Mathias Richling: Der Richling Code

2. November 2012, Wühlmäuse, Berlin

Satire-Trüffelschwein auf Pointenjagd

Die Zuckerpuppe von der Schwarzgeldtruppe, eine kopflose Angie im übergroßen Blazer, steht im Zentrum der Bühne. In ihrem Rücken Da Vincis Abendmahl, vor ihr das bundesrepublikanische, beim Lesen der Tischkärtchen erschaudert der Zuschauer, ein Glück das viele von Ihnen
nichts mehr zu sagen haben, auch wenn sie über alles eine Meinung haben
(Richling über Bosbach).

Wer den Schwaben kennt, weiß das nicht nur bitterer Spott geliefert wird, etwa der Zinsvorteil beim Bezahlen der Finanzhilfen per Kreditkarte für Griechenland, schließlich wird erst vier Wochen später abgebucht, da kommen bei 190 Milliarden € schon eine Menge ersparter Zinsen zusammen, nein, manchmal spürt man schon beim Lachen, wie schlimm es um unsere führende Kaste bestellt ist.

Gregor Gysi wird schlicht durch seine Platzierung in der Nähe des Judas entlarvt, Talk-Show-Quasselstrippe Sandra Maischberger durch Helmut Schmidts verquere Antworten bloßgestellt.
Doch wer da glaubt, dem wortgewaltigen Tausendsassa ginge die Selbstironie ab, sieht sich positiv getäuscht, schon zu Beginn stellt Richling klar, das Stuttgart unter die Erde gehört, damit der Bahnhof oben weiter wachsen könne. Überhaupt brauchen die Baden-Württemberger erst eine reale Fukushima-Katastrophe um festzustellen, dass es neben der CDU auch andere Parteien gibt. Die darf man sogar wählen. Auch die Berliner erleben beim Flughafenbau gerade ihr Stuttgart 21 – das ahnende Bildungsbürgertum nimmt’s amüsiert zur Kenntnis, so was aber auch…

Dass sich Gauck einiges zu verdanken und Merkel die Krise sicher durchs Land geführt hat, ist ebenso treffend, wie die Beobachtung und Stilisierung der Person des früheren Bundespräsidenten, wie hieß der doch gleich noch? Richling richtet den polemisierenden Sarrazin verbal und scharfsinnig hin, der immer noch ein Thema ist, auch Pofalla wird kräftig abgewatscht, nicht wegen der „Bosbach-Ansprache“, („Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“, Anm. des Autors) der Grund ist vielmehr allgemeine Beliebigkeit. In die Person des Gesundheitsvordenkers Karl Lauterbach („Krankheit muss man sich auch leisten können“) schlüpft MR so authentisch, dass wir uns die Augen reiben und an den Ohren ziehen, Parodie oder Original? Und natürlich ist ihm auch wieder eingefallen, wie der Bundespräsident hieß, der noch „leeeernt“, „das Schaf im Wulffspelz“, dessen „Frau für alles Geld angenommen hat – nur nicht für Prostitution…“ Am Nasenring werden die Protagonisten des Abends durch die Manege geführt, die Worthülsen demontiert, wir fragen uns verwundert: Wer hat die um Gottes Willen bloß gewählt? Die Hauptdarstellerin der „Sozial-Seifen-Oper“ (von der Leyen) wird noch vor der Pause bedacht, dann gibt’s signierte Bücher von einem freundlich verschmitzt lächelndem Schwaben.

Nach dem Pausengong führt uns Richling durch seine Evolutionstheorie im Allgemeinen und die eines Politikers im Besonderen, „der sich heutzutage nicht mehr durch Ellenbogeneinsatz sondern durch Morastschleim nach oben arbeitet“. Da darf auch Altkanzler Schröder, der mit dem Namenskärtchen „Zigarren“ bedacht wird nicht fehlen. Dass die Lacher im zweiten Teil der Aufführung leiser wurden, lag wahrlich nicht an der Qualität des Programmes, sondern vielmehr an der Realitätsnähe. Wir schaffen uns unsere Stasiakten selber – über Facebook! Erschreckend!
Zum Finale gibt’s noch einen rotweinnippenden Pfälzer, genial von einem veritablen chinesischen Journalisten interviewt, nicht Helmut Kohl, nein, Rainer Brüderle wird auf herrliche und nicht verletzende Weise durch den kabarettistischen Kakao gezogen.

Beeindruckend die intellektuelle Schärfe des Programmes, auch wenn der geneigte Zuhörer nicht alles teilen muss, das irre Tempo und die traumwandlerische Textsicherheit. Richling verschmilzt mit den Charakteren, ohne sich mit ihnen gemein zu machen.
Vielen Dank für die Denkanstöße und gerne wieder, möchte man da zurufen … der Akteur des Abends hat uns den Hals sicher durch den Kloß geführt.

Gunther Böhm