, spielte die größten Hallen und Festivals und war ganz oben. Das war vor 2005 und dem Rauswurf bei Nightwish. Seitdem wechseln dort die Sängerinnen, die versuchen, in ihre übergroßen Fußstapfen zu treten … und Tarja versucht einerseits mehr („What lies beneath“) oder weniger („My winter storm“) gut, ihre alten Rockfans zu beglücken; und lebt nebenbei ihre Liebe zur Klassik aus, sei es mit ihrem „Bandprojekt“ Harus oder wie an diesem Abend in Mainz, solo.
„Christmas in the hearts“-Tour, ey … kein Metal- und auch nur sehr wenige Nightwish-Fans würden sich freiwillig hierfür Karten kaufen, zumal der Preis mit 35 Euro aufwärts schon happig ist. Aber zum Glück gibt es ja Gewinnspiele … und bei Gratis-Tickets kann man ja mal die Reise nach Hessen (kleiner Spaß, Gunther!) antreten um in dieser harten und kalten Geschäftswelt ein bisschen warme Weihnachtsgefühle zu empfangen. Und eine tolle Sängerin ist sie ja zweifelsohne.
Geschneit hat es die Tage vorher, die Straßen sind noch einigermaßen befahrbar und mein iPod ist im Shuffle-Modus heute auf Krawall gebürstet; Death Metal-Geballer erträgt Flo, der sofort zugesagt hat, die zweite Karte zu nehmen (ohne das Tourmotto zu kennen …) noch tapfer, bei 15-minütigen Epen von Moonsorrow steigt er aber aus. Der Sturm vor der Ruhe sozusagen …
Mainz erreichen wir schnell und gut, und nachdem wir dort am Namen der Bushaltestelle festgestellt haben, dass das zuerst angesteuerte Gebäude der Landtag und nicht das Schloss ist, finden wir auch die heutige Location, liegt ja nur wenige Meter entfernt. Interessantes Publikum heute, viele Klassik-Fans, ein paar Goten und nur wenige Metaller, ich sehe einzelne Nightwish-Shirts und eines von Amon Amarth. Vielleicht sind aber auch einige „inkognito“ unterwegs, ich habe über mein Nasum-Shirt auch einen seriösen Pullover gezogen. Tarja spielt im Großen Saal, der auch sehr gut gefüllt ist, vielleicht 500 Leute sind anwesend, als der Ansager (ein Entertainer vor dem Herrn) ermahnt, erst zu den Zugaben (praktischerweise schon vor dem Gig angekündigt) Fotos zu machen. Tarjas Musiker (die Namen der Pianistin, des Cellisten und der Geigerin konnte ich nicht verstehen bzw. nachträglich nicht in Erfahrung bringen) betreten wenige Minuten nach acht die schön ausgeleuchtete Bühne ... Tarja herself folgt unter tosendem Jubel und hat Klassik-Mob von der ersten Minute an im Griff. Ich bin jetzt wahrlich kein Klassik-Experte, ob die Musiker im Vergleich gut sind, das kann ich nicht sagen, in meinen Ohren klingt es aber so und Tarja gibt sich so wie immer … super bei Stimme („eine Waffe“, sagt Flo), ein bisschen unterkühlt, in ihren Ansagen freundlich, aber leicht einstudiert wirkend, aber irgendwo auch lockerer als bei Metal-Gigs und vor allem nicht mit diesen unglaubwürdig wirkenden Rockerposen. Man hat das Gefühl, das was sie heute macht, das ist ihr Ding, das gefällt ihr selbst. Und eine tolle Sängerin ist sie ja zweifelsohne. Im Programm stehen unterschiedlichste Stücke … klassische Nummern, die schön klingen, mich aber irgendwo kalt lassen (z. B. zwei von drei „Ave Marias“), einige finnische Weihnachtslieder von z. B. Jean Sibelius, die fernab vom üblichen Weihnachtskitsch eine schöne Atmosphäre versprühen, umarrangierte Weihnachts-Pop-Songs, die eigentlich kein Mensch braucht, aber doch ganz nett rüberkommen (zum Glück nur WHITE Christmas und nicht LAST…) und zum Ende des Programmes hin mit vor allem „You would have loved this“ und „Walking in the air“ zwei Nummern, die wirkliche Highlights sind und von Tarja sehr emotional gesungen werden. Letzterer Song dann auch Ende der regulären Setlist. Hä? War doch nur eine gute Stunde? „I always think, the end comes way too quick“, sagt Tarja. Kleiner Tipp, Frau Turunen: einfach ein bisschen länger singen, hätte keiner etwas dagegen! Zugaben gibt’s dann noch zwei („Stille Nacht“ auf Deutsch … hier steige ich dann gedanklich aus), wie vorher angekündigt, alle strömen vor und machen Fotos, Mrs. Turunen nimmt noch Blumen in Empfang und verabschiedet sich. Nightwish sind ja für 90-Minuten-Konzerte bekannt, aber nur 75 ist normalerweise schon recht frech. Aber vielleicht ist der Klassik-Kram ja auch schwierig zu singen ... und eigentlich hat es ja auch gereicht. Sie kommt dann nochmal raus, aber nur, um noch ein paar Blümchen abzugreifen.
Durch das nächtliche Schneegestöber geht es zurück nach Heidelberg. Netter Konzertabend der anderen Art, aber 35 Euro hätte ich dafür nicht gezahlt. Trotzdem bleibt Tarja zweifelsohne eine tolle Sängerin und ihre Platten mit Nightwish sind allesamt unantastbar. Der iPod hat dann aber auch was gegen zu viel Weihnachtsstimmung und ballert wieder Death Metal aus den Boxen. Gut so.

Setlist:
• Pie Jesu (Andrew Lloyd Webber)
• Panis Angelicus (Cesar Franck)
• En etsi valtaa loista (Jean Sibelius)
• Varpunen jouluaamuna
• Mökit nukkuu lumiset
• Jul, Jul strålande Jul (Evers/Nordquist)
• Ave Maria
• Christmas song
• White Christmas (Irving Berlin)
• Santa Claus is coming to town (Coots/Gillespie)
• Ave Maria (Franz Schubert)
• You would have loved this (Cori Connors)
• Walking in the air (Howard Blake)
...................
• Stille Nacht
• Ave Maria (Francesco Paolo Tosti)

Florian Störzer